© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Wohlbehütet und krank
Gesundheitsgefahren: Eine keimfrei sterilisierte Umwelt macht nicht gesund
Michael Howanietz

Die Verfechter der „Hygiene-Hypothese“ sehen die Zunahme von Autoimmunerkrankungen wie Allergien, Asthma, Neurodermitis oder Multiple Sklerose (MS) in direktem Zusammenhang mit übertriebener Reinlichkeit. Von den zirka 80 Krankheiten, die sich im Zuge eines fast phobischen Sauberkeitswahns ausbreiten, ist in den westlichen Wohlstandsländern bereits ein Fünftel der Bevölkerung betroffen. So leiden etwa 30 Prozent der Kinder in den Industrienationen an Asthma, obwohl sich die Luftqualität durch Umweltschutzmaßnahmen in vielen Gebieten verbessert hat. Weltweit hat sich die Zahl chronischer Asthmatiker seit Anfang der neunziger Jahre auf über 120 Millionen verdoppelt.

Die Ursachen dieser auch als Zivilisationskrankheiten apostrophierten Volksseuchen orten die Hygiene-Forscher inzwischen im manischen Kampf gegen mikrobielles Leben. Der menschliche Körper habe sich durch Jahrhunderttausende an ein weitgehend unverändertes, an die körpereigenen Verteidigungssysteme klare Anforderungen stellendes Umfeld gewöhnt. Das Immunsystem brauche daher bestimmte Mikroben, um in der Kindheit geschult zu werden und im weiteren Lebensverlauf entsprechend zu funktionieren.

Wer, wie die moderne Zivilisation, diese lange evolutionäre Entwicklung quasi über Nacht außer Kraft setze, verursache größte Orientierungsprobleme der Immunabwehr. In Ermangelung der alten Sparringspartner suchen sich die Verteidigungssysteme des Körpers neue, zumeist völlig harmlose Gegner, wie Pollen, Katzenhaare oder Milben. Der Körper beginnt, gegen sich selbst zu arbeiten.

Die Autoimmunerkrankungen auslösenden Probleme sind vielfältig und beginnen bereits in frühester Kindheit. Die dank teilweise übertriebener Impf­aktionen und anderer Vorsorgemaßnahmen nicht mehr durchlaufenen klassischen Kinderkrankheiten bedingen einen ersten immunologischen Mangel. Die Kriegserklärung an die mit immer aggressiveren Desinfektionsmitteln eliminierten Mikroorganismen, die natürlicherweise in unserer Umwelt vorkommen, komplettiert die Irritation körpereigener Abwehrmechanismen.

Neben schädlichen werden auch nützliche Keime getötet

Gewohnheitsmäßiges Fehlverhalten verschärft die heraufbeschworenen Anfälligkeiten im Laufe des Lebens. So rotten die in Massen verordneten Antibiotika mit den wenigen schädlichen auch eine Unzahl nützlicher Keime aus. Zudem entwickeln sich durch den hemmungslosen Antibiotikaeinsatz immer mehr resistente Bakterienstämme, gegen die es dann im Ernstfall (Therapie bei geschwächten Personen, Kindern und Alten) keine Mittel mehr gibt. Zudem entspricht der Alltag von Städtern, die bis zu 90 Prozent ihrer Lebenszeit in hermetisch abgedichteten Räumen, also einem widernatürlichen Umfeld zubringen, keineswegs den Anforderungen unseres physiologischen Bauplans.

Selbst aufbereitetes Trinkwasser trage zur Sterilisation des Körpers – genauer unseres in seiner Funktionalität auf das Vorhandensein von Bakterien angewiesenen Verdauungssystems – bei. Schließlich endet die keimtötende Wirkung des zugesetzten Chlors nicht in dem Moment, da das Wasser die Leitung verläßt und in die Trinkgläser gelangt.

Ein gesunder Darm enthält über zwei Kilogramm lebender Bakterien. Wird deren Zusammensetzung bzw. Gesamtmenge empfindlich gestört, kommt es unweigerlich zu Erkrankungen. Auslöser der folgenden Befindlichkeitsstörungen ist demnach nicht etwas, das vorhanden ist, sondern etwas, das aufgrund überzogener Hygienemaßnahmen fehlt.

Neue Untersuchungen bestätigen die Anhänger der Hygiene-Hypothese. Allmählich erfolgt der wissenschaftliche Nachweis, weshalb Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, sehr viel seltener zur Ausbildung von Allergien neigen als Stadtkinder. Ob durch Injektion von Bakterien oder Verabreichung parasitärer Würmer, die den Körper zur Bildung von Antigenen anregen, kommt es zu Verlangsamung bzw. völligem Stillstand der Symptomatik vieler Autoimmunerkrankungen. Indem das Immunsystem in Erkennung und Bekämpfung der alten Feinde seiner archaisch-biologischen Aufgabenstellung begegnet, hört es auf, harmlose Substanzen als bekriegenswerte Gegner zu betrachten.

Läßt man also die naturgewollten Interaktionen zwischen dem Körper und seiner mikroskopischen Umwelt wieder zu, wird bzw. bleibt man in der Regel gesund. Die auf pharmakologischer Konditionierung basierende, autoritäre Erziehung unseres Körpers, dem scharf bewaffnete Ahnungslosigkeit vorgibt, wie er zu funktionieren hat, zeitigt jedenfalls höchst unerquickliche Ergebnisse.

Mut zur Selbstbestimmung ist gefragt. Da ganze Industriezweige prächtig von den Auswüchsen kollektiver Furcht leben, sind nicht nur oktroyierte Tiergrippe-Massenimpfkampagnen und vielbeworbene Putzmitteloffensiven zu hinterfragen. Dies hat für jede medial aufbereitete Massenhysterie, ob nun „Rinder-Wahnsinn“ (BSE), Schimmelpilz oder die Hausstaubmilbe ihre Protagonisten sind, zu gelten.

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