© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

„Da muß man sich doch verlieben!“
Mit seinem Bestseller „Manieren“ eroberte er die Herzen des Publikums wie der Kritiker im Sturm.Nun hat der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate ein Buch über seine leise Liebe zu Deutschland geschrieben.
Moritz Schwarz

Prinz Asserate, Sie haben Ihr neues Buch als Ihre Liebeserklärung an die Deutschen bezeichnet.

Asserate: Ja, und es wurde höchste Zeit, daß ein nicht gebürtiger Deutscher endlich eine Lanze für Deutschland bricht.

Warum?

Asserate: Weil ich festgestellt habe, daß viele Deutsche gar nicht wissen, in was für einem großartigen Land sie leben und was für einem Kulturvolk sie angehören. Dabei gibt es vermutlich keine Nation auf dieser Welt, die die Deutschen nicht respektiert, wenn nicht verehrt, für ihre Leistungen und für ihre Tugenden, eben jene Tugenden, denen hierzulande leider nur allzuoft kaum Wertschätzung entgegengebracht wird. Ich glaube aber, daß die Reserviertheit vieler Deutscher gegenüber dem Patriotismus ein Fehler ist. Ein gesundes Nationalbewußtsein gehört einfach zur Normalität dazu. Ein Patriotismus, der gleichzeitig andere Völker nicht erniedrigt ist eine große Tugend!

„Draußen nur Kännchen“ haben Sie Ihr Buch genannt. Ein etwas seltsamer Titel für eine Liebeserklärung.

Asserate: Ganz und gar nicht. Ich wollte etwas Urdeutsches für den Buchtitel, und ich kann mir nichts Deutscheres vorstellen. Vielleicht wissen jüngere Leser das nicht, aber in Deutschland bekommen Sie in einem klassischen Caféhaus auf der Terrasse Kaffee meist nur im Kännchen serviert. Überhaupt gibt es Kaffee in Kännchen nur im deutschen Raum. Im Rest der Welt wird er gewerblich ausschließlich in Tassen serviert. 

In vielen Ohren klingt „Draußen nur Kännchen“ aber wohl eher unsympathisch: Schroff und regelungswütig.

Asserate: Es mag sein, daß da auch eine gewisse Strenge mitschwingt, gleichwohl finde ich es sehr sympathisch. Ja, wenn ich heute auf einer Karte „Draußen nur Kännchen“ entdecke, durchstrahlt mein Inneres ein Gefühl der Geborgenheit, und ich weiß: „Hier bin ich zu Hause!“

Jedem anderen als Ihnen würde jetzt Spießigkeit unterstellt werden.  

Asserate: Aber verstehen Sie doch, es ist eine Eigenart! Und es sind doch unsere Eigenarten, die uns besonders und liebenswert machen. Es sind unsere Eigenarten, die uns von anderen Völkern unterscheiden – das darf doch nicht immer nur negativ belegt werden! Denn vor einer globalisierten Einheitskultur, da bewahre uns Gott!

Ihr Buch ist ein Streifzug durch deutsche Merkwürdigkeiten und Besonderheiten, Sie kennen Deutschland offenbar besser als die Deutschen selbst.

Asserate: Das ist nicht so überraschend, denken Sie nur daran, daß etwa die größten Indien-Experten Engländer sind. Ich wollte den Deutschen eben einmal den Reichtum und die Vielgestaltigkeit ihres Landes vor Augen führen, die man erfährt, wenn man das Land auch in seinen Winkeln erkundet. Deshalb habe ich dem Buch auch den Untertitel „Meine deutschen Fundstücke“ gegeben.

Wer hat zum Beispiel zuvor je etwas vom itzgründischen Dialekt gehört, der sich nur im Thüringer Wald erhalten hat?

Asserate: Eben, und dort sagen die Leute statt „Guten Tag“ zum Gruß noch „Diener!“; das ja sonst nur noch verschlüsselt im bayerischen „Servus“ steckt. Ist das nicht zauberhaft? Wunderbar sind auch die vielen besonderen Ortsnamen, die ich entdecken durfte, wie zum Beispiel Buntekuh in Lübeck, Büchsenschinken bei Reinbek, Ehrenzipfel bei Rittergrün, Faulebutter bei Finnentrop, Feierabend im Kreis Dithmarschen oder Linsengericht in Lauenburg. Sehr schön sind auch Lustiger Strumpf, ebenfalls in Lauenburg, und Regenmantel in Brandenburg. Am schönsten aber finde ich Gabe Gottes und Jena-Paradies, beide in Thüringen. Da muß man sich doch verlieben.

Auch der „innere Schweinehund“, so lernt man in Ihrem Buch, ist ein Deutscher.

