© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Bundeszentrale für politische Zensur
Der Politikwissenschaftler Konrad Löw siegt nach jahrelangem Rechtsstreit gegen die Behörde des Innenministeriums
Ronald Gläser

Die Bundeszentrale für Politische Bildung (BpB) hat eine schwere Schlappe erlitten. Die dem Bundesinnenministerium nachgeordnete Behörde hat die Rechte ihres Autors Konrad Löw verletzt. Zu diesem spektakulären Urteil ist das Bundesverfassungsgericht bereits am 17. August 2010 gekommen (AZ 1 BvR 2585/06). Die Entscheidung wurde erst in der vergangenen Woche veröffentlicht.

Das Urteil ist spetakulär, weil es ein staatlich verordnetes Denkverbot zum Einsturz gebracht hat. Dafür mußte der Kläger Konrad Löw durch alle Instanzen gehen. Erst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gab ihm recht – mehr als sechs Jahre nach dem Erscheinen des umstrittenen Artikels. Der Richterspruch ist auch deswegen bedeutsam, weil die BpB sich in einem einmaligen Akt von Orwellscher Dimension von ihren eigenen Veröffentlichungen distanziert und ihren Autoren verstoßen hat.

Es geht um einen Aufsatz, den Löw  2004 für die im Auftrag der BpB vom W. Bertelsmann Verlag herausgegebene Zeitschrift Deutschland Archiv verfaßt hat. Unter dem Titel „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ widmet sich Löw juristischen und historischen Aspekten des deutschen Selbstverständnisses. „Die zwölf Jahre des Nationalspzialismus bilden also ein wesentliches Element deutscher Identität“, schreibt er mit Blick auf die Bedeutung der NS-Verbrechen. Damit liegt er voll im Trend der modernen Geschichtsschreibung. Löw argumentiert jedoch auch, der Antisemitismus habe in Deutschland stets nur eine „untergeordnete Rolle“ gespielt. Die NSDAP sei nicht wegen, sondern trotz ihrer Judenfeindlichkeit zur stärksten Kraft in Deutschland aufgestiegen.

Die brutale Verfolgung der Juden nach der Machtergreifung sei nicht mit Zustimmung der Deutschen, sondern gegen ihren Willen erfolgt. Sie seien jedoch machtlos gewesen gegen die neue Willkürherrschaft, vielleicht auch depressiv oder schweigsam und damit im weitesten Sinne opportunistisch, aber keineswegs enthusiastisch in Bezug auf die bevorstehende „Endlösung“.

Als Beweis führt Löw unter anderem die Tagebuchaufzeichnungen von Victor Klemperer an. Der Dresdner Jude machte auf einen ausgemachten Judenhasser fünfzig Deutsche aus, die „Mitleid mit den verfolgten Juden empfanden“. Viele mutige Personen hätten untergetauchten Juden geholfen. Löw liefert dafür Beispiele.

Schließlich hat Löw als Hauptmotiv vieler nationalsozialistischer Verbrecher „Mordlust und Sadismus“ ausgemacht. Antisemitismus könne es nicht gewesen sein, denn dann hätten „die Vollstrecker nicht den anderen ‘Minderwertigen’ gegenüber, den geistig Behinderten, den Polen, den Russen, den Sinti und Roma, die gleiche Brutalität gezeigt wie gegenüber den Juden.“

„Das sind für viele unbequeme Wahrheiten“

Als hätte er es geahnt, beendete Konrad Löw seinen Aufsatz mit den Worten: „Das sind für viele unbequeme Wahrheiten.“

Die Thesen des emeritierten Politik-Professors waren in der Tat so unbequem, daß die Bundeszentrale für politische Bildung sich nach der Veröffentlichung des Aufsatzes im Deutschland-Archiv flugs davon distanzierte und die Restauflage einstampfen ließ. Eine Behörde, die ihre eigene Publikation vernichtet – ein einmaliger Vorgang.

Doch damit nicht genug: Schriftlich wandte sich die BpB an die 5.500 Abonnenten der Zeitschrift und entschuldigte sich für die Veröffentlichung. In dem Brief heißt es:

„Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und der W. Bertelsmann Verlag distanzieren sich aufs Schärfste von dem im soeben erschienenen Heft 2/2004 des Deutschland Archiv veröffentlichten Text ‘Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte’ von Konrad Löw. (...) Wir bedauern diesen Vorgang außerordentlich. Weder die Bundeszentrale für politische Bildung, in deren Auftrag der W. Bertelsmann Verlag die Zeitschrift herausgibt, noch der Beirat der Zeitschrift hatten von der geplanten Veröffentlichung Kenntnis. (...) Der Rest der Auflage von Heft 2/2004 wird makuliert. Dieser in der langen Geschichte beider Häuser und des Deutschland Archivs einmalige Vorgang wird sich nicht wiederholen. Wir bitten alle Leserinnen und Leser der Zeitschrift sowie diejenigen, welche sich durch den Beitrag von Löw verunglimpft fühlen, um Entschuldigung.“

Mit dem Fachbegriff „makuliert“ haben die Autoren zu verschleiern versucht, was ihnen selbst peinlich war: nämlich die Einstampfung der noch vorhandenen Restauflage.

Die Vernichtung der Restauflage und die öffentliche Ankündigung durch den Abbitte-Brief waren es dann auch, die die Richter veranlaßten, dem Kläger Konrad Löw recht zu geben. Seine Reputation als Wissenschaftler sei durch dieses unverhältnismäßige Anprangern in Gefahr. Die Verlautbarungen der Bundeszentrale seien schädlich für sein Ansehen in der Öffentlichkeit. Überhaupt dürfe sich der Staat nicht in dieser Form herabsetzend über einen Bürger äußern.

Das Urteil kam überraschend, schließlich werden 98 Prozent aller Verfassungsbeschwerden vom Bundesverfassungsgericht gar nicht erst angenommen. Die Richter, die einstimmig entschieden haben, müssen einen besonders schweren Grundrechtsverstoß  ausgemacht haben. „Die Konsequenzen kann ich noch gar nicht absehen“, sagt Konrad Löw gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Er hoffe jetzt, daß der Artikel abermals von der Bundeszentrale abgedruckt werde. Was genau geschieht, das haben die unteren Gerichte zu entscheiden, an die das Bundesverfassungsgericht die Angelegenheit zurückverwiesen hat.

So zufrieden der Münchner Politikwissenschaftler mit dem Urteil ist, so sehr schäumt das politisch korrekte Feuilleton. Die Kommentare reichten von „Karlsruher Selbstbeschädigung“ in der Berliner Zeitung bis zu „Verfassungsgericht schützt Geschichtsfälschung“  in der SZ (siehe Pressestimmen rechts). Es gab jedoch auch positive Reaktionen. Die beiden Bundestagsabgeordneten Patrick Sensburg (CDU) und Michael Frieser  (CSU) begrüßten das Urteil. „Es überzeugt durch Ausgewogenheit“, teilten sie mit.

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