© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

„Ein Potential von 20 Prozent“
Emnid ermittelte eine große Zustimmung für eine „Sarrazin“-Partei. Doch nun läßt diese auf sich warten ...
Moritz Schwarz

Herr Schöppner, die „Zeit“ fragt diese Woche mit Blick auf die Debatte um die sogenannte Sarrazin-Partei: „Kommt was von rechts?“ – Und, kommt da was?

Schöppner: Darüber spekulieren seit Wochen alle – keiner kennt die Antwort. Weil eine Parteigründung mehr verlangt: Empathie und Engagement der „richtigen“ Leute.

Letzte Woche meldeten die Medien: „Klaus-Peter Schöppner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Emnid, sieht derzeit ein stabiles Wählerpotential von knapp zwanzig Prozent für eine neue rechtskonservative Partei.“

Schöppner: Wobei allerdings verschwiegen wurde, daß Potential nicht mit der realen Wählerschaft gleichzusetzen ist. Potential bedeutet, diese Leute „können sich vorstellen“, diese Partei zu wählen. Der tatsächliche Wähleranteil ist aber weit geringer. Die Grünen etwa haben ein Potential von etwa 37 Prozent, das schöpfen sie aber höchstens zur Hälfte aus. Die Volksparteien liegen bei etwa fünfzig Prozent, die sie dann aber etwa nur zu sechzig Prozent zu mobilisieren vermögen.

Und die neue Rechtspartei?

Schöppner: Bei einem Potential von zwanzig Prozent sind zehn bis zwölf Prozent real – wenn ihr der Start gelingen würde. Allerdings muß ich darauf hinweisen: Wir reden nicht über eine „rechtskonservative“, gar „Rechtsaußenpartei“, zumindest ist der derzeitige Wählerunmut so nicht zu verstehen.

Sondern?

Schöppner: Wir reden über eine Partei, die den alten konservativen Flügel der Union „abbildet“. Weil die Union für sie inzwischen zu stark in der eher linken Mitte angesiedelt ist. Der konservative Mitte-rechts-Wähler wird da politisch kaum mehr „mitgenommen“ und immer mehr eigentliche CDU-Wähler ziehen sich frustriert zurück. Das heißt aber nicht, daß sie eine Rechtsaußenpartei zu wählen bereit wären.

Dann ist die Fragestellung der „Zeit“ also falsch?

Schöppner: Ja, insofern als daß es kein Interesse an einer neuen politischen Richtung gibt, es geht eher um die politischen Positionen, die eigentlich CDU-Politik sind, aber von dieser nicht mehr vertreten werden.

Konkret?

Schöppner: Es geht um eine Partei, die zwei CDU-Aspekte kombiniert: eine stärkere ökonomische Ausrichtung, als die CDU sie unter Frau Merkel hat, die aber auch gleichzeitig sozial abgefedert sein soll.

Ist das nicht ein Widerspruch?

Schöppner: Nein, was die Bürger von der CDU wollen, ist eine Politik der Ambivalenz, der Waagen-Gerechtigkeit: Das heißt, sie wollen zum Beispiel durchaus, daß bildungsschwache Schichten gefördert werden – aber eben bitte nicht auf Kosten der Elitenbildung. Oder Beispiel Familienpolitik: Die Bürger sind auch für die Unterstützung unvollständiger Lebensgemeinschaften oder problematischer Elternhäuser, aber sie sind unzufrieden, daß die Politik gleichzeitig die traditionelle Familie vernachlässigt. Was die Einwanderung angeht: Die Deutschen wollen durchaus Ausländer integrieren und sie dabei auch unterstützen. Es ist also falsch, den Anhängern Thilo Sarrazins automatisch Ausländerfeindlichkeit zu unterstellen. Aber sie fordern gleichzeitig, daß die Ausländer entsprechend integrationswillig sind, und sie fordern vor allem, daß die politischen Parteien dies von den Ausländern einfordern. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik geht es darum, eine bessere Wirtschaftspolitik mit besserer sozialer Sicherheit zu verbinden. Ludwig Erhards Wort, „Geht es den Unternehmen gut, geht es auch den Beschäftigten gut“, gilt oft nicht mehr. Die Bürger wünschen sich daher nicht nur eine Stärkung der Wirtschaft, sondern auch Sorge für die Arbeitnehmerinteressen. Sozusagen die Renaissance der „Wenn-dann-Politik“!

Allerdings ist die aktuelle Debatte um eine neue Partei im Zuge des Streits um Thilo Sarrazin aufgeflammt. Geht es also nicht vor allem um Einwanderung und Integration?

Schöppner: Das meinen viele, aber das ist ein Irrtum. Tatsächlich steht dieses Thema nicht an erster Stelle.

Woran machen Sie das fest?