Asserate: Ja, ich erfuhr von ihm zum ersten mal durch unsere deutsche Gouvernante in unserer Residenz, die mich als Kind dazu aufforderte, eben diesen zu überwinden. Später begegnete ich ihm als Schüler an der deutschen Schule in Addis Abeba wieder. Meine äthiopischen und englischen Mitschüler verstanden zunächst gar nicht, was unsere Lehrer damit meinten. Und schließlich traf ich ihn wieder als Student des Corps Suevia zu Tübingen, wo wir stets ermahnt wurden, selbigem durch tägliches gemeinsames Aufstehen um halb sieben mit anschließendem Dauerlauf und Paukstunde die Stirn zu bieten. Der Kampf gegen den inneren Schweinehund geht einher mit der Mahnung zu Ernsthaftigkeit und Selbstzucht, zu Ordnungssinn und Pflichterfüllung, jenen Tugenden, die gemeinhin als typisch deutsche angesehen werden. Oder können Sie sich die Existenz dieses Gesellen im Lande des Dolce far niente – in Italien – vorstellen? Nein, der Kampf gegen ihn ist ein deutscher Kampf. Und wo sonst als hier hat man ihm schließlich auch ein Denkmal errichtet. In Bonn steht er seit 1993 in Bronze gegossen: eine in einen langen Mantel gehüllte menschliche Gestalt mit Schweinekopf und langen Hauern.

Schon Ihr Bestseller „Manieren“ war gespickt mit leisen Komplimenten an die Deutschen. Man hat den Eindruck, in „Draußen nur Kännchen“ haben Sie sich regelrecht von der Seele geschrieben, was in „Manieren“ diesbezüglich nicht zum Zuge kommen konnte.

Asserate: Durchaus, denn Deutschland ist mir zu meiner zweiten Heimat, ja man kann sagen, zu meinem Schicksal geworden. Aber, etwas stimmt hier nicht! Sehen Sie, mein ursprüngliches Heimatland Äthiopien ist arm und genießt lange nicht so ein hohes Ansehen in der Welt wie Deutschland. Und dennoch dankt der Äthiopier jeden Tag Gott: „Herr, danke, daß ich ein Äthiopier bin! Ich wollte nichts anderes sein!“ Deutschland hat dagegen alles, was man sich nur wünschen kann, aber dennoch empfinden es viele fast als Last, Deutsche zu sein. Als ich als Student nach Tübingen kam, fuhr ich mit Freunden ins Elsaß und hatte einen wunderbaren Abend mit Studenten aus den USA, England und Frankreich. Als wir schließlich gefragt wurden, woher wir kommen, antwortete ich stolz: „Ich bin ein Äthiopier!“ Ich glaubte aber meinen Ohren nicht zu trauen, als ich meine Freunde behaupten hörte: „Wir? Wir sind ... Österreicher.“ Ich sage Ihnen, das war ein Kulturschock, ein absoluter Kulturschock! Zu erleben, daß man sein Land verleugnet! Das hat mich schwer getroffen. Damals habe ich gemerkt, die Deutschen haben ein großes Problem mit sich selbst.

Dem wollten Sie entgegenwirken?

Asserate: Nicht als Missionar und in der Öffentlichkeit, aber in privaten Gesprächen habe ich die Deutschen immer wieder ermuntert, sich zu sich selbst zu bekennen. Denn nur wenn die Deutschen in sich selbst ruhten, haben sie der  Menschheit viel Gutes gegeben.

Haben die Deutschen ihr Problem denn überwunden?

Asserate: Zumindest hat sich doch vieles verbessert. Heute ist die deutsche Jugend zum Glück wieder bereit, sich zu ihrem Vaterland zu bekennen. Und die Deutschen haben endlich auch wieder ein Verhältnis zu ihrer Flagge. Das war zu meiner Zeit einfach unvorstellbar: Ein deutscher Student, der sich mit einer scharzrotgoldenen Fahne hätte blicken lassen, einfach undenkbar!

Thilo Sarrazin hat soeben ein Buch mit dem Titel „Deutschland schafft sich ab“ geschrieben – die Leute kaufen es wie verrückt. Offenbar ist Gefahr im Verzug?

Asserate: Sehen Sie, kulturelle Vielfalt ist doch etwas Herrliches. Aber nicht in dem Sinne, alle Kulturen zu einer neuen Einheitskultur zusammenzuschmelzen. Einige Thesen von Herrn Sarrazin mögen ihre Richtigkeit haben, aber sie wurden in der falschen Tonart präsentiert. 

Sie sind inzwischen Deutscher geworden, stolz darauf und bestens integriert. Sind Sie nicht im Grunde „der“ Einwanderer, den Sarrazin in seinem Buch fordert?

Asserate: Ich habe in der Tat sehr viel Deutsches aufgenommen und zum Bestandteil meiner Persönlichkeit gemacht, ohne mich dabei als Äthiopier zu verleugnen. „Heute wohnen, ach, zwei Seelen in meiner Brust!“ Aber im Gegensatz zu Faust, ist mein „Ach!“ kein gequältes, sondern ein beglücktes.

Dann sind Sie der lebende Beweis dafür, daß Sarrazins Buch weder rassistisch noch ausländerfeindlich ist.

Asserate: Ob das Buch rassistisch oder ausländerfeindlich ist, mögen diejenigen beurteilen, die das Buch en detail gelesen haben.

Vergangenheitsbewältigung, Einwanderung, Multikulti – das Thema Deutschland ist hochpolitisch. Politik allerdings kommt in Ihren Büchern nicht vor. Warum?

