© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Frisch gepresst

Einheitsmythen. Thilo Sarrazin mußte schon vor 20 Jahren feststellen, daß ungeschminkte Wahrheit und nüchterne Bestandsanalyse nicht immer gut ankommen: „Wir wußten, daß die DDR-Wirtschaft einen Negativwert hat, haben das aber höflicherweise Modrow nicht mitgeteilt“. Der letzte SED-Ministerpräsident hatte im Januar 1990 noch getönt, der „ganze Laden“ sei 600 Millionen D-Mark wert. Anders als Sarrazin, damals Referatsleiter im Bundesfinanzministerium, saßen viele Entscheidungsträger im Westteil solchen Illusionen auf. Mit dem Thema „Mythen und Legenden“ auf dem Weg zur Einheit setzte sich im März dieses Jahres eine Konferenz auseinander. Den Debatten der Zeitzeugen – wie jener bereits erwähnte Thilo Sarrazin aber auch Horst Teltschik und Lothar de Maizière – stehen die Analysen der Historiker gegenüber. Der Chemnitzer Politologe Eckhard Jesse etwa beschreibt in seinem Beitrag über die Verfassungsfrage („Konstitution oder ‘Anschluß’?“), daß ein Teil der Befürworter einer Wiedervereinigung nach Artikel 146 gerade deshalb dafür war, um in Wirklichkeit die Einheit zu hintertreiben.

Andreas Apelt, Robert Grünbaum, Martin Gutzeit (Hrsg.): Der Weg zur Deutschen Einheit. Mythen und Legenden. Metropol Verlag, Berlin 2010, broschiert, 267 Seiten, 19 Euro

 

Benn in Berlin. Der emeritierte Oldenburger Germanist Joachim Dyck, Vorsitzender der Benn-Gesellschaft, Herausgeber des Benn-Jahrbuchs und natürlich auch Verfasser einer 2006 veröffentlichten voluminösen Benn-Biographie (JF 28/06), hat aus diesem „Mutterwerk“ unter dem Titel „Benn in Berlin“ ein liebevoll gestaltetes Bändchen kompiliert, um dem großen Lyriker in der Stadt in dreißig Kapiteln nachzuspüren, die ihn vom Studium über die Militärzeit bis zum Tod 1956 prägte. Kurioserweise – vielleicht um den Recycling-Geruch einer Zweitverwertung nicht aufkommen zu lassen – fehlt in den 331 Anmerkungen jeder Verweis auf Dycks große Biographie. Wem es freilich genügt, den unbehausten Nihilisten und Armenarzt Benn ausschließlich in seinem Wirkungsbiotop – der Praxis am Kreuzberger Mehringdamm oder seinen Wohnungen im Schöneberger Bayerischen Viertel– kennenzulernen, ist mit dem schönen Büchlein trotzdem gut bedient.

Joachim Dyck: Benn in Berlin. Transit Verlag, Berlin 2010, gebunden, 150 Seiten, Abbildungen, 16,80 Euro

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