© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Politisch korrekte Säuberungen
Umbenennungen: Mit gezielten Kampagnen wird versucht, in deutschen Städten „belastete“ Straßen- und Schulnamen zu tilgen
Marcus Schmidt

Die Riesengebirgsschule in Berlin-Schöneberg trägt seit dem Wochenende den Namen des Sprachbuchverlegers Gustav Langenscheidt. Die Umbenennung erfolgte geräuschlos. Am Sonnabend hatte die Schule zu einer kleinen Feier mit Musik und Kaffee und Kuchen geladen. Das war’s.

Anlaß für den Namenswechsel war nach Angaben der Schulleiterin die Umwandlung der Schule in eine „integrierte Haupt-/Realschule“. Der „Neustart“ sollte mit einem neuen Namen bekräftigt werden. Und man ahnt, daß die Schulleitung dankbar war, auf diese Weise den sperrigen Namen des schlesischen Mittelgebirges, mit dem keiner mehr etwas anfangen konnte und der im Schulalltag längst keine Rolle mehr gespielt habe, still und leise loszuwerden. Es scheint, als habe der Name, den die Schule seit den fünfziger Jahren trug, einfach nur gestört.

Der Fall steht stellvertretend für zahlreiche Umbenennungen in Deutschland, mit denen seit einigen Jahren die Stadtpläne nach politisch und historisch korrekten Kriterien umgeschrieben werden. Nicht immer geht es dabei so reibungslos zu wie bei der Riesengebirgsschule, häufig gehen der Namensänderung gezielte Kampagnen, jahrelange Diskussionen und Proteste voraus. Doch am Ende sind die meisten Initiativen erfolgreich.

Erfolgreiche Gegenbewegung in Darmstadt

Im Mittelpunkt stehen dabei neben Schulen zumeist Straßen, deren Namensgeber in den Verdacht geraten sind, „historische Schuld“ auf sich geladen zu haben, etwa wegen tatsächlicher oder angeblicher Verstrickungen in der Zeit des Nationalsozialismus. Derzeit ganz vorne dabei: Paul von Hindenburg. Dem Volkshelden des Ersten Weltkrieges und späteren Reichspräsidenten wird von seinen Gegnern vorgeworfen, daß er 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hat und damit die Verbrechen der Nationalsozialisten eigentlich erst möglich gemacht habe. Noch sind 444 Straßen und Plätze in Deutschland nach Hindenburg benannt, hinzu kommen noch einige Schulen. Doch in jüngster Zeit häufen sich die Initiativen zu Umbenennungen (siehe Kasten). Auch weit oben auf der Liste der Bilderstürmer steht der Name der ostpreußischen Dichterin Agnes Miegel (noch 101 Straßen und Plätze), der ihre Nähe zum Nationalsozialismus vorgeworfen wird, sowie sämtliche Namen, die an Personen erinnern, die mit den früheren deutschen Kolonien in Verbindung stehen.

Aber welcher Name gerade auf der Abschußliste steht, ist eigentlich egal: Die Kampagnen laufen fast immer nach dem gleichen Muster ab (siehe auch die Reportage auf Seite 10). Zunächst wird der jeweilige Straßen- oder Schulname von Initiativen oder Einzelpersonen öffentlichkeitswirksam „problematisiert“. In entsprechenden Publikationen und Zeitungsartikeln wird dann über die Hintergründe und vermeintlich dunkle Kapitel in der Biographie „aufgeklärt“. Sehr schnell finden sich Unterstützer in den entscheidungsrelevanten Gremien (Stadtrat, Bezirksversammlung) bei der SPD, den Grünen und natürlich bei der Linkspartei und anderen linken Gruppen. Ebenso regelmäßig bleibt der Widerstand von Union und FDP zumeist verhalten. Nicht selten reihen sich deren Vertreter nach anfänglichem Zögern um des lieben Friedens willen in die Reihe der Umbenenner ein.

Dabei zeigt ein Beispiel aus Darmstadt, daß der Widerstand gegen ideologisch motivierte Umbenennungen nicht aussichtslos ist. Dort verhinderte 2007 der Protest von Bürgern, daß die Hindenburgstraße umbenannt wurde. Die eigens gegründete Bürgerinitiative „Pro Hindenburgstraße“ versuchte gezielt die Anwohner für die Beibehaltung des Namens zu gewinnen. Der Name Hindenburg müsse als Teil der Gedenkkultur der Gesellschaft respektiert werden. Die Argumente der Umbenennungsbefürworter, die Hindenburg als Wegbereiter Hitlers sahen, kritisierten die Initiatoren als historisch nicht tragbar. In einem Flugblatt verwiesen sie darauf, daß Hindenburg in der Weimarer Republik zweimal zum Präsidenten gewählt wurde und sein Amt verfassungstreu und unparteiisch ausgeübt habe. Eine historische Person wie Hindenburg müsse aus ihrer Zeit heraus beurteilt werden. Auf scharfe Kritik der Initiative stieß, „daß selbsternannte ‘historische Fachleute’ in Presse und Politik die Deutungshoheit über die wissenschaftliche Forschung beanspruchten und diese im Sinne ihrer so verstandenen politischen Korrektheit gar behindern oder zensieren wollten“.

