© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Unter Goebbels’ giftigem Stachel
Ingrid Buchlohs Biographie des Regisseurs Veit Harlan, der mit „Jud Süß“ seine Reputation verspielt hat
Martin Lichtmesz

Jahrzehntelang wurde Veit Harlan als willfähriger Propagandist des Dritten Reichs wie als mittelmäßiger Stümper aus der grauen Vorzeit von „Opas Kino“verfemt. Seit Frank Noacks bahnbrechender Biographie „Des Teufels Regisseur“ (2000), die mit einer Fülle von bisher unbeachtetem Material und einer provokanten ästhetischen Neubewertung seines Werks aufwartete, tauchte Harlan allmählich wieder aus dem Orkus der deutschen Filmgeschichte auf. 2009 lief Felix Moellers Dokumentation „Harlan“ in den Kinos, 2010 feierte Oskar Roehlers Spielfilm „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ auf der Berlinale Premiere, in dessen Zentrum das Schicksal Ferdinand Marians steht.

Dieser hatte die Titelrolle in ebenjenem berüchtigten Film gespielt, ohne den Harlan heute wohl nur mehr für eine Handvoll Cineasten ein Begriff wäre, den aber paradoxerweise in Deutschland niemand sehen darf, es sei denn in die Watte von wissenschaftlichen Veranstaltungen eingepackt: dank dieser Auflagen ist der antisemitische Propagandafilm „Jud Süß“ (1940) zum Mythos aufgeblasen worden, inklusive aller Reize, die das Verbotene so mit sich bringt. Das Kostümdrama um den 1738 in Stuttgart gehenkten Hofjuden Süß Oppenheimer, dessen Leben auch Wilhelm Hauff und Lion Feuchtwanger literarisch verarbeiteten, sollte im trügerischen Gewand eines Unterhaltungsfilms die „zersetzende“ Wirkung des Judentums demonstrieren. Mit Hilfe einer Starbesetzung, darunter neben Marian Harlans Ehefrau und Muse Kristina Söderbaum, Heinrich George, Eugen Klöpfer und Werner Krauß in einer dämonischen Doppelrolle, wurde der Film europaweit zum Kassenerfolg. Inwiefern er tatsächlich den Judenhaß beförderte, ist bis heute ebenso umstritten wie Harlans persönliche Verantwortung an seinem Inhalt.

Nun hat die Historikerin Ingrid Buchloh den „Fall Harlan“ mit einer mustergültig quellengetreuen Akribie neu aufgerollt, offenbar mit dem Ehrgeiz, die Streitpunkte ein für allemal zu klären. Anders als bei dem cinephil inspirierten Noack steht bei Buchloh eher die Frage nach der Mitschuld des Künstlers und damit nach den konkreten Enstehungsbedingungen der Propagandafilme im Vordergrund. Tatsächlich war die Kontrolle Goebbels’ über „seine“ Filme bis in kleinste Details hinein so gut wie absolut. Um das zu belegen, stützt sich Buchloh vorwiegend auf die Prozeßakten der Jahre 1948 bis 1950, als wegen des Films Anklage gegen Harlan auf „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ erhoben wurde. Weiteres Material entnahm sie den Nachlässen von Harlan und dessen Freunden, Bekannten und Mitarbeitern. Uneingeschränkt scheint die Autorin dabei den exkulpierenden Memoiren des Regisseurs zu vertrauen, deren Darstellung sie weitgehend folgt.

Die Fülle an übereinstimmenden Zeugenaussagen läßt allerdings keinen Zweifel zu, daß sowohl Harlan als auch die Hauptdarsteller von „Jud Süß“ in der Tat keine Chance hatten, sich dem Druck von Goebbels zu widersetzen, es sei denn, sie wären bereit gewesen, ihr Leben zu riskieren. Harlan stürzte der Auftrag, dem er sich verzweifelt zu entziehen versuchte, in eine schwere Gewissenskrise. Buchloh zeichnet ein schlüssiges Bild von der alpdruckartigen Geiselhaft, in der sich die deutsche Filmindustrie unter der Herrschaft des Propagandaministers befand. Wie die Mehrzahl der Schauspieler und Regisseure war Harlan weder Nationalsozialist noch Antisemit – tatsächlich war er durch sein Elternhaus und seinen persönlichen Umgang eher philosemitisch und liberal geprägt.

