© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Der mit den Wölfen heult
Ohne Stil und Staatsidee: Eine erste Bilanz der Amtszeit von Bundespräsident Christian Wulff
Thorsten Hinz

Seit fast drei Monaten ist Christian Wulff der Hausherr von Schloß Bellevue, doch noch immer fällt es schwer, seinen Namen in einem Atemzug mit dem Amtstitel zu nennen. Mit einem Bundespräsidenten verbinden sich nun mal bestimmte Erwartungen. Weil seine politischen Kompetenzen so gering sind, kann er nur Format gewinnen, wenn er Distanz zum politischen Tagesgeschäft hält und Fragen und Probleme anspricht, die perspektivisch über den Tag hinausreichen. Zugleich zählen seine persönliche Autorität und Reife, seine Ausstrahlung.

Ein Amtsinhaber erlangt präsidiale Würde, wenn er fähig ist, mit und durch seine Person eine anspruchsvolle Idee vom Staatsganzen auszudrücken. Unabhängigkeit und Souveränität gegenüber allen Versuchen, von Partikularinteressen und vom Politik- und Medienbetrieb vereinnahmt zu werden, sind die Voraussetzung dafür.

Christian Wulff ist bisher nur eines gelungen: In kürzester Zeit hat er alle Negativ-Erwartungen erfüllt und sich als so schwach, willfährig, stromlinienförmig und beschränkt erwiesen, wie Skeptiker das angesichts seines Werdegangs vorhergesagt hatten. Unsicher und desorientiert, ohne inneren Kompaß, kann er anderen keine Orientierung geben. Stets tritt er auf diejenige Seite, wo er die Mehrheit vermutet und betätigt sich so als Populist im schlechtesten Sinne. Sein Vorgänger Horst Köhler hatte hin und wieder versucht, denen eine Stimme zu geben, die unter der Arroganz der Macht leiden. Wulff dagegen heult mit den Wölfen.

Als Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland, der unter der Loveparade-Katastrophe sichtlich leidet, für die Presse und Volkswut als Sündenbock diente, trat Wulff nach und forderte ihn indirekt zum Rücktritt auf, wohlwissend, daß dieser arme, überforderte Tropf, der mit der Parade ein bißchen Farbe in seine niedergehende Stadt bringen wollte, wegen der verzwickten Gesetzeslage damit die gesamte Altersversorgung verlieren würde. Kurz darauf folgte sein Vorstoß in der Causa Sarrazin. Auf der Welle medialer Empörung reitend, drängte er die Bundesbank, sich von dem Kritiker der verfehlten Ausländerpolitik zu trennen.

Das war neben der Kompetenzverfehlung und -überschreitung vor allem peinlich. Gewiß, hinter dem katastrophalen Presseecho steckte die Absicht, die über die Anti-Sarrazin-Kampagne empörte Leserschaft zu beschwichtigen, doch es gab einen zweiten Grund: Selbst die lautesten Kritiker des Bundesbankvorstandes berührte es unangenehm, wie das Staatsoberhaupt als oberste Klassenpetze agierte. Um eine mögliche juristische Niederlage zu vermeiden und Thilo Sarrazin den Weg in eine ehrenhafte Pensionierung zu ebnen, mußten Wulff beziehungsweise seine engsten Mitarbeiter sich noch tiefer in die Niederungen des politischen Alltags begeben und sich wie Winkeladvokaten in die Verhandlungen über Sarrazins Versorgungsansprüche einschalten. Er hätte nur als „Mediator“ gewirkt, beteuert Wulff. Gewiß, aber in eigener Sache.

Sarrazin ließ ihn noch dümmer aussehen, als er verkündete, sein Rückzug aus der Bundesbank sei mit Rücksicht auf Wulff erfolgt, dem er eine Beschädigung ersparen wollte. In einer Zeit, da die politische Klasse nur noch als selbstbezogene Oligarchie wahrgenommen wird, die den Staat herunterwirtschaftet, steht der Hausherr des Schlosses Bellevue nicht über ihr, sondern taumelnd in ihrer Mitte und repräsentiert ihre Mediokrität.

Hat dieser Mann verdient, daß man ihn einen Bundespräsidenten nennt? Zur Zeit jedenfalls liegen Begriffe näher wie „Bundes-Bubi“ oder „Muttis Großer“ (der von Merkels Gnaden amtiert und handelt) oder auch „Blödel-Krischan“ – wegen seiner Rhetorik, die sich einem vermeintlich modernen Zeitgeist anbiedert. Seine Versuche, durch Haltung, Wortwahl, Stimmführung und Redefluß bedeutungsvoll zu wirken und eine präsidiale Aura auszustrahlen, wirken angespannt und unecht. In Momenten der Bewährung fallen sie in sich zusammen, weil nichts dahintersteht: kein Comment, keine Überzeugung, kein geistiges Hinterland. Der 51jährige Wulff hat – wie die allermeisten Politiker seiner und der jüngeren Generation – nichts außerhalb der Politik, worauf er sich stützen, woraus er schöpfen könnte.

Das unterscheidet ihn von seinen Vorgängern, die alle irgendeine Eigenschaft oder Spezialkenntnis besaßen, die sie in ihre Amtsführung einbringen konnten und die ihre Wahl zum Staatsoberhaupt rechtfertigte: Horst Köhler besaß eine profunde Kenntnis wirtschaftlicher und finanzpolitischer Zusammenhänge. Die pastorale Rhetorik von Johannes Rau fiel zwar aus der Welt und verfehlte den politischen Kern der Probleme, doch aus ihr sprach eine ehrliche, den Menschen zugewandte Frömmigkeit, die jeder respektierte. Roman Herzog war ein hochgebildeter Rechtsprofessor und Richard von Weizsäcker durch die Herkunft aus guter Familie für die ersatzmonarchische Attitüde prädestiniert, durch welche die Deutschen sich überwiegend gut vertreten fühlten. Wulff jedoch ist ein Polit-Apparatschik und sonst gar nichts.

Wenn er jetzt larmoyant nach „Respekt“ für das Amt des Bundespräsidenten ruft, muß man ihm entgegenhalten, daß er selber den Respekt vermissen ließ, als er seine Kandidatur erklärte und sich von einer rein taktisch motivierten Mehrheit in der Bundesversammlung wählen ließ. Beim ersten Gegenwind führt er sich auf wie ein Buchhalter, der darauf pocht, daß die vertraglichen Konditionen seines neuen Beschäftigungsverhältnisses eingehalten werden.

Wulffs persönliche Möglichkeiten, präsidiale Wirkung zu entfalten, sind bescheiden. Mit der Bezeichnung Deutschlands als einer „bunten Republik“ in seiner Antrittsrede am 2. Juli hat er sich zu einer Kindergeburtstagsrhetorik bekannt, wie sie in den 1980er Jahren bei den Grünen gepflegt wurde. Wulff muß damals sehr darunter gelitten haben, daß man ihn nicht dazu einlud, weil CDU-Nachwuchsfunktionäre als potentiell reaktionär galten. Um künftig dabeisein zu dürfen, wurde er zu einem sogenannten Modernisierer und hat auch die persönliche Modernisisierung so weit vorangetrieben, daß er jetzt eine Tattoo-Trägerin an seiner Seite als Erste Dame des Staates präsentiert.

Stellt die öffentliche Figur des Christian Wulff – gerade weil sie ohne Stil und Würde daherkommt – das dar, was aus dem Land inzwischen geworden ist?

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