© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Ethnologe im Großstadtdschungel
Unter Linken: Dem Buch des „Spiegel“-Redakteurs Jan Fleischhauer folgt jetzt sein gleichnamiger TV-Film
Baal Müller

Politische Sachbücher, die die Folgen linker Politik anprangern, führen plötzlich Bestsellerlisten an: Erhitzt „Deutschland schafft sich ab“, dessen Autor sich zum Leidwesen seiner Partei immer noch als Sozialdemokrat empfindet, derzeit die Gemüter, so hat „Unter Linken“ von Jan Fleischhauer im vergangenen Jahr den Zorn linker Medien auf sich gezogen. Immerhin geht der Spiegel – ob aus Toleranz oder im Vorfühlen eines beginnenden Umschwungs, sei dahingestellt – mit seinem Redakteur, der „aus Versehen konservativ wurde“, nicht so um, wie es in der SPD oder „unter Linken“ allgemein üblich ist. Beispiele dafür hat Fleischhauer, der in der Süddeutschen zu „einer Art Michael Moore von rechts“ aufgerückt ist (wobei er sich aussuchen kann, ob er dies als Lob oder Tadel oder beides zusammen verstehen möchte), in einem Film, der unter gleichem Namen an das Buch anknüpft, reichlich geliefert.

Als „Provokation“ empfindet ein pöbelnder Berufsrevoluzzer aus Kreuzberg den Auftritt einer dortigen Splitterpartei namens CDU am 1. Mai; und als Fleischhauer ihn auf die sonst so innig gepflegte Solidarität der Linken mit Minderheiten aufmerksam macht, kann er nur poltern, daß die CDU in Deutschland ja sonst keine Minderheit repräsentiere.

Blütenlese aus tabubewehrten Diskursen

Offenbar entscheidet sich die Verbrüderungswürdigkeit allein an quantitativen Fragen – nennt man das neuerdings „dialektischen Materialismus“? Und was wäre etwa mit der Minderheit der Holocaustleugner?

Man muß sie ja nicht gleich an einen staatlichen Sozialtropf hängen, aber zumindest verbal dürfen sie doch ein bißchen mit Gendergerechtigkeit gestreichelt werden, so daß auch die „HolocaustleugnerInnen“ in den Genuß des ihre Weiblichkeit betonenden „Binnen-I“ gelangen. Dies jedenfalls befindet eine für Fragen sprachlicher Gleichberechtigung zuständige junge Frau (wenn man das noch so sagen darf) bei einem antikapitalistischen Kongreß der Grünen Jugend.

Vor lauter Stolz über ihre Wichtigkeit hat die Nachwuchspolitikerin keinerlei Sinn für die Komik, die sich aus Fleischhauers scheinbar beflissener Frage, wie man bei Trans- oder Metrosexuellen zu verfahren habe, ergibt: Dort solle das I wieder kleingeschrieben und die Auflösung der Geschlechteridentitäten durch einen Grundstrich angezeigt werden, also „Holocaustleugner_innen“. Und zum Glück für alle, die sich keinem Geschlecht zuordnen können, gab es bei jenem Kongreß auch eine geschlechtsneutrale Toilette. Endlich konnten diese Menschen einen geeigneten Abort aufsuchen, was – so die Genderbeauftragte – vorher nicht möglich war, so daß dem Übel der intersexuellen Verzweiflungspinkler, die in öffentlichen Anlagen stehen oder hocken (wie nun eigentlich?) Abhilfe geschaffen wurde.

Stets interessiert und höflich-ironisch nachfragend, bewegt sich Fleischhauer wie ein Ethnologie, der wunderliche Gebräuche studiert, durch den Großstadt-dschungel und präsentiert eine Blütenlese aus tabubewehrten Szenarien und „Diskursen“ über Toleranz, Gerechtigkeit, Opfer und Opferhierarchien: Genügt ein Mahnmal für die im Dritten Reich ermordeten männlichen Homosexuellen, oder benötigt man aus Gleichberechtigungsgründen auch eines für lesbische Frauen, obwohl kein solches Opfer historisch bezeugt ist?

Auch Wirtschafts- und Sozialpolitik dürfen nicht fehlen: Ein grüner Jüngling empfiehlt die Abschaffung des Kapitalismus durch die Verrechnung von Arbeitszeiten, gerät aber bei der Frage nach den Arbeitserzeugnissen ins Stocken: Dann müsse der Arbeiter in China, der ein iPad herstellt, eben etwas Passendes von seinem westlichen Tauschpartner angefertigt bekommen. – Was aber, wenn ihm etwa dessen selbstgestrickte Jacke gar nicht gefällt?

Mehr von Wirtschaft versteht zweifellos der Regisseur Claus Peymann, der sich die Interviewminuten, in denen er über seine Einkünfte spricht, mit 500 Euro vergüten läßt. Er lebe nicht verschwenderisch, gehe aber gerne gut essen, verdiene rund 220.000 Euro im Jahr und damit zu seinem großen Ärger deutlich weniger als in Wien und sehe überhaupt keinen Widerspruch zwischen seinem revolutionären Anliegen und den 120 Millionen staatlicher Subventionen, die er bislang für das Berliner Ensemble erhalten habe, denn für „anderen Blödsinn“ werde noch viel mehr Geld rausgeworfen; und überhaupt sei der bedeutendste Theaterdirektor Berlins wesentlich wichtiger als der Bundespräsident. Denkt man an den amtierenden Herrn Wulff, möchte man gar nicht so laut losprusten wie im ersten Moment und zuckt nur still mit den Schultern.

Verglichen mit dem aufgeblähten Theaterfürsten wirken andere Greise wie Kabarettgroßvater Dieter Hildebrandt oder selbst der Altgrüne Hans-Chri­stian Ströbele geradezu sympathisch und hilfsbedürftig, besonders wenn letzterer, der einen gutherzigen Kampf gegen McDonald’s und ungesunde amerikanische Fritten führt, sich vom hinterlistigen Fleischhauer beinahe auf nationalistisches Glatteis locken beziehungsweise die bestürzende Annahme im Raume stehen läßt, daß deutsche Pommes aus einer benachbarten Imbißbude etwa gesünder sein könnten.

Möchte man dem etwas konfusen, knitterigen Herrn in diesem Augenblick „Klopse“ zurufen – wie leicht hätte er sich durch den Verweis auf die Regenwälder, die zwecks Fleischproduktion abgeholzt werden, aus der Affäre ziehen können –, so rutschen einem bei Verdi-Chef Frank Bsirske andere Worte auf die Zunge, wenn er sich über die Frage echauffiert, ob er sich bei den Polizisten, die während einer von Verdi organisierten Demonstration durch Brandsätze schwer verletzt wurden, entschuldigt habe. Man stelle sich vor, dasselbe wäre bei einer Demonstration, die nicht „unter Linken“ stattgefunden hätte, passiert – ein Schelm, wer an Verbotsforderungen denkt!

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