Die Falle schnappte zu, als Goebbels es verstand, den Regisseur, und mit ihm die ebenfalls nur zäh in den Film gepreßten Hauptdarsteller, insbesondere Werner Krauß, bei ihrem künstlerischen Ehrgeiz zu packen. Das ursprüngliche Drehbuch, das Harlan in die Hände gedrückt bekam, bewegte sich auf dem grobschlächtigen Niveau des Stürmers. Harlan schrieb es in der Absicht, dessen antisemitische Tendenz zu mildern, um und drehte einen nicht überlieferten „Director’s Cut“, der zum Teil die intendierte Aussage auf den Kopf zu stellen versuchte und Süß als Jäger zeigte, der es müde war, der Gejagte zu sein.

Diese Subversion wurde von Goebbels gründlich ausgeschliffen, mit dem ironischen Endergebnis, daß die emotionale Wirkung des Films durch Harlans Eingriffe nachhaltiger war, als es die ursprüngliche Holzhammertaktik jemals hätte vollbringen können. „Wenn es sich hier um Propaganda handelt“, schrieb ein noch unbekannter junger Filmkritiker namens Michelangelo Antonioni 1940 über „Jud Süß“, „dann begrüßen wir Propaganda. Dies ist ein packender, eindringlicher, außergewöhnlich wirkungsvoller Film.“ Der Profit war gegenseitig: Keiner der Filme Harlans nach 1945 konnte es mit der Intensität der Arbeiten aufnehmen, die unter Goebbels’ giftigem Stachel entstanden waren.

Der Geniestreich war zweifellos gewesen, Süß mit dem bekannten Frauenschwarm Ferdinand Marian zu besetzen, der schließlich im Film ebenso böse wie sexy erschien. Die von Harlan intendierte Mehrdimensionalität des Charakters ist auch in der überlieferten Fassung immerhin noch in Spurenelementen vorhanden. An diesen hängt sich ein seltsamer Tick auf, der sich von Noack über Anke-Marie Lohmeier bis zu Marian-Biograph Friedrich Knilli quer durch die neuere „Jud Süß“-Literatur zieht, und der leider auch Ingrid Buchloh befallen hat: die Behauptung einer latent vorhandenen „liberalen“ Lesart, wonach Süß sich „selbstlos“ für die „Gleichberechtigung seines Volkes“ einsetze und eigentlich nur das in die Enge getriebene Opfer von grundlos böswilligen „Antisemiten“ sei, während die Vergewaltigung einer jungen Frau (Söderbaum), die schließlich zu ihrem Freitod aus Scham führt, die irgendwie verständliche Folge einer verbotenen Liebe wäre.

Solche Behauptungen sind allerdings durch nichts gedeckt, was völlig unmißverständlich im fertigen Film zu sehen ist, und man möchte gelegentlich die Bücher von Noack, Knilli und nun auch Buchloh vor Wut über den darin vertretenen Unfug an die Wand schmeißen: „Die Demütigungen, die Süß ertragen muß, erregen das Mitleid jedes Zuschauers, der nicht völlig unsensibel oder ideologisch verstockt ist, und lassen sogar Verständnis dafür aufkommen, daß Süß später nicht vor brutalen Methoden zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen.“ Dieser Fimmel, krampfhaft zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist, zeugt immerhin von der anhaltenden suggestiven Kraft des Films, die sich heute natürlich mit allerlei Bewältigungsaffekten kurzschließt – was einen Teil dieser wunderlichen Metaphantasien über den Film erklären mag.

Derlei Verstiegenheiten schmälern aber nicht das Verdienst Buchlohs, das Gestrüpp um die Person und das Werk Harlans erheblich gelichtet zu haben. Wer künftig über das ethische Verhalten der Filmkünstler im Dritten Reich zu urteilen sucht, wird daran nicht vorbeikommen. Bezeichnend ist indessen – und sollte zu denken geben –, daß diese Geschichte trotz des seit den Prozessen der Nachkriegszeit vorhandenen Materials erst heute sine ira et studio erzählt werden kann.

Ingrid Buchloh: Veit Harlan. Goebbels’ Starregisseur. Schöningh Verlag, Paderborn 2010, gebunden, XII und 348 Seiten, Abbildungen, 34,90 Euro

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