© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Pressestimmen zum Fall Sarrazin

die tageszeitung

Es ist höchste Zeit, sich von der Illusion zu verabschieden, rassistische Überzeugungen würden stets in Bomberjacke und Springerstiefeln daherkommen. ...

Empörung allein reicht da nicht aus – jetzt müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Als der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann aus Fulda 2003 eine Rede hielt, die antisemitische Motive aufgriff, wurde er aus Fraktion und Partei ausgeschlossen.

Vergleichbare Reaktionen von SPD und Bundesbank sind jetzt überfällig. Sie würden deutlich machen, daß Deutschland durch seine Geschichte klüger geworden ist.

 

Süddeutsche Zeitung

Sarrazin hat ein Problem benannt, das noch bestehen wird, wenn die Wogen der Empörung längst verebbt sind: das enorme Integrationsdefizit der muslimischen Minderheit in Deutschland, jedenfalls beklemmend großer Teile von ihr. Es ist zu befürchten, daß die Erregung über Sarrazin zur bequemen Ausflucht wird. Schon jetzt will der SPD-Vorstand den Störenfried aus der Partei ausschließen.

Rauswurf statt Dialog: Souverän ist das nicht, und ein Märtyrer würde geschaffen, dem man besser in der Sache entgegengetreten wäre; denn auch der SPD fehlen hier die Antworten.

 

Frankfurter Allgemeine

Wer den autochthonen Deutschen unterstellt, sie seien zu blöde zu begreifen, welche kulturelle Bereicherung ihnen etwa durch die Einwanderung aus Anatolien zuteil wird, muß nicht mit Rassismusvorwürfen und Rücktrittsforderungen rechnen. Sarrazin aber wird jetzt wieder der übliche Prozeß gemacht. ...

Sarrazin in der Statistik zu widerlegen, versucht kaum jemand. ...

Die Parteien erweisen sich nach wie vor als weitgehend ratlos, wenn Einwanderer zwar die Sozialleistungen dieses Staates annehmen, nicht aber seine Einladung zur Integration.

 

Rheinische Post

Manchmal braucht es den Kanonendonner, um die Spatzen zu scheuchen. ... Sarrazin spitzt zu, was der meistgeachtete Sozialdemokrat, Helmut Schmidt, längst formuliert hat: daß die deutsche Zuwanderungspolitik kein Ausweis politischer Klugheit war. Deshalb ist es so klug wie geboten, die Fehler bei der Integration nicht nur zu benennen – was auch ohne Sarrazin geschieht –, sondern sie nicht fortzusetzen.

Vieles von dem, was Sarrazin manchen Zuwanderer-Familien zumutet, wirkt pauschal, grob gestrickt, verletzend. Manches trifft den Kern des Problems. Und alles ist vom Recht auf Meinungsäußerung gedeckt.

 

BZ

Viele Politiker sagen nicht die Wahrheit. Sie verbergen ihre wahre Meinung zu dem komplizierten Integrationsthema oder machen sich etwas vor. Wer gegen das Tabu verstößt, wird ausgegrenzt. Wie soll man das nennen? Politisch korrekt oder verdruckst? ...

Die Bürger haben nicht immer recht, wenn sie aufbegehren; auch sie flippen da und dort aus, liegen schief und müssen es bereuen. Im Falle der Sarrazin-Publikation scheinen sie jedoch instinktiv und aus der Geschichte zu wissen, daß Denkverbote in Bücherverbrennungen münden. Politiker wissen das im übrigen auch. Aber sie verdrängen es.

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