© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Laßt uns wenigstens ein bißchen streiten
Thea Dorn auf dem Weg, dem seichten linken Konformismus in Deutschland zu entfliehen
Ellen Kositza

Wer die Krimiautorin, Philosophin und Talk-Dame, die sich nach T. Adorno „Thea Dorn“ nennt, als schillernde Persönlichkeit bezeichnen mag, muß sich nicht mit dem leuchtenden Wechsel ihrer Haarfarbe aufhalten. Daß Dorn auf dem Bildschirm eine gehörige Spur intelligenter und origineller daherkommt als ihre Kolleginnen, ist das eine. Das „Schillern“ meint aber auch ein gewisses Wechselspiel des Lichts, das auf sie fällt: Einerseits sind einige platt-wohlfeile Einlassungen von ihr noch in schlechter Erinnerung, allem voran ihre zeitgeistig äffende Eva-Herman-Schmäh („Eva Braun“).

Andererseits: Früh – noch bevor es opportun wurde – hat sich Thea Dorn in Essays (und als Drehbuchautorin eines vielbeachteten „Tatort“) islamkritisch geäußert und sich gegen manch feministische Platitüden verwehrt. Wo andere deutsche Intellektuelle vor dem deutschen Staat warnten, konterte Frau Dorn bissig mit einer Gegenwarnung vor deutschen Intellektuellen. Im vergangenen Frühjahr hat sie – versehen mit Vor- und Nachwort aus ihrer Feder – Friedrichs Sieburgs „Die Lust am Untergang“ von 1954 neu herausgegeben, und das ist durchaus ein starkes Stück: Sieburg war der konservative Publizist der Nachkriegszeit, begnadeter Kritiker eines Zeitgeistes, der sich seinerzeit erst warmlief und heute gerade seine Hochtourigkeit aufgibt. Wer sich für Sieburgs dezidiert antilinke Polemiken begeistern kann – und Dorn, Jahrgang 1970, tut es ganz offensichtlich – dessen Schwimmrichtung geht sicher nicht mit dem Hauptstrom.

Die Publizistin mag nun von ihrer Sieburg-Arbeit her Gefallen an dieser Idee gefunden haben: Bereits veröffentlichte Aufsätze bündeln, und die unter ein Motto und zwischen zwei Buchdeckel pressen. Dorn jedoch, bei aller hübschen Querköpfigkeit, ist bei weitem nicht so kantig wie Sieburg, dessen Essays sich noch Jahrzehnte später als Offenbarungen lesen. Was die „Fundamentalistin der Aufklärung“ (Dorn über Dorn) 2005 auf einer Reise durch den südafrikanischen Busch über „Beta-Löwen“ (sprich: Profilneurotiker) wie Möllemann oder Lafontaine schreib, liest man heute mit löwigem Gähnen. Ähnlich verhält es sich mit angeblich postfeministischen Forderungen aus Dorns Feder, die Familien endlich vom „patriarchalen Restmief zu befreien“. Patriarchen – wo?!

Grundsätzlich ist das Buch eine Mogelpackung. „Ach, Harmonistan. Deutsche Zustände“ titelt es, doch es geht  in der Mehrzahl der Texte gar nicht um ein harmoniesüchtiges Volk. Auf der Titelrückseite lesen wir in großen Lettern: Deutschland dümpelt vor sich hin. Thea Dorn regt sich auf. Das wiederum klingt nach Temperamentsausbrüchen und spitzester Feder – auch das ist keineswegs durchgehend der Fall. „Harmonistan“ ist der Autorin ein negatives Etikett. In Deutschland werde allenfalls gezankt, aber nie ordentlich gestritten – jüngst hatte sie auch den Mangel einer tiefgehenden inhaltlichen Auseinandersetzung mit Thilo Sarrazins Buch beklagt.

Die mangelhafte deutsche Streitkultur will Dorn mit dem Bild zweier Spielplatz-Mütter verdeutlichen, die darüber zanken, ob das Luxuseimerchen des einen Kindes nicht automatisch Begehrlichkeiten des anderen, ärmeren Kindes wecke und ob Luxuseimerchen nicht verboten gehörten: Daß es solche Sandkastengespräche nicht gibt, ist der Autorin (die ihre selbstgewählte Kinderlosigkeit häufig thematisiert) entgangen.

So gerät ihr manches Bild vor lauter Fabulierfreude schief. Etwa die Rede davon, daß „wir Deutschen 6 Millionen und mehr Gründe“ hätten, „uns zu schämen“. Oder ihre Forderung – in einem ansonsten schönen Aufsatz über „das Fehlen öffentlicher Intellektueller unter sechzig“ – daß die jungen deutschen Denker vor lauter Abneigung gegen den dauererregten Ton der 68er nicht gleich das „Kind mit dem Dutschke auskippen“ sollten.

Jedoch: Jenseits des Mittelmaßes und einer gewissen Vermessenheit finden wir in dieser Aufsatzsammlung etliche gekonnte Formulierungen und manchen brillanten Gedanken. Sehr schön der Essay „Leben unter Vorbehalt“, in dem sie die Infantilitätsmacken ihrer „verwöhnten, gelangweilten und gleichzeitig verängstigten“ Generationsgenossen aufs Korn nimmt, die ihre „Mentalität, ‘sich alle Optionen offenzuhalten’“ als Vitalitätsgewinn verkaufen und damit nur Entscheidungsschwächen verbrämen. Beachtlich auch Dorns Hader mit den gängigen deutschen Intellektuellen, die nicht aufhörten, „im ewigen Antifaschismus, im Anti-Deutsch-Sein zu schwelgen“.

Einer der besten hier eingesammelten Artikel titelt „Seichtgebiete“ und stammt von 2008. Frau Dorn geht hier „tatsächlichen und vermeintlichen Tabubrüchen in einer offenen Gesellschaft“ nach. Ein Restbestand an Tabus bleibe unangetastet (namentlich der Holocaust), während der „linke Bürgerschreck mit reger Plastikaxt die letzten Sessel, die vom konservativen Mobiliar geblieben sind“, zertrümmere. Mit Blick auf tönerne Provokationsgötzen wie Charlotte Roche, Lady Bitch Ray, aber auch Alice Schwarzer und ihre „Gönner“ Frank Schirrmacher und Harald Schmidt höhnt Dorn über Löwinnen, die sich „als Bettvorlegerinnen für exakt jene Schlafzimmer“ anbiedern, „die sie angeblich aufmischen“ wollten.

Ein Fazit des Bandes ist, daß Thea Dorn heute schneidigere Artikel schreibt als noch vor Jahren. In einem ihrer jüngeren Aufsätze erträumt sie eine Debatte mit der Kanzlerin über Sarrazin, die „Konsumfront“, die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ und den Sinn der Phrase, „Kanzlerin aller Deutschen“ sein zu wollen. „Dann heißt ‘alle Deutschen’“, fragt Dorn Angela Merkel im Traum, „nichts weiter als ‘alle in Deutschland Geschenkberechtigten’? Glauben Sie wirklich, dieses Land zusammenhalten zu können, indem sie jedes Jahr die neueste Spielkonsole unter den Baum legen?“

Thea Dorn: Ach, Harmonistan. Deutsche Zustände. Knaus Verlag, München 2010, gebunden, 253 Seiten, 19,99 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen