© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/10 10. September 2010

ARD-Serie „Weissensee“: Lindenstraßenfehden im DDR-System
Gute Stasi, schlechte Stasi
Christian Dorn

Wenn die ARD am 14. September ihre – zunächst auf sechs Folgen angelegte – Familienserie „Weissensee“ startet (dienstags, 20.15 Uhr), ist dies aus Sicht der Senderverantwortlichen ein besonderes TV-Ereignis. Ist doch der Dienstagabend nach der Tagesschau „die heilige Kuh“ der Fernsehwoche, so Produzentin Regina Ziegler. Für Programmdirektor Volker Herres wiederum ist die Serie nicht bloß „fiktionaler Beitrag“ der ARD zum 20jährigen Jubiläum der deutschen Einheit, sondern zugleich „ein herausragendes Stück Fernsehen“.

Die Gefühligkeit des Films macht zu Recht mißtrauisch

Mit ihm soll die „Geschichte erlebbar“ gemacht werden „für Menschen, die die DDR nicht mehr kennengelernt haben“. Gelingen soll das vor allem durch zwei Protagonisten: den Streifenpolizisten Martin (Florian Lukas), Sohn des hohen Stasi-Offiziers Hans Kupfer (Uwe Kockisch), und Julia (Hannah Herzsprung), die Tochter der dissidenten Liedermacherin Dunja Hausmann (Katrin Sass). In ihrer Liebe zueinander könnten die jungen Leute nicht „verfeindeter als Romeo und Julia“ sein, verspricht Herres. Bereits hier irrt der ARD-Chef, denn anders als bei Shakespeare ist „Weissensee“ nicht als Tragödie angelegt. Die Protagonisten müssen ihr Leben nicht opfern, und ihre Eltern, Stasi-Hans und Dissidenten-Dunja, waren einst ein Liebespaar und empfinden auch Jahrzehnte später noch Gefühle füreinander.

Die Gefühligkeit ist es denn auch, die zu Recht mißtrauisch macht. Wurde in dem Stasi-Drama „12 heißt: Ich liebe dich“, einem ARD-Fernsehspiel, die DDR-Diktatur zu einem „Pilcher-Roman“ (Focus) verklärt, so erscheint die hyperfiktionale Verknüpfung einer Stasi-Großfamilie mit einer dissidenten Kleinfamilie als eine bessere „Soap“: Besser, weil exzellente Schauspieler sehr genaue Charakterfiguren zeichnen, eine Seifenoper aber, weil die Handlungsstränge und Beziehungskonstellationen aufgrund ihrer „Komprimierung“ so wirklichkeitsfremd sind, wie sie sich nur eine junge westdeutsche Autorin (Annette Hess) und ein junger westdeutscher Regisseur (Friedemann Fromm) ausdenken können. Letzterer, der bereits mit zwei Grimme-Preisen und einem Emmy-Award prämiert wurde, hatte auch den ARD-Fernsehfilm „Jenseits der Mauer“ gedreht (JF 40/09), der letztlich auf eine Verharmlosung der in der DDR praktizierten Zwangsadoptionen hinauslief.

Die hanebüchene Dramaturgie, die einer beinahe zwangsneurotischen, weil quotengesteuerten Hyperfiktionalisierung geschuldet scheint, ficht die Programmacher derweil nicht an, sie halten die Serie – so Regina Ziegler – für den schlagenden Beweis, „daß die ARD den politisch-geschichtlichen Auftrag erfüllt“. Die Begeisterung geht so weit, daß bereits grünes Licht für eine zweite oder gar dritte Staffel signalisiert wurde. Autorin Hess jedenfalls ist mit ihrem Drehbuch schon im Jahr 1986 (die ersten sechs Teile enden etwa 1980).

Plötzlich singt die Dissidentin auf dem Stasi-Familienfest

Womöglich versprechen sich die Beteiligten einen ähnlichen Erfolg wie bei Edgar Reitz’ „Heimat“-Trilogie oder bei der vierteiligen Familienserie „Holocaust“ (1979). Letztere war ebenfalls wegen angeblicher Trivialisierung kritisiert worden, Elie Wiesel sah darin eine „kommerzielle Seifenoper“, die die Opfer verhöhne. Bemängelt wurde, daß die fiktionale Familie Weiss jedes relevante Ereignis des Holocausts selbst erlebte.

Ähnlich komprimiert verhält es sich bei „Weissensee“, das sich vom realen Ost-Berliner Bezirk auch durch die falsche Schreibweise unterscheidet – und damit eine spiegelverkehrte Brücke zur Schauspielerin Katrin Sass herstellt, die in der Serie eine Rolle verkörpert, die sie in der DDR gern im wirklichen Leben gespielt hätte: „Über die Musik den Kampf zu erklären.“ Immerhin bietet der Film Anlaß, vom aktuellen Kampf zu berichten, in dem es um die Schreibweise ihres Geburtsnamens geht. Die DDR-Behörden hatten Sass den „Doppel-Nazi“ im Namen vorgeworfen (SA und SS), weshalb ihr Ausweis auf den Namen „Saß“ ausgestellt worden war. Im Film läuft die Geschichte anders: Unter Druck gesetzt, verpflichtet sich die dissidente Liedermacherin Dunja Hausmann, als IM-Spitzel tätig zu werden, und singt auf einer Feier der Stasi-Großfamilie. Ob sie auch in konspirativer Hinsicht singt? Wir werden es sehen – oder besser nicht.

Foto: Liebe auf den ersten Kontrollblick: Julia (Hannah Herzsprung, r.) und Volkspolizist Martin (Florian Lukas)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen