© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Verfassungsreform in der Türkei
Punktsieg
von Curd-Torsten Weick

Den Termin für die Volksabstimmung über die Verfassungsreform hatte die islamisch geprägte AKP-Regierung von Ministerpräsident Erdoğan bewußt festgelegt. Am 12. September, also genau 30 Jahre nach dem Militärputsch in der Türkei, sollte ein Zeichen gesetzt werden. Nach innen – in Richtung der laizistisch-kemalistisch geprägten Opposition. Nach außen – in Richtung EU. Beides ist ihr mit dem Votum von 58 Prozent Ja-Stimmen gelungen.

Die kemalistische Elite, die die Reform mit allen Mitteln zu verhindern suchte, mußte eine bittere Niederlage hinnehmen. Entgegen mancher Hoffnung, die AKP werde Federn lassen, halten Erdoğan & Co. die Zügel weiter fest in der Hand. Ja sie weiten ihren Einfluß aus. Nun werden die Bastionen der Laizisten in Militär und Justiz weiter geschleift. Entsprechend nehmen die oppositionellen Klagen über die Autorisierung und Islamisierung des Landes kein Ende. Diese lassen jedoch die EU kalt. Die Annahme der Verfassungsreform sei ein richtiger Schritt in Richtung Demokratie heißt es aus Brüssel und Berlin. Völlig außer acht lassend, daß das Votum eher einer Stichwahl zwischen „Islamisten und Kemalisten“ gleichkam. Punktsieg für Erdoğan – Niederlage für die Politik. Denn Umfragen zufolge wußten nicht einmal die Hälfte der Wähler worum es im einzelnen überhaupt ging.

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