© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Pankraz,
die Herrschaft und die Herrlichkeit

Ein Riesenaufhebens macht Giorgio Agamben in seinem neuen Buch „Herrschaft und Herrlichkeit“ (soeben auf deutsch bei Suhrkamp erschienen) von der Tatsache, daß Macht und Glanz immer zusammen auftreten, daß der Glanz, die Gloria, die Herrlichkeit eben, die Außenhaut von Herrschaft und Macht sind. Aber um das einzusehen, braucht es wahrhaftig keine 360 Seiten hochgelehrter Lektüre, es ist die pure Selbstverständlichkeit.

Schon in der Affenhorde oder bei den See-Elefanten verfügt der jeweilige Machthaber nicht nur über überlegene Waffen, um seine Macht über die Herde zu sichern, sondern stets auch über möglichst prachtvolle, höchst eindrückliche Eigenheiten und Merkmale, mit denen er seiner Herrschaft Herrlichkeit verleiht. Silberrücken, Mähnen, Schnurbärte, orgelnde Stimmen – das sind keineswegs verkappte Gewaltandrohungen gegenüber Konkurrenten oder widersetzlichen Weibchen, sondern sie stehen gewissermaßen für sich selbst, reizen die Sinne, machen die Macht freundlich.

Macht und Herrschaft in der lebendigen Natur sind allenfalls in zweiter Linie Phänomene physikalischer Gewaltanwendung, in erster Linie sind es Phänomene der Ästhetik, wie sie ja auch in der Liebe ihre Rolle spielen. Der Herr soll und will geliebt werden. Beim Menschen tritt noch eine zweite Komponente hinzu: der Bezug nach oben in die Transzendenz. Der Herrscher übt Macht aus im „Auftrag“ höherer, übersinnlicher Kräfte, er ist – wenn er nicht selber Gott ist – zumindest Gottes Stellvertreter oder aber, in säkularisierten Zeiten, erhabenes Vollzugsorgan transzendenter Ideen oder Utopien.

Das ist beim Stammeshäuptling in „primitiven“ Gesellschaften nicht anders als bei Mao Tse-tung oder Josef Stalin. Man ist immer auch irgendwie Medizinmann und/oder Oberpriester, man weiß in jedem Falle besser Bescheid als der gewöhnliche Untertan, und das gilt sogar für demokratisch gewählte Regierungschefs. Sie rücken mit ihrer Wahl gleichsam in eine höhere anthropologische Klasse auf, bedienen nun nicht nur mehr banale Einzelinteressen, sondern die sagenhafte volonté générale. Das ist ja auch wünschenswert.

Giorgio Agamben nun will von anthropologischer oder gar biologischer Erklärung des Zusammenhangs von Herrschaft und Herrlichkeit nichts wissen. Für ihn ist alles nur ein geistesgeschichtliches, und zwar ein innerabendländisch-christliches Problem. Sein Buch ist bei Lichte betrachtet nichts anderes als eine groß angelegte Polemik gegen Carl Schmitt und dessen „politische Theologie“. Das führt unleugbar zu mancherlei interessanten Einsichten, aber die im Titel angepeilte Perspektive gerät dabei doch sehr außer Sichtweite.

Auch Schmitt, bekennender Katholik wie Agamben, konzentrierte sich bekanntlich auf die Herausarbeitung der Beziehungen zwischen abendländischer Herrschaft und christlicher Theologie. Doch er habe die Herrschaft, wirft ihm Agamben vor, immer nur als Politik verstanden und dadurch vielerlei Mißverständnissen Raum gegeben. Denn die christliche Theologie, sagt Agamben, sei von Anfang an, was Machtausübung betrifft, nicht auf Politik, sondern auf Betriebswirtschaft orientiert gewesen. Nicht Politiker könnten sich eventuell in ihrem Glanze sonnen, höchstens Betriebswirtschaftler.

Letztlich läuft das auf eine völlige Umdeutung traditioneller europäischer Geschichtsschreibung und Theologie hinaus. Die großen innerchristlichen oder gegen den Islam geführten Glaubenskämpfe, so legt Agamben nahe, seien nicht im Namen bestimmter geistespolitischer Überzeugungen und Hoffnungen auf Erlösung geführt worden, sondern um eine Art von idealem „Oikos“ herzustellen. „Oikos“ heißt Haushalt. Nicht um den „rechten Glauben“ ging es also, immer nur um den optimalen, möglichst gemütlichen Haushalt.

Pankraz kommt dergleichen sehr bekannt vor. Genauso haben die Marxisten-Leninisten Geschichtsschreibung betrieben und betreiben sie heute noch. Historisches Geschehen ist demnach angeblich nichts weiter als Selbstbewegung von Ökonomie. Alles übrige, nicht zuletzt die genuine Politik mit ihren kollektiven und individuellen Leidenschaften und Machtkämpfen, ist lediglich „ideologischer Überbau“, genau betrachtet bloße Einbildung. Man denkt, daß etwas passiert und daß man etwas ausrichtet, aber in Wirklichkeit passiert etwas ganz anderes, und man hat meistens das Gegenteil ausgerichtet.

Um es klipp und klar zu sagen: Professor Agamben, gelernter Theologe und Philosophiedozent an der Universität von Venedig, hat dem – inzwischen ziemlich kleinlaut gewordenen – Marxismus-Leninismus mit seinem Buch einen höchst unerwarteten, gänzlich neuartigen Unterbau verschafft. Nicht irgendein soziologisches Gesetz degradiert fortan jegliches historische Geschehen zur bloßen Funktion von Ökonomie, sondern die heilige Dreieinigkeit des Christentums persönlich. Man hat es kommen sehen.

Herrschaft, die sich künftig mit transzendentem Glanz schmücken will, muß sich nicht mehr mit schwierigen Verheißungen und Abstraktionen abplagen, sie braucht nur darauf zu verweisen, daß sie mit ihren ökonomischen Maßnahmen den allmächtigen Willen eines grundsoliden göttlichen Haushaltsvorstands vollzieht und daß das nichts, aber auch gar nichts mit böser „Politik“ à la Carl Schmitt zu tun hat. Politische Theologie verwandelt sich in betriebswirtschaftliche Theologie, alle Leidenschaften werden auf Null abgekühlt, jeder Hartz-IV-Empfänger hat den Fahrschein ins Paradies bereits in der Tasche.

Fragt sich nur, ob diese neue Art von Herrlichkeit momentanen Machthabern wirklich hilft, ihre Herrschaft zu beglaubigen und zu festigen. „Neue Herrlichkeit“ hieß einst, kurz vor der Wende von 1989, ein DDR-Roman von Günter de Bruyn. Darin wurde sehr eindrucksvoll gezeigt, daß als himmlisch deklarierte Ökonomie und irdische Herrlichkeit sich gegenseitig ausschließen.

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