Schöppner: Bei der Frage, von welchen Politikern, die derzeit nicht politisch aktiv sind, sich die Bürger eine größere tragende Rolle wünschen würden, steht nicht etwa Thilo Sarrazin auf Platz Nummer eins, sondern Joachim Gauck gefolgt von Friedrich Merz. Das zeigt, daß ganz vorne der Wunsch nach einer besseren Wirtschaftspolitik steht, verbunden mit dem Thema soziale Verantwortung und Bürgersinn. Thilo Sarrazin erreicht übrigens hinter Roland Koch „nur“ Platz vier. Daß man dennoch leicht den Eindruck hat, Einwanderung und Integration seien die Top-Themen, liegt daran, daß diese stärker als die anderen Themen zu emotionalisieren vermögen.

Dann ist der Bergriff „Sarrazin-Partei“ auch falsch?

Schöppner: Ja, denn wenn eine neue Partei kommt, dann wäre sie nicht in erster Linie eine einwanderungskritische Partei. Ich sagte ja, wir sprechen nicht über das, was man gemeinhin eine „Rechtspartei“ nennt, sondern über eine Partei, die eher dem alten bürgerlich-konservativen Flügel der CDU entspricht.

Hat eine klassische Rechtspartei überhaupt noch eine Chance?

Schöppner: Gerade jetzt, wo die CDU die rechte Flanke öffnet, wäre der ideale Moment für eine klassische Rechtspartei. Die Union hat seit der letzten Bundestagswahl ein Drittel ihrer Wähler verloren – und dennoch tut sich da nichts. Das Thema „Rechtspartei“ steht zumindest derzeit nicht auf dem Plan.

Warum nicht? Gibt es die Wähler einer klassischen Rechtspartei nicht mehr oder gehen sie bloß nicht wählen?

Schöppner: Derzeit kann ich auch nur Vermutungen anstellen: Die negativen Erfahrungen der Wähler mit den Rechtsparteien bisher – Stichwort: Streitereien und Scheitern im parlamentarischen Alltag – sowie die offenbar große historische Sensibilität der Deutschen gegenüber Rechts scheinen hier zu wirken.

Anfang Oktober kommt Geert Wilders nach Deutschland. Er hat es geschafft, in Holland eine Rechtspartei zu etablieren – und zwar eine mit „Sarrazin“-Profil: Schwerpunkte sind Islamisierung, Einwanderung und Integration

Schöppner: Ich bin mit der Situation in Holland nicht im einzelnen vertraut, aber fest steht, die Deutschen haben eine andere politische Kultur und andere historisch-politische Erfahrungen als die Holländer. Denken Sie etwa jüngst an den Eklat um die „Alle wissen: Sarrazin hat recht!“-Plakate, die NPD-Abgeordnete während des Antrittsbesuchs von Bundespräsident Wulff am 1. September im Sächsischen Landtag hochgehalten haben. Das hat einen Eklat provoziert. Solche Eskalationen sind aber absolut nicht das, was die Wähler wollen. Die wünschen sich vielmehr konstruktives Verhalten und Problemlösung. Es gibt einfach keine Anzeichen dafür, daß eine Rechtspartei mit provokativem Auftreten derzeit Aussicht auf Erfolg in der deutschen Politik hätte.

Die neue konservative CDU-Partei kommt aber auch nicht, warum?

Schöppner: Weil das von Bedingungen abhängt, die bislang absolut nicht gegeben sind.

Die Wähler wollen sie, die Feuilletons konstatieren, sie liege in der Luft, die Politiker warnen bereits vor ihr – alle warten auf den großen Auftritt, doch bis jetzt: nichts. Das ist doch bizarr!

Schöppner: Nein, weil zu einer Partei-gründung mehr gehört, als nur die Unzufriedenheit der Wähler. Erst einmal fehlen Programm und vertrauenswürdige Köpfe, die dieses vertreten. Zudem: Konservative gehen nicht auf die Straße. Sie fordern nicht offensiv – sie wollen abgeholt werden.

Das heißt?

Schöppner: Offenbar wollen diese Wähler signalisieren, daß sie die Union grundsätzlich weiter als ihre politische Heimat ansehen, aber nicht „diese“ Union. Sie wünschen sich also nicht unbedingt eine neue Heimat, sondern würden es vorziehen, zurückgeholt zu werden.

Aber ohne den Druck einer neuen Partei scheint die Union dieses Signal nicht zu begreifen.

Schöppner: Na ja, es sind ja nun jüngst CDU-Entscheidungen gefallen, die in diese Richtung gehen.

Nämlich?

Schöppner: Etwa die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke oder Kürzungen auch bei Hartz IV. Das könnten erste Signale sein.

