© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

50. Internationale Funkaustellung: Zwischen Online-Heizung und iPad-Killer
Im Bann des Flunder-Rechners
Toni Roidl

Für Transitreisende aus dem Westen war der Funkturm das erste Wahrzeichen, das sie in Berlin empfing. Seit 1926 steht der Funkturm nicht nur für Berlin, sondern auch für die größte Unterhaltungselektronikmesse der Welt – die Funkausstellung.

In diesem Jahr findet allerdings erst die 50. Internationale Funkausstellung (IFA) statt. Das liegt daran, daß sie aufgrund der Kriegsjahre ausfiel und der Turnus öfter zwischen jährlich und zweijährlich wechselte. Vom 3. bis 8. September 2010 werden dort wieder Weltneuheiten präsentiert. Aufgrund der medialen Omnipräsenz gilt die IFA als wichtigste Bühne für Innovationen aus Konzernlabors und Tüftlergaragen. Vom Röhrenempfänger bis zum HDTV-Fernseher haben etliche Produkte, die unser Leben nachhaltig beeinflußt haben, hier Premiere gefeiert.

Zusammenfalten und in die Jackentasche stecken geht nicht

Unter dem etwas betulich wirkendem Motto „Komm zur IFA – werde IFAN“ kündigen die Veranstalter „Innovationen, Stars, Entertainment und Information“ an. In zwölf Segmenten von „Home Cinema“ bis „Household Units“ versprechen die Hersteller Sensationen: „Faszinierende 3D-Bilder ganz ohne Brille“ oder „Roboter, die im Haushalt Routinearbeiten übernehmen“. Erstmals bietet auch Apple eine separate Ausstellungswelt um Mac, iPhone & Co.

Die erwartete Neuheit des Jahres ist eigentlich schon Nachahmer: Eine ganze Reihe Hersteller will eigene Tablet-Computer als „iPad-Killer“ in Stellung bringen. Samsung wird sein angekündigtes „Galaxy Tab“ auf den Markt werfen; View Sonic und Motorola wollen ebenfalls mitmischen. Mit der Kölner Firma e-noa soll gar ein deutsches „Interpad“ vertreten sein. Die Branchenexperten rechnen zwar damit, daß die Flunder-Rechner unter den Weihnachtsbäumen das Rennen machen, sind aber noch skeptisch, ob die Tablets auch halten, was sie versprechen. Zusammenfalten und in die Jackentasche stecken kann man sie nämlich noch nicht.

Während die meisten Anbieter mehr Technik, mehr Anwendungen, mehr Komfort, mehr alles versprechen, wollen vier europäische öffentlich-rechtliche Sender das Fernsehen wieder simpler machen. Zielgruppe für das „DTV4All“ (Digital Television for All) sind alte, gehörlose und blinde Zuschauer, die bei der Teilnahme an der Informationsgesellschaft schnell an Hürden scheitern. Ihnen soll das barrierefreie Fernsehen einfache Handhabung bieten. Da hätte man ja schon mal beim Namen des Projekts anfangen können.

In Halle 8.1 dreht sich alles ums vernetzte Wohnen. Hier gibt’s den Küchenherd, der selber im Internet Rezepte recherchiert. Wohnst du noch, oder ist deine Küche schon online? Und wenn sich der Kühlschrank heimlich sein eigenes Facebook-Profil anlegt und dort den Bierkonsum postet? Interessant dagegen sind die Anwendungen zur Energieeffizienz. Heizungssysteme, die mit Internet-Wetterdiensten kommunizieren und ihre Aktivität selbständig regeln, sollen bald das manuelle Thermostat ersetzen.

Auch das traditionelle Unterhaltungsprogramm bietet Vielseitigkeit. Von der DSDS-Resterampe hat es der Zweitplazierte auf die Bühne des IFA-Sommergartens geschafft. Die Puhdys-Söhne und Platin-Abräumer Bell, Book And Candle feiern live ihr 15jähriges Jubiläum. Noch tiefer aus der Oldies-Kiste kommen Scooter und Stier: Der Schauspieler Martin Stier nahm schon in den 1970ern mit seiner Törner Stier Crew vom damals spätpubertären Thomas Gottschalk den deutschen Phonopreis für witzigen Krautrock entgegen. Meg Pfeiffer, das deutsche Fräuleinwunder der Country Music, gibt nach erstaunlichen USA-Erfolgen ein weiteres Heimspiel.

Auch an ihrem 50. Geburtstag ist die IFA eine Messe der Superlative: Im Jahr 2009 präsentierten über tausend Aussteller aus rund 50 Ländern ihre Produkte an 120.000 Metern Standfläche. Mehr als hunderttausend Fachbesucher, davon etwa ein Viertel Ausländer aus über hundert Nationen, erteilten Aufträge im Rekordwert von über drei Milliarden Euro. Darüber berichteten mehr als 6.000 akkreditierte Journalisten aus 78 Ländern! Mit 170 Euro pro laufendem Meter Reihenstand ist der Preis für die Beteiligung im Vergleich zur CeBIT oder Expo noch moderat.

Ob dieser Zahlen strotzt das Marketing vor Selbstbewußtsein. Nur bei der Darstellung der eigenen Funkausstellungsgeschichte wirken die Macher etwas verkrampft: „Bei der Aufstellung wurden die Angaben in den amtlichen Katalogen verwandt. Daraus ergibt sich, daß auch für die Zeit von 1933 bis 1939 die damals offiziellen Bezeichnungen benutzt werden müssen“, schämt sich die offizielle Chronik. Tja, heute hieße der Volksempfänger sicher iNation.

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