© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/10 10. September 2010

Reich des Unseriösen
Sparpaket der Bundesregierung: Großen Sprüchen folgen kleine Taten
Paul Rosen

Den großen Ankündigungen folgen nun kleine Taten. Das von der christlich-liberalen Koalition beschlossene Sparpaket, mit dem bis 2014 zur Einhaltung der Schuldenbremse 80 Milliarden Euro im Bundeshaushalt gespart werden sollen, liegt in einer konkreteren Fassung vor. Es wird deutlich, daß die Politik die von ihr selbst beschlossene Schuldenbremse (fast völliger Verzicht auf Neuverschuldung ab 2016) ebensowenig einhalten wird wie andere finanzpolitische Versprechen, etwa die Einhaltung der Maastricht-Stabilitätskriterien für die Euro-Währung.

In dem von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgelegten Haushaltsbegleitgesetz zum Etat 2011 wird ganz klar von dem 80-Milliarden-Einsparziel Abschied genommen. Geplant sind überwiegend Steuererhöhungen wie die Luftverkehrsabgabe, die bis 2014 vier Milliarden in die Staatskasse spülen soll. Die Abschaffung von Ausnahmen und Ermäßigungen für energieintensive Betriebe von der Ökosteuer soll 5,5 Milliarden Euro bringen.

Neben den beiden Steuererhöhungen sieht das Haushaltsbegleitgesetz Einsparungen beim Elterngeld und einige kleinere Maßnahmen wie den Wegfall der Heizkostenkomponente beim Wohngeld vor. Ein sehr großer Einsparposten entpuppt sich bei näherem Hinsehen als pure Roßtäuscherei. 7,3 Milliarden Euro will Schäuble bis 2014 sparen, indem er die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen für Empfänger von Arbeitslosenhilfe II (Hartz IV) streicht. Man muß wissen, daß die Rentenbeiträge nicht in irgendwelchen Rücklagetöpfen angespart und später als Rente ausgezahlt werden, sondern sofort zur Auszahlung heutiger Renten verwendet werden. Das heißt, diese 7,3 Milliarden fehlen bis 2014 in der Rentenversicherung und müssen durch einen höheren Bundeszuschuß wieder ausgeglichen werden. 

Selbst unter Einschluß dieses Täuschungsmanövers beim Rentenversicherungsbeitrag kommt das Haushaltsbegleitgesetz auf Einsparungen beziehungsweise Einnahmeverbesserungen von 19,4 Milliarden Euro bis 2014. Das ist ein knappes Viertel der ursprünglichen 80 Milliarden. Der Restbetrag findet sich in unverbindlichen Absichtserklärungen. So wird die Brennelementesteuer, die 9,2 Milliarden Euro bis 2014 bringen soll, bisher nur „nachrichtlich“ in dem Sparpapier erwähnt, obwohl die Chancen auf ihre Einführung seit dem Atomlaufzeiten-Kompromiß gestiegen sind. Der Widerstand in der Industrie ist jedoch noch groß. Energieverbraucher wie Chemie- und Stahlproduzenten fürchten, daß die Stromkonzerne ihnen die Preise erhöhen. Die Proteste gegen andere Maßnahmen sind selbst innerhalb des Koalitionslagers überraschend gering. So wettert nur Verkehrs- und Bauminister Peter Ramsauer (CSU) gegen Einschnitte bei der Städtebauförderung.

Leiser, aber wirkungsvoller Widerstand kommt von der Finanzbranche gegen die geplante Finanzmarkttransaktionssteuer, die bis 2014 sechs Milliarden Euro bringen soll. Die Banken drohen mit der Verlagerung ganzer Geschäftsbereiche nach London oder an andere Finanzplätze, wenn sie zahlen sollen. Die Ankündigungen der Koalition, die Finanzbranche solle an den Kosten der von ihr durch Spekulationssucht und Gier verursachten Krise beteiligt werden, könnte sich als zu vollmundig erweisen.

Fast den gesamten Sommer über diskutierte das politische Berlin über eine erneute Reform der Bundeswehr, die von Schäuble und seinen Finanzpolitikern als Steinbruch für weitere Einsparungen entdeckt worden war. 8,3 Milliarden Euro sollte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bis 2014 einsparen. Dafür soll sogar die Wehrpflicht ausgesetzt werden. Von dem hehren Einsparziel blieb nicht viel übrig: Vier Milliarden Euro sollen im Bereich Streitkräfte jetzt noch eingespart werden.

Andere auf der Liste erwähnte Positionen gleiten in den Bereich des Unseriösen ab. So sollen im „Haushaltsverfahren“ bereits im nächsten Jahr 5,4 Milliarden Euro und bis 2014 zusammen 45,3 Milliarden Euro gespart werden. Der Begriff bedeutet nichts anderes, als daß die Ministerien in ihren jeweiligen Einzelplänen Milliardenbeträge einsparen müssen. Dies scheint kaum möglich zu sein, da die meisten Ausgaben auf gesetzlicher Verpflichtung beruhen (zum Beispiel Beamtenpensionen).

Drastisch deutlich wird dies am Etat des Arbeits- und Sozialministeriums, der im nächsten Jahr 158,8 Milliarden Euro betragen soll. Damit ist Arbeit und Soziales der größte Einzelposten im Etat, der Gesamtausgaben von 307,4 Milliarden Euro vorsieht. Von den 158,8 Milliarden ist kaum etwas zu sparen, da Kürzungen etwa beim Zuschuß zur Rentenversicherung unweigerlich Rentenkürzungen und damit einen Proteststurm bedeuten würden.

Zweitgrößter Posten im Haushalt sind bereits die Zinsausgaben für die Staatsverschuldung. Gerade der Bund hat seine Schuldenlast in den letzten Jahrzehnten massiv erhöht: Der Schuldenberg wuchs von 254 Milliarden Euro (1989) auf 1.107 Milliarden (Plan für 2011). Trotz des größer werdenden Berges will die Regierung weniger für Zinsen zahlen: Fünf Milliarden Euro weniger Zinszahlungen sind bis 2014 vorgesehen. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß dies gelingt. Die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, daß Politiker nur in der Lage waren, den Anstieg der Verschuldung etwas abzubremsen. Den Rückwärtsgang konnten sie nie einlegen.

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