© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/10 01. Oktober 2010
Massenmedien Vom genialen Erfinder und Autopionier Gottlieb Daimler ist ein gar hübscher Ausspruch überliefert: Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen, werde eine Million wohl nicht übersteigen, allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren. Es ist, wie wir wissen, völlig anders gekommen. In unseren Tagen hingegen müßte die Nachfrage nach qualifiziertem, glaubwürdigem und mithin verläßlichem Politikerpersonal nie gekannte Höhen erreichen. Eigentlich. Immerhin, das breite Bürgerpublikum hat sich trotz allem ein erstaunlich sicheres Gespür für vieles von dem bewahrt, was offenkundig gefährlich fehlgesteuert wird zu seinen Lasten. Denn längst erkennt die große Mehrheit der Normaldenkenden, daß die Deutungsmächtigen an den Schalthebeln von Politikbetrieb und Massenmedien ihren Urauftrag auf den Kopf stellen: Sie schaffen Scheinwirklichkeiten, anstatt umfassend zu berichten. Um so erfreulicher, daß Millionen Menschen hierzulande klar und vernehmlich ihre Stimme erheben inmitten jener Niedermachungsindustrie, die Martin Walser völlig zu Recht schon in den 90er Jahren geißelte. Selbst die Gefahr, gleichsam sarraziniert zu werden, schreckt sie dabei augenscheinlich nicht. Denkdiktate und Denkverbote das lehrt gerade auch die jüngere Geschichte schlagen am Ende noch stets auf deren Urheber zurück. In der CDU könne doch jeder seine Meinung sagen, versichert Kanzlerin Angela Merkel mit treuem Augenaufschlag. Das klingt wie einst Rosa Luxemburgs legendäre und seither fälschlich als allgemeingültig verklärte Bekundung, wonach Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden sei. In Wahrheit nämlich meinte sie (nur) die (Meinungs-)Freiheit Andersdenkender in der eigenen Kommunistischen Partei. Über Thilo Sarrazin brach die CDU-Kanzlerin und mit ihr der schnaubende Mainstream-Troß in Politik und Presse den Stab, ohne das Buch des Störenfrieds überhaupt zur Hand genommen und vollständig gelesen zu haben, wie Merkel kalt und trocken verkündete. Das spiegelt mehr als nur einen Mangel an Fairneß unter Demokraten wider. Hier wird ein befremdlicher Kulturverlust selbst in den höchsten Amtsrängen unseres Gemeinwesens sichtbar. Und leider zu viele Medien finden nichts dabei.
Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim Westfalen-Blatt in Bielefeld und ist nun freier Journalist Foto: »Um so erfreulicher, daß Millionen Menschen hierzulande klar und vernehmlich ihre Stimme erheben« |