© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Blaues Wunder im roten Wien
Wiener Landtagswahl: Straches FPÖ verdoppelt Ergebnis / Absolute Mehrheit der SPÖ gebrochen
Peter Wassertheurer

Die Sozialdemokraten in Wien verlieren ihre absolute Macht. Das war der mächtigsten roten Landesorganisation in Österreich schon 1996 einmal passiert. Damals sackte sie gegen Jörg Haiders Freiheitliche Partei (FPÖ) auf 39,6 Prozent ab. Am 10. Oktober 2010 fuhr Wiens Bürgermeister Michael Häupl ein dickes Minus von 4,9 Prozent ein. Das Stimmenbarometer hielt schon bei 44,2 Prozent. Das bedeutet den Verlust von sechs Mandaten. Häupls SPÖ besetzt damit nur mehr 49 der 100 Mandate im Wiener Landtag.

Wien erlebte einen rot-blauen Frontenkrieg

Der große Triumphator in Wien heißt Heinz-Christian Strache. Der FPÖ-Chef feierte sein „Blaues Wunder“ und verdoppelte beinahe den freiheitlichen Stimmenanteil auf 27 Prozent. Strache war mit dem Ziel angetreten, Wiens nächster Bürgermeister werden zu wollen und blies zum direkten Duell gegen Häupl (JF 41/10). Mit seiner Losung „Mehr Mut zum Wiener Blut. Zuviel Fremdes tut selten gut“ gab er die inhaltliche Richtung vor: In der direkten Konfrontation zwischen SPÖ und FPÖ dominierten vor allem Ausländerfragen.

Wien erlebte einen regelrechten rot-blauen Frontenkrieg, was den anderen Parteien schwer zu schaffen machte. Sie wurden zu Statisten degradiert und fanden kaum noch Gehör. Der zweite große Wahlverlierer waren die Konservativen unter Christine Marek. Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) verlor in Wien 5,6 Prozent und damit sechs Mandate. Ihr neuer Tiefststand in der Bundeshauptstadt lautet: 13,2 Prozent und 12 Mandate.

Aber auch die Grünen unter ihrer griechischstämmigen Frontfrau Maria Vassilakou müssen einen Verlust von drei Mandaten (-2,4 Prozent) verkraften. Mit 12,2 Prozent und 10 Mandaten sind sie nur mehr die kleinste Partei im Wiener Stadt- und Landesparlament. Einmal mehr deutlich unter den Erwartungen blieb mit 1,4 Prozent das von Jörg Haider im Jahr 2005 gegründete Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ).

Die Reaktionen der Spitzenkandidaten brachten unterschiedlichste Analysen und Erklärungsversuchte auf den Tisch. So meinte Häupl in seiner ersten Stellungnahme: „Es ist uns leider nicht gelungen, unsere Wähler zu mobilisieren. Das ist sehr bedauerlich.“ Diese Einschätzung stimmt nur zum Teil. Straches FPÖ errang den Sieg nämlich in den traditionellen Wiener Arbeiterbezirken. Dort blieben die Leute keineswegs den Wahlurnen fern, sondern versetzten den Wiener Rathaussozialisten eine gehörige Ohrfeige. Über 46.000 gaben ihre Stimmen der FPÖ. In Simmering etwa verlor die SPÖ 12,9 Prozent. Strache schnellte dort auf ein Rekordhoch von 37,2 Prozent. Ähnliche Einbrüche  gab es für die SPÖ auch in den einstmals tiefroten Stadtteilen Favoriten, Ottakring oder Floridsdorf.

 Die Wahl in Wien führte zwar zu einer Neuverteilung der Mandate, eine Verschiebung der Machtverhältnisse wird es in der Donaumetropole aber nicht geben. Die SPÖ bleibt der dominante Faktor in Wien. Häupl muß sich in den nächsten Wochen lediglich einen Koalitionspartner suchen: „Ich werde hergehen und noch in dieser Woche mit allen Parteien sprechen und im besonderen sondieren mit den Grünen und der ÖVP. Eine Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ – tut mir leid, das kann ich nicht.“

Endgültig aus dem Schatten Jörg Haiders getreten

Die SPÖ setzt damit ihre Abgrenzungspolitik gegen die FPÖ fort. Und die hat in Österreich seit Jörg Haider Tradition. Das bedeutet: Die FPÖ gewinnt, bleibt aber trotz ihrer Erfolge auf der Oppositionsbank sitzen. Nach Strache will der Wähler aber genau das Gegenteil: „Der Wählerauftrag ist klar ersichtlich: Man kann den Willen eines Viertels der Bevölkerung nicht ignorieren.“

Häupl kann es sich in jedem Fall einfach machen. Marek und Vassilakou bieten sich der SPÖ als Partner an. Die ÖVP setzt dabei auf Verläßlichkeit und Kontinuität, die Grünen darauf, „die Fähigkeit und den Willen“ zu haben, „Neues beizutragen für diese Stadt“.

Sollte die FPÖ von den Koalitionsverhandlungen ausgegrenzt bleiben, so wird ihr Erfolg zumindest in der Ausländerfrage einen intensiven Nachdenkprozeß einleiten. Die Wiener in den sozialdemokratisch dominierten Gemeindebauten fühlen sich mit ihren Problemen allein gelassen. Strache spricht die Ursachen einer verfehlten Integrationspolitik an. Längst schon gibt es in Wien Parallelgesellschaften, die ganze Stadtviertel dominieren und wenig Bereitschaft zur Anpassung und Integration zeigen. Sein Hinweis auf die schleichende Islamisierung Wiens ist beim Wiener Wahlvolk angekommen.

Im Jahr 2013 gibt es in Österreich Nationalratswahlen. Strache ist mit der Wienwahl 2010 endgültig aus dem Schatten Jörg Haiders getreten. Der FPÖ-Chef sieht sich auf seinem Weg mehr als bestätigt („Wir sind noch nicht am Ende angekommen“) und kann nun seine in Wien entwickelte Strategie zielgerichtet auf Bundesebene fortsetzen. Die FPÖ präsentiert sich als soziale Heimatpartei mit patriotischen Attitüden. Dieses Konzept  integriert soziale Inhalte mit Themen auf Ebene der Ausländer- und Sicherheitspolitik. Genau an dieser Stelle punktet die FPÖ.

Die SPÖ jedenfalls hat in der Integrationsfrage großen Nachholbedarf. Selbst Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) erkennt in der Integrationsfrage eine Ursache für die Wiener SPÖ-Wahlschlappe: „Wir müssen bei diesem Thema an einer Lösung arbeiten, die Leute müssen das Gefühl haben, daß wir sie ernst nehmen.“ Mit den Grünen wird das sicher schwer realisierbar sein, weshalb Wien wohl eine SPÖ-ÖVP Koalition zu erwarten hat.

Foto: Heinz-Christian Strache feiert am Wahlabend seinen Erfolg: Vor allem in den traditionellen Arbeiterbezirken nahm die FPÖ den Sozialdemokraten erhebliche Stimmenanteile ab

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