Die Konservativen erhalten mittlerweile Prügel im Wochenrhythmus: Erst die CDU-Angriffe auf Sarrazin, dann der Fall Steinbach und die Preisgabe der Wehrpflicht, die CDU-Verteidigungsexperte Ernst-Reinhard Beck zuvor noch zum „Bestandteil des ideologischen Grundgerüsts der Partei“ erklärt hatte. Und nun verlangte die Bundeskanzlerin am Wochenende laut „FAZ“, die Deutschen müßten sich in Zukunft an mehr Moscheen gewöhnen. Kann die Union den Konservativen denn noch deutlicher signalisieren: „Ihr seid uns egal!“?

Schöppner: Alles braucht seine Zeit, so auch die Besinnung in der Union, verstärkt konservative Positionen zu vertreten. So will sie künftig von den Ausländern mehr Integrationsbereitschaft verlangen. Für mich jedenfalls gibt es erste Anzeichen, daß man in den Parteigremien die Probleme zu erkennen beginnt und über die richtigen Reaktionen nachdenkt.

Während die neue konservative Partei weiter auf sich warten läßt, entwickeln sich ausgerechnet die Grünen mit derzeit sensationellen 18 Prozent zum Umfragewunder. Warum?

Schöppner: Die Grünen sind in der Wahrnehmung der Bürger die Partei der Bürgerlobby, ihnen wird die größte Bürgernähe zugebilligt.

Aber der Zuspruch der Deutschen für Sarrazin ist eine schallende Ohrfeige für die Grünen. Wenn er recht hat, werden diese als abgehoben offenbar: Realitätsverweigerer, die den Kontakt zum Alltag der Bürger längst verloren haben.

Schöppner: Tatsächlich liegt die Zustimmung zu den Sarrazin Positionen – ich meine nicht seine „Gen-Äußerungen“ – in validen Erhebungen bei etwa fünfzig Prozent. Das ist erheblich, läßt aber natürlich auf der Gegenseite auch Raum für andere Einstellungen.

Was passiert, wenn die neue konservative Partei nicht kommt?

Schöppner: Dann profitieren die anderen Parteien allesamt davon. Denn wenn für die CDU am konservativen Rand Wähler wegfallen, heißt das, daß die Stimmen für die anderen Parteien in ihrer Gewichtung steigen. Eine geringere Wahlbeteiligung erhöht jetzt schon den SPD-Anteil von 23 auf 28 Prozent, ohne daß sich deren absoluter Wähleranteil deutlich erhöht.

Oder profitiert die Linkspartei? Immerhin, so werden Sie im „Focus“ zitiert, würde eine „Sarrazin“-Partei erstaunlicherweise den meisten Zuspruch von Wählern dieser Partei erhalten: Laut Emnid könnten sich satte 29 Prozent der Linkspartei-Wähler vorstellen, für eine „Sarrazin“-Partei zu stimmen.

Schöppner: Die Linkspartei hat ein Wähleraufkommen von etwa zehn Prozent. 29 Prozent davon bedeutet ein Potential von zwei bis drei Prozent für eine „Sarrazin“-Partei aus diesem Lager. Die Linkspartei ist eben auch die „protesthaltigste“ Partei: Sie hat nun mal nicht nur Wähler, die sie aus ideologischen oder utilitaristischen Gründen wählen, sondern auch solche, die gegen vieles protestieren.

Oder wäre die NPD der Profiteur eines Ausfalls der neuen konservativen Partei?

Schöppner: Daß sich der Anteil der NPD-Wähler – oder der der übrigen Sonstigen – dadurch signifikant erhöhen könnte, dafür haben wir bis jetzt keine Anzeichen.

Ihr Tip, kommt die neue konservative Partei oder nicht?

Schöppner: Nach den ersten Absagen von Politikern wie zum Beispiel Friedrich Merz bleibt der Union genügend Zeit, ihren Anspruch als Volkspartei in die Tat umzusetzen. Dazu gehört das Prinzip der Ambivalenz, also christlichen, sozialen, aber auch konservativen Wählern eine Heimat zu bieten.

 

Klaus-Peter Schöppner ist Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid ( www.emnid.de ). Schöppner kommentiert immer wieder in Fernsehen, Rundfunk und zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften wie Spiegel, Focus, Welt oder Wirtschaftswoche. Außerdem moderiert er die Sendung „Emnid“ seit 1995 auf n-tv, seit 2005 beim Nachrichtensender N24. Er war Berater des Bundespräsidialamtes, verschiedener Landesregierungen, Parteien und großer Unternehmen und nahm Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen wahr. Geboren wurde er 1949 in Münster, studierte Psychologie, Publizistik und Betriebswirtschaftslehre und schloß als Stipendiat unter der Schirmherrschaft Elisabeth Noelle-Neumanns ab. 1975 Eintritt in das Emnid-Institut, seit 1991 ist er einer von drei Geschäftsführern.

 

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