© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/10 10. September 2010

Verlust politischer Unschuld
Bundesbank: Mit Sarrazins Rauswurf erodieren Sachverstand und Unabhängigkeit der Notenbank weiter
Christian Schwiesselmann

Die Zeiten, in denen das Ausland bewundernd von „The Bank that rules Europe“  (David Marsh 1992) sprach, sind lange vorbei. Die Einführung des Euro hat die Bundesbank als „Hüterin“ der D-Mark weitgehend entmachtet und sie zu einer Notenbank unter 16 anderen im Eurosystem zurückgestuft. Nach dem Bedeutungsverlust schwindet nun die politische Unabhängigkeit. Erstmals seit Gründung der Bundesbank 1957 beschloß der Vorstand die Abberufung eines seiner Mitglieder – von Thilo Sarrazin.

Mit dem ehemaligen Berliner Finanzsenator würde sich weiterer volkswirtschaftlicher Sachverstand aus dem Vorstand der Bundesbank verabschieden. Dabei hatte sich das Führungsgremium noch nicht von dem Aderlaß erholt, den der Abgang des renommierten Ökonoms Hans-Helmut Kotz verursacht hatte. Kotz ging im Mai 2010 zusammen mit Hans Georg Fabritius und hinterließ eine Lücke, die der FDP-Jurist Carl-Ludwig Thiele kaum auszufüllen vermag. Das Verhältnis zwischen Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler im Vorstand verschöbe sich bei Sarrazins Abgang weiter zugunsten der Juristen. Nach Expertenmeinung ist der „Braindrain“ in der Bundesbank angesichts der bevorstehenden Neuregulierung des Finanzsektors hochproblematisch.

Der Sachverstand und die Unabhängigkeit der Bundesbank leiden vor allem an der parteipolitischen Einflußnahme bei der Besetzung der Vorstandsämter. Seit der Gründung spielte Patronage eine Rolle: Konrad Adenauer installierte 1958 den konservativen Karl Blessing als Präsidenten der Bundesbank. Blessing, der bereits dem Reichsbank-Direktorium angehörte, kam allerdings aus der Privatwirtschaft und besaß die notwendige Unabhängigkeit. Sein Nachfolger Karl Klasen, zuvor Vorstandssprecher der Deutschen Bank, war seit 1931 SPD-Mitglied und wurde in der sozialliberalen Koalition durch Wirtschaftsminister Karl Schiller protegiert.

Auch Sarrazin und Thiele kamen 2009 durch Parteien- und Länderproporz in den Vorstand. Der gegenwärtige Präsident Axel Weber – der letzte Volkswirt im Vorstand – scheint infolge seiner Ambitionen für das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank besonders anfällig für die Einflüsterungen der Politik. Die „Kommandos aus Berlin“ (FAZ) im Falle Sarrazins sind aufmerksamen Beobachtern nicht entgangen.

Der Einfluß der Politik wird auch daran sichtbar, daß sich die Bundesbank in ihrem bekanntgewordenen Gutachten über den Ansehensverlust durch die Äußerungen Sarrazins auf die Empörungsgesten von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Außenminister Guido Westerwelle und den Präsidenten der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet beruft. Trotz gegenteiliger Beteuerung Merkels hat das „Konstrukt der Unabhängigkeit der Notenbank häßliche Kratzer“ (FAZ) bekommen.

Die Mechanismen zur Vorstandsbesetzung leiten sich aus dem Bundesbankgesetz ab. Anders als im geldpolitischen Ausschuß der „Bank of England“ gibt es keine offene Ausschreibung, sondern Länder- und Parteienproporz. Den Bundesbankpräsidenten, seinen Vize und ein weiteres Vorstandsmitglied nominiert die Bundesregierung, die übrigen drei Mitglieder schlagen die Länder vor. Diese Proporzregelung sollte zu D-Mark-Zeiten den Ländern ein Mitspracherecht bei der Zinspolitik einräumen.

Politische Gleichschaltung der Bundesbank

Die Causa Sarrazin hat der Bundesbank nun die letzte politische Unschuld geraubt. Bundespräsident Christian Wulff ließ schon einen Tag vor der Entscheidung der Bundesbank, Sarrazin abzuberufen, gegenüber dem Sender N24 jede Zurückhaltung vermissen: „Ich glaube, daß jetzt der Vorstand der Deutschen Bundesbank schon einiges tun kann, damit die Diskussion Deutschland nicht schadet – vor allem auch international.“ Nach harscher Pressekritik beeilte sich ein Sprecher des Präsidenten mittlerweile, den Eindruck eines Schauprozesses für Sarrazin zu zerstreuen.

Zur Rechtfertigung der Abbestellung des Geschmähten nutzt die Bundesbank den Verhaltenskodex für Vorstandsmitglieder. Er stammt aus dem Jahre 2004, als der damalige Bundesbankpräsident Ernst Welteke über die „Adlon-Affäre“ aus dem Amt stolperte. Der SPD-Politiker, dessen Fachkompetenz umstritten war, hatte pikanterweise zu den Feierlichkeiten der Euro-Bargeld-Einführung auf Kosten der Dresdner Bank im Berliner Luxushotel „Adlon“ logiert. Die Bundesbank war moralisch angeschlagen, zumal Welteke hinterher gerichtlich höhere Pensionsansprüche durchboxen wollte.

Folge war eine Verhaltensvorschrift für die Vorstände, „die das Ansehen der Bundesbank und das Vertrauen in die Bundesbank aufrechterhält und fördert“. Gemäß dem Kodex müssen alle sechs Vorstände in ihren schriftstellerischen und wissenschaftlichen Werken klarstellen, „daß sie diese als Privatpersonen verfaßt haben und die Beiträge nicht notwendigerweise die Ansicht der Bank wiedergeben“.

Ob Sarrazin diese Regeln verletzt hat, darüber hatte der Jurist Uwe Schneider zu befinden. Seit Oktober 2009 ist er der „Corporate Governance“-Beauftragte der Bundesbank. Der Emeritus für Wirtschaftsrecht an der TU Darmstadt hat über ethische Fragen am Kapitalmarkt publiziert. Den Abberufungsantrag unterstützt er „uneingeschränkt“. Sarrazin hat damit Schneiders „Ethiktest“ (Financial Times Deutschland) nicht bestanden. Die Bundesbank ist praktisch politisch gleichgeschaltet.

Foto: Christian Wulff (l.) und Thilo Sarrazin: Der Bundespräsident und seine Experten betreten mit ihrer Entscheidung juristisches Neuland

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