© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Im Geiste Orwells
Politisch korrekte Umbenennungen deformieren unser historisches Bewußtsein
Martin Lichtmesz

Was liegt an einem Namen? Niemand konnte sich anno 2007 mehr so recht erinnern, nach wem das Gröbenufer in Berlin-Kreuzberg nun eigentlich benannt worden war. Die in Frage kommenden Herren Otto Friedrich von der Groeben (1657–1728) und Karl Graf von der Gröben (1788–1876) sind heute beide gleichermaßen vergessene Preußen. Die Grünen ließen im Zuge eines Straßenumbenennungsantrags extra ein historisches Gutachten erstellen, um den Erstgenannten als Namensgeber dingfest zu machen: Die Straße war also nach dem Leiter einer im Auftrag des Großen Kurfürsten durchgeführten Westafrika-Expedition benannt worden, dem Begründer einer winzigen Kolonie im heutigen Ghana, die seit 1717 nicht mehr existiert.

Für die Grünen war dies Anlaß genug, um von der Groeben aus der Gruft zu zerren und als „Kolonialverbrecher“ anzuprangern, dessen Andenken schleunigst getilgt oder zumindest „kritisch kommentiert“ werden müsse. Ein Ersatz stand schon parat: die obskure „afrodeutsche“ Aktivistin May Ayim, deren tragisch zerrissenes Leben 1996 durch Selbstmord endete, Pionierin einer pseudowissenschaftlichen, quasi-rassistischen Kulturkampfsparte namens „Kritische Weißseinsforschung“. Nach einem fast dreijährigen Hickhack wurden im Februar 2010 die neuen Straßenschilder angebracht. Die einschlägig berüchtigte Amadeu-Antonio-Stiftung feierte den ikonoklastischen Akt als „Perspektivenwechsel“ und als entscheidenden Schritt, mal wieder das Verbrecheralbum der deutschen Geschichte zu erweitern. So viele Straßen, Plätze, Einrichtungen und Schulen, die noch gesäubert und umgewidmet werden müssen, so viele Leichen, die noch auszugraben sind, um über sie eine rituelle Damnatio memoriae zu verhängen, so viele potentielle nachrückende Symbolfiguren, die nun stattdessen die öffentlichen Räume besetzen sollen!

Dabei wird natürlich mit stramm-ideologischer Checklistenmentalität vorgegangen. Und das auf der plattestmöglichen Ebene der Schlagzeilen, Schlagworte, simplifizierenden Verkürzungen und Hetzparolen, die den öffentlichen Diskurs pawlowsch steuern, eben jenen politischen Begriffen, vor denen frei nach Gottfried Benn „hündisch gekrochen“ werden soll. Was man nun vielleicht als Bezirksposse abtun könnte, hat einen ernsten Hintergrund und wird als solcher von seinen Betreibern auch gewertet, die eine scharfe Sensibilität für Symbol- und Repräsentationspolitik besitzen. Was hier geschieht, erinnert nicht nur an die erinnerungs- und traditionsfeindliche Praxis totalitärer Staaten: es ist ein und derselbe doktrinäre Ungeist, der hier am Werk ist. Einen Vorgeschmack auf das Kommende gibt die mitunter skurrile Monotonie, mit der sich auf dem ehemaligen Staatsgebiet der DDR die Luxemburg-, Liebknecht- und Bebel-Straßen aneinanderreihen, über deren Namensgebung man sich offenbar nicht unnötig den Kopf zerbrechen muß. Steigt die sich abzeichnende Tendenz, so werden uns Oury Jalloh, Mumia Abu-Jamal oder Frantz Fanon bald an jedem Eck begegnen, um den abgehalfterten weißen Mann beständig an seine vermeintliche Erbschuld gegenüber jenen zu erinnern, die nun – unter massivem Druck der rot-grünen Einwanderungslobby – ihren Anteil am westlichen Kuchen einfordern. Im Fluchtpunkt dieser „Perspektive“ sollen sich die solchermaßen Angeklagten endgültig aus fremden Interessenlagen heraus wahrnehmen. Das ist Teil einer Strategie, die auf die allmähliche Entmachtung und Identitätsschwächung der (Noch-)Mehrheit, des deutschen Staatsvolkes, abzielt. Neben den nach deutschen Sozialisten benannten Straßen aus DDR-Zeiten erinnern Puschkin-Alleen und Maxim-Gorki- oder Ilja-Ehrenburg-Straßen auch daran, daß Straßenumbenennungen zu den Mitteln der kolonialen Eroberung gehören. Das politische Ziel der Durchsetzung einer multikulturellen Gesellschaft ist nichts anderes als eine gegenkoloniale Offensive, verpackt in eine Rhetorik, die die geistig, materiell und räumlich Kolonialisierten blind für ihre eigene Lage machen soll.

Der Fall des Göben-Ayim-Ufers war in diesem Symbolkampf weder der erste, noch wird er der letzte sein. Unter rot-grüner Führung wurde nun in Hannover die Lettow-Vorbeck-Allee in „Namibiastraße“ umbenannt, weil sich der Namenspatron General Paul von Lettow-Vorbeck (1870–1964), wie man nun herausgefunden haben will, „durch menschenverachtendes Verhalten schuldig gemacht“ hat. Dieser Kommandeur der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika war nun gewiß alles andere als ein Heiliger; aber schon der inflationäre Gebrauch der Vokabel „Menschenverachtung“ verweist auf spezifische ideologische Hintergründe und Absichten.

„Menschenverachtend“ kann willkürlich alles sein, was nicht den Vorgaben eines politisch korrekten Zeitgeistes entspricht, kann alles sein, was nicht einer politisch „gesäuberten“ deutschen Geschichte entspricht, kann alles sein, was nicht in die Parteilinie der Interessierten paßt, kann alles sein, was mit deutschem Selbstbewußtsein und deutscher Selbstbehauptung zu tun hat. Anfang des Jahres wurde ernsthaft diskutiert, ob Ernst Moritz Arndt ein würdiger Namenspatron der Greifswalder Universität sei; im Februar veröffentlichte der Norddeutsche Rundfunk im Internet eine vorläufige Karte mit „kontaminierten“ Schulnamen, sarkastisch mit Frakturschrift und Eichenlaub verziert: unter ihnen Agnes Miegel, Wernher von Braun, Peter Petersen, Rudolf Dietz, Ferdinand von Sauberbruch. Wenn diese erledigt sind, werden sich gewiß noch mehr finden lassen. All das sind Symptome einer fortschreitenden kulturellen Selbstausradierung der Deutschen, eines Verfalls des historischen Bewußtseins und Denkens, wie des Denkens überhaupt. Und natürlich Teil einer Taktik, die Orwell auf den Punkt gebracht hat: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“

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