Asserate: Es gibt genug andere, die dies zu ihrem Metier gemacht haben. Aber vielleicht haben meine Bücher, eben weil sie unpolitisch sind, eine viel heilsamere Wirkung auf das deutsche Problem. Ich würde mir das zumindest wünschen.

Aber hilft es, einem Minderwertigkeitskomplex mit Appellen zu begegnen?

Asserate: Ich kann nur dazu beitragen, daß die Deutschen ihr Problem erkennen – der Selbstheilungsprozeß liegt nicht in meiner Hand.

Martin Walser beklagte 1998 als Kernproblem der Deutschen die „Dauerpräsentation unserer Schande“. Gemeint war: Eine Nation, die einen Massenmord ins identitätsstiftende Zentrum ihrer Erinnerung stellt, muß daran zugrunde gehen. Was bleibt dann von Deutschland, das Sie ja bewahren wollen? Müssen Sie sich dem nicht stellen?

Asserate: Ich möchte hier Martin Walsers Theorie nicht kommentieren. Als nicht gebürtiger Deutscher möchte ich mich nicht zu sehr in diese Diskussion einmischen. Das ist etwas, das die gebürtigen Deutschen unter sich ausmachen müssen.

Haben Sie als Patriot nicht die vaterländische Pflicht, dem was Sie als Gefahr für ihr Land erkannt haben, entgegenzutreten – notfalls auch politisch?

Asserate: Ich glaube, daß ich dieser vaterländischen Pflicht in Äthiopien zur Genüge nachgekommen bin. In meiner Heimat Deutschland habe ich mich entschieden, in erster Linie publizistisch zu wirken. Das müssen Sie bitte akzeptieren.

Die Deutschen mögen Ihre Bücher, weil ihnen dort ein „Ausländer“ etwas Nettes sagt.

Asserate: Das mag wohl so sein.

Das ist doch neurotisch.

Asserate: Ich bin kein Psychiater. Aber wenn, dann besteht der Grund der Neurose darin, daß die Deutschen es über sich ergehen lassen müssen, daß von Ausländern sonst vor allem Kritisches über sie kommt. 

Im Grunde kommt Ihr Buch doch erst dann an sein Ziel, wenn die Deutschen keinen Ausländer mehr brauchen, der ihnen sagt, daß sie gut sind.

Asserate: Sehr richtig. Und ich kann nur hoffen, daß mein Buch die Deutschen auf genau diese Fährte bringt.

Möglicherweise perpetuiert Ihr Buch aber auch eben diesen Abhängigkeitszustand?

Asserate: Das wäre ein Problem, aber ich glaube nicht. Oder werden die Deutschen denn soviel gestreichelt?

Von Ihnen schon.

Asserate: Von mir ja, aber sonst? Sonst bekommt der Deutsche meist eins auf die Mütze. Aber vielleicht werde ich ja auch von anderen nachgeahmt.

Als Therapie empfehlen Sie, die Deutschen sollten wieder das Weinen lernen.

Asserate: Ja, ich glaube, wenn die Deutschen wieder unbefangen vor Ergriffenheit für Ihr Land weinen können, etwa wenn sie ihre Nationalhymne hören, dann wäre der Bann gebrochen! Die Tugend, vor patriotischer Rührung zu weinen, würde aller Welt zeigen, daß die Deutschen Menschen sind und ein Herz haben, das sich rühren läßt. Und daß sie nach einer langen seelischen Irrfahrt endlich mit sich ins reine und bei sich selbst angekommen sind.

 

Prinz Asfa-Wossen Asserate, wurde 2003 mit seinem Buch „Manieren“ bekannt, das sich auf Anhieb zum Bestseller entwickelte und hinter dem sich, schöngeistig verpackt, eine konservative Kulturkritik verbirgt. Von der Kritik gefeiert, wurde es von der Tageszeitung Die Welt gar zum „Buch des Jahres“ gekürt. Prinz Asfa-Wossen Asserate ist der Großneffe des letzten christlichen Kaisers, Haile Selassie von Äthiopien, dessen Ermordung 1975 durch das kommunistische Mengistu-Regime auch für die Familie Asserates Tod oder Verfolgung bedeutete. Geboren 1948 in Addis Abeba, kam er 1968 nach Deutschland, um in Tübingen Volkswirtschaft und die Rechte zu studieren, und entdeckte seine Liebe zu Deutschland. Er promovierte schließlich in Geschichte und arbeitete als Pressechef der Düsseldorfer Messe. Heute lebt der Unternehmensberater und Publizist in Frankfurt am Main. Rechtzeitig zur Buchmesse ist bei Scherz sein jüngstes Buch erschienen: „Draußen nur Kännchen. Meine deutschen Fundstücke“.

Foto: Kännchen Kaffee mit „Deutschland-Schaum“: „Lese ich auf einer Karte  ‘Draußen nur Kännchen’, durchstrahlt mein Inneres ein Gefühl der Geborgenheit, ich weiß: ‘Hier bin ich zu Hause’. “

 

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