© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Nachworte in eigener Sache
Der letzte Innenminister der DDR, Peter Michael Diestel, publiziert seinen Blick auf das Jahr 1990 / Als Zeitzeugnis ist der Rückblick eher unbrauchbar
Detlef Kühn

Wer ist Peter-Michael Diestel? Peter-Michael Diestel ist ein offenbar erfolgreicher deutscher Rechtsanwalt mit Wohnsitz und Kanzlei in Zislow. Er liebt die mecklenburgische Landschaft, die Jagd, gutes Essen und Trinken, Strickjacken mit Hirschhornknöpfen, Lederhosen und den Kraftsport. Er ist meistens fröhlich gestimmt. Ernst wird er – und das ist für einen Rechtsanwalt nicht unwichtig –, wenn er Ungerechtigkeit wittert. Das kommt dann Personen zugute, die man gemeinhin zu den Verlierern der Weltgeschichte zählt.

Diestel ist gelernter DDR-Bürger mit durchaus bürgerlichem familiären Hintergrund, was im SED-Staat keine Empfehlung war. Dennoch verlief sein Leben bis 1989 beschaulich, aber insgesamt doch erfolgreich: Facharbeiter (Melker) mit Abitur, Jura-Studium, Tätigkeit als Justitiar in einer Agrar-Industrievereinigung. Hier fand er noch Zeit für die Promotion mit einem berufsnahen Thema, was in der DDR für die gesellschaftliche Reputation mindestens so wichtig war wie im Westen. Keine Parteizugehörigkeit, auch nicht in einer Blockpartei. Rechtsanwalt durfte er – zu seinem späteren Glück – nicht werden, sonst wären ihm Kontakte mit dem Staatssicherheitsdienst kaum erspart geblieben, worunter Mitstreiter wie Wolfgang Schnur und Lothar de Maizière, aber auch Gregor Gysi, Manfred Stolpe und Wolfgang Vogel bald leiden sollten. Stattdessen konnte sich Diestel auf den Ausbau einer idyllischen Nische mit schönem Haus in Leipzig für die Familie mit drei Kindern konzentrieren.

Aufregend wurde es erst 1989. Diestel beteiligte sich an den Montagsdemonstrationen und stieß frühzeitig zu der Gruppe um den Leipziger Pfarrer Hans-Wilhelm Ebeling. Deren Vorbild war die CSU in Bayern. Nach dem Fall der Mauer übernahm Ebeling den Vorsitz der Christlich Sozialen Partei Deutschlands (CSPD) in Leipzig, die dann im Januar in der DSU aufging. Auch hier wurde Ebeling Vorsitzender und Diestel Generalsekretär, mit massiver Unterstützung der CSU bei der Vorbereitung der Volkskammerwahl am 18. März 1990.

Spätestens hier muß der zeitgeschichtlich interessierte Leser Eigenarten des Buches beklagen, die es als Zeitzeugnis disqualifizieren: Es fehlt jede Chronologie. Die Mitteilung von Fakten wird in Reflexionen verpackt. Zusammenhänge sind häufig unklar. Man weiß nicht, wer eigentlich als Autor fungiert. „Aufgeschrieben“ hat die „Geschichten aus 174 Tagen, in denen Amateure und Profis deutsche Geschichte machten“ Hannes Hofmann; verantwortlich ist aber offenbar Diestel selbst, der als Interview-Partner ausführlich zu Wort kommt und am Schluß „ein Nachwort in eigener Sache“ beisteuert. Der schwammige Reportage-Stil des Journalisten Hofmann, derzeit Chefreporter der Superillu, setzt sich jedenfalls immer wieder durch.

Diese Kritik gilt auch für die kurze Zeit, die Peter-Michael Diestel als Person der Zeitgeschichte interessant macht: 174 Tage lang durfte er als letzter Innenminister der DDR fungieren. Es oblag ihm, das MfS aufzulösen und die Voraussetzungen für eine sachgerechte Aufbewahrung und Nutzung der Hinterlassenschaft des Staatssicherheitsdienstes zu schaffen. Wie er diese Aufgabe löste, ist noch immer umstritten. Neues zu diesem Komplex kann man diesem Buch kaum entnehmen. Der häufig gegenüber Diestel erhobene Vorwurf, er sei zu blauäugig gegenüber den Offizieren des MfS gewesen, die nun seine Mitarbeiter und Berater im Ministeirum des Innern waren, wird jedoch bestätigt. Weil er von den organisatorischen Fähigkeiten und dem Hintergrundwissen dieser Leute abhängig war, wollte er auch an deren unbedingte Loyalität ihm gegenüber glauben. Das war zumindest leichtsinnig, auch wenn man ihm zugestehen mag, daß seine Abhängigkeit häufig unvermeidlich war.

Diestel gehört seit August 1990 der CDU an. Als Landtagsabgeordneter in Brandenburg hatte er kaum noch Einfluß. 1994 schied er aus der Politik aus. Jetzt kann er sich dem geliebten Beruf als Anwalt widmen, mit einem Schwerpunkt unter den ehemaligen Stützen des SED-Regimes. Ihnen mag dieser Politiker der Wendezeit wie ein Geschenk des Himmels erscheinen. In Wahrheit ist er nur im System der Bundesrepublik angekommen. Hatte er sich in der DDR als Justitiar eine „kuschelige“ Nische ausgepolstert, so ist ihm dasselbe jetzt im Rechtsstaat gelungen, in dem er die PR-Möglichkeiten zu nutzen weiß. Davon zeugt auch dieses Buch mit seinen gar nicht so neuen „Geschichten“.

Peter Michael Diestel, Hannes Hofmann: Diestel. Aus dem Leben eines Taugenichts? Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2010, gebunden, 239 Seiten, Abbildungen, 16,95 Euro

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