© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/10 10. September 2010

Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten
Landwirtschaft: Die Welternährungssituation angesichts von Bevölkerungswachstum, Klimawandel und Energieknappheit
Volker Kempf

Die Deutsche Bank verfügt über Denkfabriken, die sich neben den Finanzmarkttrends auch der Analyse von ökonomischen und gesellschaftspolitischen Tendenzen annehmen. Unter dem Titel „Lebensmittel – eine Welt voller Spannung“ wurde von Deutsche Bank Research kürzlich auch der Zusammenhang von Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit untersucht. Daß die Aussage der Studie „nicht notwendigerweise der Meinung der Deutsche Bank AG oder ihrer assoziierten Unternehmen entspricht“, läßt auf eine interessante Untersuchung durch die Autorin Claire Schaffnit-Chatterjee schließen.

Derzeit gebe es auf der Welt eine problematische Entwicklung: Einerseits sind über drei Milliarden Menschen unter- oder mangelernährt, andererseits etwa zwei Milliarden Menschen übergewichtig oder fettleibig. Die Weltbevölkerung werde von 6,5 Milliarden Menschen auf neun Milliarden im Jahre 2050 zunehmen. Die Einkommen würden in den Schwellenländern um sieben Prozent, in den Industrieländern nur noch um zwei Prozent steigen. Weltweit habe ein Ernährungswandel hin zu eiweißreicher Nahrung stattgefunden. Die Aufnahme tierischen Eiweißes (insbesondere Fleisch) sei in China von 20 (1985) auf 54 Kilogramm (2003) gestiegen. In Deutschland ist der Verzehr im selben Zeitraum hingegen von 97 auf 84 Kilogramm zurückgegangen.

Der zunehmenden Nahrungsmittelnachfrage stünde eine begrenzte Verfügbarkeit von Anbauflächen gegenüber. Theoretisch gäbe es zwar genug Flächen für die Umwandlung in Ackerflächen. Das sei aber mit Kosten und Umweltbelastungen verbunden. Grenzen setzten der Verfügbarkeit von Agrarland für die Lebensmittelproduktion Landdegradation (Bodenverschlechterung) und Verstädterung sowie der zunehmende Anbau von Biotreibstoffen.

30 Prozent der Lebensmittel werden weggeworfen

Faktoren, die die Agrarproduktion ebenfalls beeinflussen, seien neben der Erderwärmung auch die Verfügbarkeit von Wasser, die Zunahme von Stürmen und Überschwemmungen. Die Landwirtschaft werde ihre Emissionen reduzieren müssen, etwa durch verbesserte Viehzucht, weniger Bodenbearbeitung und Zwischenfrüchte. Die Energiefrage wirke sich auf die Landwirtschaft aus, denn Energie sei für Dünger, den Transport, Bewässerung, Beheizung, Kühlung und Verarbeitung notwendig. Die Beziehung zwischen Lebensmittel- und Ölpreisen werde enger. Biotechnologien würden die Ernährungsangebote in Zukunft vermehrt beeinflussen, aber auch ökologisch integrierte Ansätze kämen in Frage. Letztere hätten den Vorzug, den Bauern mehr Einfluß und Autonomie zu ermöglichen. Ein Faktor für das Lebensmittelangebot sei auch die Entwicklungshilfe. Nicht zu vernachlässigen sei der Anteil an Lebensmittelverlusten. Bis zu 30 Prozent der gekauften Lebensmittel würden weggeworfen.

Von großer Aussagekraft für die Ernährungssituation sei die Entwicklung der Lebensmittel- und Getreidepreise. Beide hätten sich um etwa 60 Prozent erhöht. Günstige Preise seien vom Freihandel zwar am ehesten zu erwarten, allerdings seien die Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber ausländischen Lieferanten als risikoreich einzustufen – ein indirektes Plädoyer dafür, die heimische Produktion trotz höherer Kosten aus Gründen der Versorgungssicherheit nicht aufzugeben.

Knappheit bei Wasser, Energie und Anbauflächen gepaart mit Bevölkerungswachstum und geänderten Ernährungspräferenzen würden in Zukunft für Spannungen sorgen. Wie groß die Probleme werden, sei ungewiß. Schwer zu quantifizieren seien auch die Ölpreise, die Produktion von Biotreibstoffen und der Klimawandel. Der technische Fortschritt als Problemlöser sei ebenfalls schwer berechenbar. Mehr Gleichheit in bezug auf den Zugang zu und die Versorgung mit Lebensmitteln, aber auch „mehr Nachhaltigkeit“ im Sinne von „überlegter Einsatz von Ressourcen“ sei daher notwendig. Ein Patentrezept gäbe es aber sicher nicht.

Dennis L. Meadows und der Club of Rome haben da konkretere Aussagen gemacht, die mehr in Richtung Zusammenbruch als in Richtung vager Spannungen gehen. Was die Denkfabrik Deutsche Bank Research zur Lebensmittelsituation vorlegt, besticht zumindest durch seine Übersichtlichkeit und es regt in der Tat zu Diskussionen an.

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