© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Probleme vertagt
Sarkozys Roma-Politik: Kritik aus dem Ausland – Sympathien im Inland
Friedrich-Thorsten Muller

Der Schlagabtausch zwischen Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und der EU-Justiz-Kommissarin war der vorläufige Höhepunkt des seit Monaten schwelenden Roma-Streits, der sich durch die knapp angenommene EU-Parlaments-Resolution, die Frankreich zur Einstellung seiner Abschiebungen von Roma nach Rumänien auffordert, manifestiert hatte. Tage später hatte Viviane Reding Paris aufgrund der Abschiebungen südosteuropäischer Roma in die Nähe des Dritten Reichs gerückt. Durch die Drohung der Luxemburger EU-Kommissarin, wegen des Themas gegen Frankreich ein EU-Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, war der Streit eskaliert.

Allerdings lieferte Reding dem französischen Präsidenten für den EU-Gipfel vom vergangenen Donnerstag eine Steilvorlage, um sich innenpolitisch zu profilieren. Die Franzosen sind bekanntlich sehr sensibel, was Einmischungsversuche aus Brüssel betrifft. Sarkozy warf dem EU-Kommissionschef José Manuel Barroso vor, daß die Kommission mit Redings Äußerungen „Frankreich verletzt“ habe. Gleichzeitig versuchte er noch Kanzlerin Merkel mit angeblich in Deutschland ebenfalls bevorstehenden Auflösungen von Roma-Lagern als Kronzeugin anzurufen. Auch wenn sich José Manuel Barroso recht resolut gegenüber dem französischen Präsidenten behauptete, sah sich die EU-Kommission in Sachen Vergleich gezwungen, zurückzurudern. Man beschloß eine Vertagung des Themas. Gleichzeitig sicherte Frankreich zu, keine Pauschalabschiebungen von Roma, sondern nur personenbezogene vorzunehmen. Ein zuvor entsprechend zu interpretierender Erlaß des französischen Innenministers Brice Hortefeux zur Auflösung der Lager wurde einkassiert und am 13. September durch einen „unmißverständlicheren“ ersetzt, in dem die Roma nicht mehr ausdrücklich erwähnt werden.

Verdreifachung der Straftaten durch Rumänen

Im Ausland mußte Nicolas Sarkozy mit seiner Politik damit eher eine Niederlage nach Punkten wegstecken. Lediglich Silvio Berlusconi unterstützte ihn offen. Sonst hagelte es Kritik, geäußert vom Papst bis hin zu Fidel Castro. Gleichwohl fiel die Ablehnung der europäischen Regierungen auch aufgrund der Entgleisungen der EU-Kommissarin Reding relativ moderat aus. Es gab vielfache diplomatisch formulierte Hinweise auf die Notwendigkeit, europäische Verträge und die Menschenrechte einzuhalten, aber auch stille Sympathien für die Zurückweisung der polemischen Anwürfe der EU-Kommissarin Reding. Selbst die rumänische und bulgarische Regierung als direkt Betroffene hielten sich mit Kritik auffallend zurück.

Auffallend gut scheint es dagegen um die innenpolitische Ausbeute bestellt zu sein. Zwar wurde Sarkozy für seine polemische Entgegnung, Viviane Redings Heimatland Luxemburg möge doch die Roma aufnehmen, von der Opposition heftig kritisiert – der grüne EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit sprach davon, daß Sarkozy zu einem französischen Berlusconi mutiere.

Doch die Zustimmung in der Blogger-Szene und Meinungsumfragen zeichnen ein anderes Bild: Der konservative Le Figaro veröffentlichte eine Umfrage. Demnach gibt es in Frankreich eine Zustimmung von 65 Prozent zur Abschiebung von „Roma ohne Aufenthaltserlaubnis“ nach Rumänien. Im scheinbaren Widerspruch dazu steht lediglich eine von der Wochenzeitung Sud Ouest Dimanche erstellte Meinungsumfrage, nach der 71 Prozent der Franzosen der Meinung seien, daß sich das Bild Frankreichs im Ausland in den vergangenen Wochen verschlechtert habe. Allerdings sagt diese Umfrage nichts dazu aus, ob den Franzosen ihr Ansehen im Ausland wichtiger ist, als die Lösung der Roma-Problematik und warum sich das Ansehen verschlechert habe.

Denn in einem Punkt scheint man sich in Frankreich dann doch weitgehend einig zu sein: Seit im Juli etwa 50 Roma mit Eisenstangen den Polizeiposten von Saint-Aignan angegriffen haben, leugnet niemand mehr, daß es in Frankreich ein großes Problem der kleinen und mittleren Roma-Kriminalität gibt. Das französische Innenministerium spricht von einer Verdreifachung der Straftaten durch Rumänen (insbesondere Roma) in zwei Jahren. Besonders augenfällig ist dabei, daß 40 Prozent der festgenommenen Roma Minderjährige sind.

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