© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Im Auge des Orkans
Debatte: Mit stoischer Gelassenheit läßt Thilo Sarrazin den Medienansturm bei seiner Buchpräsentation über sich ergehen
Ronald Gläser

Der Raum im Gebäude der Bundespressekonferenz im Berliner Regierungsviertel ist zum Bersten gefüllt. Unzählige Fotografen und Kamerateams umlagern den adrett gekleideten Mann mit dem Schnauzbart, der an der Stirnseite des Raumes sitzt und ein rotes Buch in Händen hält. Thilo Sarrazin läßt das Blitzlichtgewitter ungerührt über sich ergehen und verzieht keine Miene. Vielleicht denkt er in diesem Moment gerade an den englischen Politiker Enoch Powell (JF 47/05).

Dieser hatte 1968 eine Schreckensvision. Er fürchtete, daß die Zuwanderung aus Afrika und Asien das Gesicht Englands verändern würde, und warnte vor den Folgen einer ungezügelten Masseneinwanderung. Endlich einer, der die Wahrheit ausspricht, dachten sich viele Briten und bedankten sich bei ihm, daß er ihre Sorgen artikuliert habe. Powell erhielt in zehn Tagen 100.000 Briefe, von denen nur 800 negativ waren. Andererseits verlor er natürlich seinen Posten im Schattenkabinett. Die Einwanderung auf die britischen Inseln ging munter weiter. Powells Voraussage, die Zahl der Zuwanderer aus Asien und Afrika werde bis 2002 bei 4,5 Millionen liegen, wurde dann sogar noch übertroffen.

Ein bißchen erinnert das an die Prognosen von Sarrazin. Vielleicht hat der Bundesbanker sich auch deshalb mit dem Fall Enoch Powell befaßt und ihn in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ erwähnt, das er am Montag der Hauptstadtpresse präsentierte. Auch Sarrazin berichtet von großartigen Reaktionen der Bevölkerung. So hätten ihm am Vortag in einem China-Restaurant mehrere der anderen Gäste angesprochen. Sie seien durchweg freundlich gewesen und hätten sich zustimmend zu seinen Thesen geäußert, berichtet er auf der Pressekonferenz. Journalisten hätten ihm zudem „gesteckt“, daß die Zuschauer- beziehungsweise  Leserreaktionen zu neunzig Prozent positiv seien.

Sarrazin hat in seiner Amtszeit als Finanzsenator ja schon mehrfach zu verstehen gegeben, daß er mit bestimmten Entwicklungen in Deutschland ganz und gar nicht einverstanden ist. So zum Beispiel mit dem Wohlfahrtsstaat, der schon lange nicht mehr dem Schutz der Armen und Schwachen dient, sondern der Bereicherung der Faulen und Dummen. Sein „Hartz-IV-Menü“ und die Bemerkung über Kopftuchmädchen haben für reichlich Gesprächsstoff gesorgt. Jetzt hat er alle diese Thesen in Buchform gegossen.

Proteste gegen den „Rechtspopulisten“

Die Pressekonferenz ist Höhepunkt und vielleicht auch Abschluß der Sarrazin-Festspiele, die eine Woche zuvor mit der Vorabveröffentlichung von Buchauszügen in der Bild-Zeitung und im Spiegel begonnen hatten. Nachdem auch die Kanzlerin sich kritisch geäußert hatte und „das politische Berlin sich eine abschließende Meinung gebildet zu haben scheint“, so die türkischstämmige Soziologin Necla Kelek bei der Präsentation des Buchs, war die Erregung eigentlich nicht mehr steigerbar. Vor der Bundespressekonferenz haben sich gut 100 Demonstranten versammelt, die mit Schildern und Sprüchen ihrem Ärger über „Rechtspopulismus“ Luft machen.

Zu der Buchpräsentation war auch der Publizist Henryk M. Broder erschienen, der das Geschehen zeitweise sichtlich amüsiert beobachtete. Bereits im Vorfeld hatte Broder gesagt, es handle sich bei der Kritik an Sarrazin um den „ersten Fall von Hexenjagd in Deutschland seit der Mitte des 17. Jahrhunderts“. Weniger entspannt sah das dagegen der Fernsehmoderator Michel Friedman, der sich die Veranstaltung ebenfalls nicht entgehen lassen wollte. Ihm gehe es bei seiner Kritik an Sarrazin nicht um das „Ob“ einer notwendigen Debatte über Integration, sondern um das „Wie“, sagte Friedman.

Die Journalisten stehen am Einlaß in einer langen Schlange, wie sie selten zu sehen ist. „Leider sind unsere Rezensionsexemplare längst weg“, klagt eine Verlagsmitarbeiterin noch vor Beginn der Pressekonferenz. „Wir haben einen Lieferengpaß“, entschuldigt sie sich. Die Startauflage von 25.000 Exemplaren war da bereits komplett ausverkauft – am ersten Tag. Eine Journalistin von der Frankfurter Neuen Presse schimpft: „Da braucht er sich über die schlechte Presse nicht zu wundern, wenn sein Verlag nicht mal genug Bücher für die Journalisten vorrätig hat.“

Wenn es nur das wäre. In Wahrheit sind die meisten Journalisten wohl eher nicht auf seiner Seite. Allerdings lassen nur einige Berichterstatter ihrem Zorn freien Lauf. Eine schwer atmende taz-Journalistin mit Migrationshintergrund fragt Sarrazin, ob er den Islam als Teil Deutschlands akzeptiere. Sarrazin: „Der Islam ist eine Religion und kann daher nicht Teil einer anderen Sache sein.“ Eine Reporterin des Radiosenders Fritz fragt, was ihn von einem Rassisten und Sozialdarwinisten unterscheide. Sarrazin antwortet nur, sie habe sein Buch nicht gelesen. Und auch der Vertreter der türkischen Zeitung Hürriyet kriegt diese Antwort zu hören.

Diese Fragen prallen alle an ihm ab. Ob ihn aber die Ablehnung von offizieller Seite auch so kaltläßt? Noch während der Pressekonferenz wird Thilo Sarrazin von einem Journalisten darauf hingewiesen, daß das Präsidium der SPD soeben beschlossen habe, ihn aus der Partei werfen zu wollen. Sarrazin antwortet, er könne das nicht kommentieren. „Und Konsequenzen bei der Bundesbank...?“ will ein anderer Kollege wissen. Sarrazin antwortet, am Mittwoch werde der Vorstand tagen. „Ja, aber heute noch wird sich der Vorstandsvorsitzende Herr Weber äußern“, kommt es von dem Journalisten zurück. „Ach ja?“ Sarrazin ist überrascht. Die Dinge überschlagen sich. Sarrazin kennt den Fall Powell. Er weiß, was ihm nun passieren kann.

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