© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Die Stunde der Straßenkämpfer
Viele politische Wortführer der Grünen stammen aus dem linksextremistischen Milieu der Hausbesetzer im Frankfurter Westend
Werner Olles

Es war der 19. September 1970: Eine Gruppe von Studenten, Sozialarbeitern und Gastarbeitern führt in der Eppsteiner Straße im gutbürgerlichen Frankfurter Westend die erste Hausbesetzung durch. Nachdem sie in das Haus eingedrungen sind, verbarrikadieren sie Türen und Fenster, um eine Räumung durch die Polizei abzuwehren. An der Außenfassade bringen sie eine Wandzeitung an, auf der zu lesen ist: „Schluß mit der Zerstörung von Wohnungen! Dieses Haus ist besetzt – Wohnungen für Arbeiter und Studenten –  Gegen Mietwucher und Spekulation!“ Die erste Reaktion eines Passanten besteht, wie einer der Hausbesetzer später berichtet, in einer antisemitischen Empfehlung: „Wenn ihr was gegen die Spekulanten tun wollt, dann müßt ihr zuerst die Juden wegjagen!“

Linksextremer Protest mit antisemitischem Impetus

So begann vor vierzig Jahren der Frankfurter Häuserkampf, in dessen Verlauf es zu zahlreichen gewalttätigen Auseinandersetzungen linksradikaler Hausbesetzer mit der Polizei kam. Zwar scheiterten die Hausbesetzer bei ihren Unterwanderungsversuchen der „Bürgerinitiative Westend“, die friedlich gegen die Zerstörung der schönen alten Patrizierhäuser durch die vom SPD-Senat geförderten Spekulanten protestierte, doch Frankfurt wurde in dieser Zeit ein regelrechter Wallfahrtsort der radikalen Linken. In dieser aufgeheizten Atmosphäre begann auch der sich „antizionistisch“ tarnende Antisemitismus der Linken, da einige der Spekulanten jüdischen Glaubens waren.

Ein Jahr später, am 29. September 1971 besetzten Linksradikale eine zum Abbruch bestimmte Villa im Grüneburgweg. Da der Besitzer, der iranische Bankier Ali Selmi, auf der sofortigen Räumung bestand, brachen Polizeibeamte die Türen auf und stürmten das Gebäude. Vorausgegangen war eine mit erbitterter Härte geführte Straßenschlacht mit über 100 Sympathisanten, die den Eingang blockierten. Die Reaktion auf die Räumung folgte drei Tage später. Während 3.000 Demonstranten, begleitet von 600 Polizisten und mehreren Wasserwerfern, durch das Westend ziehen, werden an dem in der Nähe der Universität gelegenen Haus Bockenheimer Landstraße 111 rote Fahnen gehißt, aus den Fenstern ertönt revolutionäre Musik. Die Menge klatscht begeistert Beifall. Man hat offenbar einer neuen Hausbesetzung beigewohnt, schnell wird die Demonstration umfunktioniert in ein Straßenfest, das bis in die frühen Morgenstunden dauert.

Vorbereitet und durchgeführt hatte diese spektakuläre Aktion die Gruppe „Revolutionärer Kampf“ (RK) um Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer und Matthias Beltz. Das dem Immobilienmakler Ignatz Bubis gehörende Haus avancierte rasch zum Zentrum der Hausbesetzerszene. Hier gründete sich auch der legendäre „Häuserrat“. Zu einer lange befürchteten Konfrontation kam es Ende März 1973, nachdem ein Gerichtsvollzieher zuvor vergeblich versucht hatte, einen Räumungsbescheid für ein besetztes Haus im Kettenhofweg zu übergeben. Mehrere hundert gewaltbereite Sympathisanten verbarrikadierten die Straße mit Containern. Die anrückende Polizei wurde mit einem Steinhagel empfangen und konnte erst im Schutz von Wasserwerfern die Front der Randalierer durchbrechen. Am Abend wurden 48 verletzte Beamte gezählt, doch das Haus blieb auch weiterhin besetzt.

Nach diesem Polizeieinsatz erhielt die Hausbesetzerszene großen Zulauf. Wenige Tage später erschien in der Frankfurter Rundschau der Text eines Vorabdrucks des Romans „Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond“, in dessen Zentrum der Autor Gerhard Zwerenz den Konflikt um die Wohnraumzerstörung im Westend und den jüdischen Immobilienspekulanten Abraham stellte. Das Buch wurde später die Vorlage zu Rainer Werner Fassbinders Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“.

Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit als Rädelsführer

Noch im gleichen Jahr trat der Kampf um die besetzten Häuser in seine entscheidende Phase ein. Die Stadt konnte einen Räumungsbescheid für den Häuserblock Schumannstraße/Bockenheimer Landstraße durchsetzen, der jedoch erst Ende Februar 1974 nach mehreren von der Polizei inszenierten Scheinräumungen vollstreckt wurde. Fast geräuschlos gelang es einem Vorkommando, am frühen Morgen den Eingang zu räumen. Als die Alarmkette der Besetzer in Gang kam, befanden sich die ersten bereits auf dem Polizeipräsidium. Ein paar Stunden später lag ein erheblicher Teil der gutbürgerlichen Wohnhäuser in Trümmern.

Aus dem zwei Tage später folgenden Protestmarsch entwickelte sich eine Straßenschlacht, die an Heftigkeit alle anderen in den Schatten stellte. Alexander Kluge machte von seiner Wohnung aus zahlreiche Dokumentaraufnahmen für seinen Film „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“. Auf einem sogenannten „Foltertribunal“ warfen als Sprecher der Hausbesetzer Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit der Polizei „Foltermethoden“ vor. Im Gegenzug sprach Hessens Innenminister Hanns-Heinz Bielefeld (FDP) von „verbalen Amokläufern“ und Frankfurts Oberbürgermeister Rudi Arndt (SPD) von „Anarchisten, Schlägertrupps der Horlemann-KPD, faschistischen Chaoten, die schlimmer sind als die SA und die SS in der Nazizeit“.

Foto: Die Polizei räumt ein seit vier Jahren besetztes Haus im Frankfurter Westend, August 1974: „Der Müll, die Stadt und der Tod“

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