© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/10 10. September 2010

Radikaler Islamismus und Völkermord
Deutsch-arabische Beziehungen: Der US-Historiker Geoffrey Herf über „Hitlers Dschihad“ im Spiegel neuer Quellen
Oliver Busch

Geoffrey Herf, Historiker an der Universität von Maryland, zählt zu der stattlichen Kohorte anglo-jüdischer Geisteswissenschaftler, die bei ihren Forschungen gerade zur jüngeren Zeitgeschichte stets die Aktualisierbarkeit ihres Stoffes fest im Blick haben.Herfs etwas jüngerer Kollege Daniel J. Goldhagen hat eindrucksvoll vorgeführt, welch ungeheures verlegerisches Potential in solcher weltanschaulich-politischen Funktionalisierung dröger Aktenstapel steckt. Goldhagens Erfolgsrezept, die Stigmatisierung „der Deutschen“ als quasi genetisch disponierte Judenfeinde, sowie die Reservierung eines exklusiven Opferstatus für das jüdische Volk, also die simpel-eingängige, manichäische Konstruktion der Weltgeschichte als „Täter-Opfer“-Drama, wendet auch Herf in seiner jüngsten Publikation über „Hitlers Dschihad“ an (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2/2010).

NS-Propaganda im Nahen Osten via Kurzwelle

Er versucht darin, etwas mehr Licht in die noch weitgehend unerforschten deutsch-arabischen Beziehungen nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu bringen. Die beschränkten sich seit 1939, nachdem die deutschen Konsulate in Nordafrika und im Vorderen Orient von der französischen oder britischen Kolonialmacht geschlossen worden und prominente Sympathisanten der „Achse“ wie der Großmufti von Jerusalem nach Rom und Berlin emigriert waren, allerdings weitgehend auf die deutsche Rundfunkpropaganda via Kurzwellensender.

Vom Inhalt dieses Radioprogramms, ausgestrahlt vom Herbst 1939 bis März 1945, „in 2.000 Tagen und 6.000 Stunden“, ist in deutschen Archiven fast nichts überliefert, kein Mitschnitt, kaum ein Manuskript. Herf schätzt es daher als besonderen Glücksfall ein, in den National Archives in College Park/Maryland doch noch eine breite Aktenspur der vom Auswärtigen Amt dirigierten Berliner Agitation entdeckt zu haben. Dank des US-Botschafters in Ägypten, der die arabischsprachigen Sendungen ab Sommer 1941 aufzeichnen, übersetzen und dem US-Außenminister zukommen ließ. Herf präsentiert eine winzige Auswahl aus diesem Material, das er bereits für eine Monographie ausgebeutet hat (Nazi Propaganda for the Arab World, New Haven 2009).

In seiner knappen Einführung hält der für seine moderat zionistischen Sympathien bekannte Historiker mit den ihn bei diesem Thema leitenden übermächtigen Aktualisierungsinteressen nicht hinterm Berg. Zentral ist für ihn dabei, „Hitlers Dschihad“ an den „11. September 2001“ anzudocken, an die gegenwärtige „islamische Bedrohung“ und die heute „in der arabischen Welt wie im Iran zu beobachtenden antisemitischen Verschwörungstheorien“. Damit will Herf die ideologischen „Kontinuitäten“ zwischen „NS-Propaganda“ und „radikalem Islamismus“ konturieren.

Wie er vor allem mit dem Text der Sendung „Tötet die Juden, ehe sie Euch töten!“ vom 7. Juli 1942 zu belegen meint, sei es aber Deutschen wie Arabern nicht um bloße Propaganda, sondern um handfeste Politik gegangen: um nicht weniger als den Völkermord an 700.000 Juden, die 1940 zwischen Algier und Bagdad lebten. Die dafür „zuständige“ SD-Einsatzgruppe habe für den Fall eines erfolgreichen Vorstoßes von Rommels Afrikakorps nach Kairo schon in den Startlöchern gestanden.

Wissenschaft vermischt mit zionistischer Propaganda

Mit dieser Deutung, die Islamismus und Genozid identifiziert, reiht sich Herf in eine längere Reihe von Publikationen ein, die nach dem „11. September“ in Mode kamen, von denen Klaus-Michael Mallmanns und Martin Cüppers’ „Halbmond und Hakenkreuz“ (Darmstadt 2006) hierzulande die größte Resonanz erzielte und unter denen Meir Litvaks und Esther Webmans „From Empathy to Denial. Arab Responses to the Holocaust“ (London 2009) so heftige antiarabische Ausfälle enthält, daß die Grenzen zwischen Wissenschaft und zionistischer Propaganda endgültig verschwimmen. Herf ist davon mitunter nicht mehr weit entfernt. Und sein Vorbehalt, eine „Geschichte des modernen Nahen Ostens“ lasse sich erst schreiben, wenn Historiker wie er Zugang „zu den Archiven der arabischen Staaten, der Muslim-Bruderschaft, der Al-Azhar-Universität in Kairo“ und natürlich zu den seit dem Zweiten Weltkrieg produzierten „Akten der iranischen Regierung“ bekämen, klingt ein wenig penetrant nach einem Staatsanwalt, der neues Belastungsmaterial sucht.

Foto: Der Großmufti von Palästina, Sayid Amin al Husseini in Unterredung mit Adolf Hitler, 9. Dezember 1941: Herf konstruiert ideologische Kontinuitäten zwischen NS-Propaganda und radikalem Islamismus

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen