© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Langeweile war sein Tod
Leser wollen Orientierung: Der katholische „Rheinische Merkur“ war zu wenig katholisch
Ronald Gläser

Die Tagung der Deutschen Bischofskonferenz vor einer Woche in Fulda wurde von Erzbischof Robert Zollitsch mit einem Zitat aus dem Brief des Paulus an die Kolosser eröffnet: „Er gebe euch viel Kraft, damit ihr in allem Geduld und Ausdauer habt.“

Die besinnlichen Worte des obersten deutschen Katholiken fielen nicht auf fruchtbaren Boden – zumindest nicht, was den Rheinischen Merkur (RM) angeht. Der Bonner Wochenzeitung wurde von den Bischöfen die weitere Unterstützung versagt. Das 1946 gegründete Traditionsblatt ist damit am Ende, 47 Mitarbeiter stehen, bis auf eine Handvoll Redakteure, vor der Entlassung. Der Marktführer Die Zeit übernimmt das Blatt, auch wenn der Käufer großen Wert darauf legt, daß es sich um eine „Kooperation“ handele. Eine Verlagssprecherin der Hamburger Zeit sagte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Wir liefern die Beilage gemeinsam mit der Zeit an den bisherigen Abonnentenstamm des Rheinischen Merkur. Sie wird von der Bonner Redaktion des Rheinischen Merkur eigenständig erstellt.“ Der RM-Chefreakteur Michael Rutz sieht es anders: In einem Interview zum Verkauf der Wochenzeitung im Deutschlandfunk sagte er unzweideutig: „Das ist das Ende des selbständigen Rheinischen Merkur.“

Für christlich-konservativ eingestellte Leser hat der RM in letzter Zeit immer weniger zu bieten gehabt. Das zeigt ein Blick in die Ausgabe der Vorwoche: statt eines eigenen Standpunktes zur Sarrazin-Debatte – Stellungnahmen von Migranten-Politikern. Und das, obwohl ein Großteil der Leser Thilo Sarrazins Ansichten unterstützt. Das zeigt die Leserbriefseite.

In der gleichen Ausgabe berichtet der RM über „Kiezbewohner“, die die Gentrifizierung ihrer Stadtbezirke „nicht kampflos hinnehmen“. Das klingt in der taz nicht anders. Außerdem gibt die Redaktion dem Papst für seine Englandreise den guten Rat mit auf den Weg, „Verständnis“ dafür zu zeigen, daß er kritisiert werde „wie nie“. Ungewöhnlich für eine von der katholischen Kirche getragene Zeitung – ebenso wie die „Zahl der Woche“ in derselben Ausgabe: 23 Prozent betrage das „Gender Pay Gap“, heißt es dort. Angeblich verdienten Frauen in der gleichen Position so viel weniger. Hier raschelt die Emma – und nicht eine christlich-konservative Kirchenzeitung. Abgesehen von seinen zeitgeistlastigen Einstellungen sei der RM immer langweiliger geworden, findet selbst der bisherige RM-Kolumnist, Pater Wolfgang Ockenfels. Gegenüber der JF sagte der Vatikan-Berater und Herausgeber der Zeitschrift Die Neue Ordnung, der RM sei „an seiner Langeweile zugrunde gegangen“.

Nur noch 12.900 bezahlte Abonnements

Zuletzt lasen nach Verlagsangaben angeblich noch 36.000 Abonnenten das Blatt. Der Spiegel berichtet jedoch, daß es in Wirklichkeit gerade noch 12.900 bezahlte Abos gäbe. Auch über die genaue Höhe der Subventionen schweigen sich Verlag und Bischofskonferenz aus. RM-Chefredakteur Michael Rutz gab diese Summe mit 2,5 Millionen Euro an. Die FAZ berichtet, es seien 4,5 Millionen gewesen. Ein ehemals führender Mitarbeiter, der nicht genannt werden möchte, glaubt, daß es noch wesentlich mehr war. Wirtschaftlich gesehen, war der RM untragbar.

Der Kölner Kardinal Meisner, der als die treibende Kraft hinter dem Rückzug vom RM gilt, hat diesen Schritt seit Jahren erwogen. Doch alle anderen Verkaufs- oder Ausstiegsszenarien sind gescheitert: 1990 wurde ein Verkauf an die FAZ erwogen und wieder verworfen. Zehn Jahre später einer an den Springer-Konzern. Der frühere stellvertretende Chefredakteur der Welt, Gernot Facius, erinnert sich daran, daß die Gespräche damals ziemlich vorangeschritten waren, dann aber massiv torpediert worden sind. „Bloß nicht mit Springer!“ habe der Tenor gelautet. „Es gab sogar schon ein Dummy, das ich an einem Samstagvormittag Kardinal Joachim Meisner in Köln präsentiert habe“, berichtet Facius. Doch die Kirche habe sich dann gegen das Geschäft entschieden.

War das die letzte Chance, den Rheinischen Merkur zu retten? Der Verkauf an Springer hätte weltanschaulich ein wenig besser gepaßt als der jetzige Ausverkauf an die antiklerikale Zeit, für die die Worte „Papst“ und „Kritik“ so zusammengehören wie „Atom“ und „Ausstieg“ für einen gestandenen Grünen. Ausgerechnet in der letzten Ausgabe vor der Bekanntgabe der „Kooperation“ veröffentlichte die Zeit auf ihrer Religionsseite „Glaube und Zweifel“ einen papstkritischen Aufsatz zur Englandreise von Benedikt XVI.

An dieser Stelle trifft sich die Zeit mit dem Rheinischen Merkur. Der RM ist mächtig nach links gerutscht. Das läßt sich auch an der Personalpolitik des Blattes ablesen. Beispielhaft dafür war der Umgang mit Christa Meves, jener 1987 konvertierten Grande Dame des publizistischen Katholizismus. Sie war bis 2006 Herausgeberin. Dann wurde sie unsanft vor die Tür gesetzt – zum Unmut vieler Leser. Der frühere stellvertretende RM-Chefredakteur Martin Lohmann war enttäuscht: „Christa Meves zum Beispiel stand für eine klare Ausrichtung – auch gegen die Politische Korrektheit. Viele haben es damals nicht verstanden, daß auf diese starke Persönlichkeit irgendwann als Herausgeberin verzichtet wurde. Auch ich nicht.“

JF-Übernahmeangebot blieb unbeachtet

Im Mittelpunkt der Kritik steht der langjährige Chefredakteur Michael Rutz. „Der war ein Unglück für die Zeitung“, beschwert sich Günter Zehm, dessen Pankraz-Kolumne seit 1995 in der JF erscheint, seit er beim RM „rausgemobbt“ wurde.

Die Lücke, die sich nun auftut, wird auf jeden Fall gefüllt werden, aber nicht durch die Wischiwaschi-Beilage, die ab Januar der Zeit beigefügt wird. Zum einen werden die Bistumszeitungen profitieren. Aber auch der Bedarf für eine überregionale Wochenzeitung, die Orientierung in weltanschaulicher Hinsicht gibt, ist da. „Es muß ein starkes, christlich geprägtes publizistisches Organ in Deutschland geben“, findet Lohmann.

Die JUNGE FREIHEIT, die der Bischofskonferenz vergeblich ein Übernahmeangebot für den Rheinischen Merkur unterbreitet hat, kann diese Lücke zum Teil füllen, meint Wolfgang Ockenfels. Er betont, diese Zeitung wäre der „legitime Nachfolger des alten konservativen Rheinischen Merkur“. Eine Auffassung, die von anderen früheren RM-Mitarbeitern, wie Günter Zehm, geteilt wird.

 

Überregionale Wochenzeitungen

Die Zeit: Seit 1946, 629.523 Auflage*

JUNGE FREIHEIT: Seit 1994, 24.215 Auflage*

Preußische Allgemeine: Seit 1950, <18.000 Auflage**

Der Freitag: Seit 1990, 15.000 Auflage**

Jüdische Allgemeine: Seit 1946, 9.687 Auflage*

Rheinischer Merkur: 1946–2010, 68.626 Auflage*, wird 2011 Beilage

Wochenpost: 1953–1996, 105.000 Auflage, aufgegangen in „Die Woche“

Deutsches Allg. Sonntagsblatt: 1957–2000, 46.000 Auflage, eingestellt

Die Woche: 1993–2002, 135.827 Auflage, aufgegangen im Rhein. Merkur

* Laut IVW II/2010 **Verlagsangaben

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