Die Strategie war erfolgreich. Lediglich zwei Bürger stimmten bei der entscheidenden Anwohnerbefragung für die Umbenennung. Daß nicht alle Anwohner aus Sympathie für Hindenburg für die Beibehaltung des Namens stimmten, räumen die Initiatoren freimütig ein. Manche hätten einfach Kosten und Behördengänge vermeiden wollen. Doch der erfolgreiche Kampf der Darmstädter Initiative ist bislang die Ausnahme. Meistens sind die Gegner unorganisiert. Die Befürworter von Umbenennungen haben zudem in der Regel den längeren Atem.

Nicht immer reicht es ihnen, einer Straße einfach einen neuen Namen zu geben. Besonders deutlich ist das in München zu beobachten. In der 2006 in Hererostraße umbenannten Von-Trotha-Straße im „Afrikaviertel“ werden Anwohner und Passanten auf einer Tafel unter der Überschrift „Kolonialgeschichte offenlegen“ darüber belehrt, daß es sich bei dem Namensgeber um einen Volksstamm handelt, dessen Aufstand gegen die „koloniale Fremdherrschaft des Deutschen Reiches in einem Vernichtungskrieg von deutschen Kolonialtruppen unterdrückt wurde“.

Noch sind übrigens in Deutschland drei Straßen und Plätze mehr nach Paul von Hindenburg als nach Ernst Thälmann benannt. Doch es gehört nicht viel Phantasie dazu sich auszurechnen, daß der Kommunistenführer, der die Weimarer Republik aktiv bekämpft hat, den Reichspräsidenten bald überflügelt.

 

Beispielhafte Umbenennungen: „Die Narbe Langemarck getilgt“

München: Nach einem jahrelangen Streit ist im Mai die nach dem früheren evangelischen Landesbischof Hans Meiser benannte Meiserstraße in Katharina-von-Bora-Straße umbenannt worden. Dem Bischof wurden antisemitische Äußerungen vorgeworfen. Ein Enkel Meisers scheiterte vor Gericht mit einer Klage.

Solingen: Mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linkspartei wurde im Januar der Hindenburgplatz in Pina-Bausch-Platz umbenannt. Eine Bürgerinitiative kämpfte für die Beibehaltung des Namens. Als Kompromiß heißt der Platz seit August nun Walder Marktplatz.

Trier: Das Hindenburg-Gymnasium in Tier trägt sei 2009 den Namen Humboldt-Gymnasium. Bereits seit 2005 heißt die Hindenburgschule in Nienburg „Marion-Dönhoff-Gymnasium“.

Saarlouis: Im Mai beschloß der Stadtrat von Saarlouis auf Initiative der Grünen, die Von-Lettow-Vorbeck-Straße aufgrund der „als problematisch zu bewertenden Vergangenheit des Generals“ in Walter-Bloch-Straße/Hubert-Schreiner-Straße umzubenennen.

Aachen: Die Graf-Schwerin-Straße wurde 2007 in Kornelimünsterweg umbenannt. Der Wehrmachtsgeneral gilt als „Retter von Aachen“. Anlaß der Umbenennung war der Vorwurf, Graf Schwerin habe nicht verhindert, daß zwei 14jährige wegen Plünderung erschossen wurden.

Hannover: Die Nachtigalstraße wurde nicht umbenannt, dafür aber umgewidmet. Statt an den Afrikaforscher Gustav Nachtigal (1835–1885), dem die Beteiligung am Erwerb der Kolonien Togo und Kamerun zum Vorwurf gemacht wird, erinnert die Straße nun an den Theologen und Märchenforscher Johann Karl Christoph Nachtigal (1753–1819).

Düsseldorf: Rechtzeitig zum 100. Schuljubiläum ist die Agnes-Miegel-Realschule in Düsseldorf in „Realschule Golzheim“ umbenannt worden. Den Namen Agnes Miegel trug die Lehranstalt laut der Schulgeschichte seit 1958 „auf allgemeinen Wunsch von Schülern, Eltern und Lehrern“.

Lahr: Die nach der gleichnamigen Schlacht des Ersten Weltkrieges benannte Langemarckstraße im badischen Lahr heißt seit dem 1. September Willy-Brandt-Straße. Der Schwarzwälder Bote zitiert den Oberbürgermeister Wolfgang Müller (SPD) mit den Worten, die „Narbe Langemarck“ sei aus dem Gesicht der Stadt getilgt worden.

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