© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Deutsche Träume von der neuen Zeit
Eine ausführliche Analyse von „Die Kommenden“, einem Leitorgan der Konservativen Revolution
Karlheinz Weissmann

Das erste Mal hörte ich von der Zeitschrift Die Kommenden durch einen Veteranen der Bündischen Jugend. Das war Anfang der achtziger Jahre, und der alte Herr sprach von allem, was mit der Bewegung und dem, was sie trieb, zusammenhing, ihren Ideen und Träumen, Persönlichkeiten und Symbolen, Koalitionen und Feindseligkeiten, ganz selbstverständlich – wozu auch gehörte, daß es eben für die „nationalen“ Bünde ein Mitteilungsorgan gab, das den sendungsbewußten Titel Die Kommenden trug.

Es war für die dritte Phase der Jugendbewegung – nach Wandervogel und Freideutschen – typisch, daß Die Kommenden als „überbündische“ Zeitschrift nicht aus den Reihen der Jungen selbst entstanden, sondern von einem Erwachsenen gegründet wurden, dem „Vater“ des Bundes der Adler und Falken, Wilhelm Kotzde. Der Schriftsteller Kotzde war schon während der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eine wichtige Figur des völkischen Lagers gewesen und hatte für die Adler und Falken eine Mentorenfunktion übernommen. Sein Ehrgeiz ging aber deutlich darüber hinaus, und als er 1926 Die Kommenden gründete, war das Teil seines Plans, die Bündische Jugend insgesamt zu politisieren und zur Avantgarde einer größeren nationalen Bewegung zu machen.

Diese Absicht mußte scheitern und ist gescheitert, aber Die Kommenden entwickelten sich in der Endzeit der Weimarer Republik zum Forum des rechten Flügels der Bündischen, in deutlicher Absetzung gegenüber dem „liberalen“ Zwiespruch. Die Hintergründe werden jetzt in einem neuen Band der „Edition Archiv der deutschen Jugendbewegung“ erhellt. Die Autoren Stefan Breuer und Ina Schmidt rekonstruieren vor allem, auf welchem Weg sich das Selbstverständnis des Organs von einer eher traditionell-völkischen Prägung hin zu einem sozialrevolutionären Nationalismus wandelte, der sogar zum Bündnis mit dem Kommunismus bereit war oder in den Einflußbereich der deutschen KP geriet und dann zur Parteinahme für den Nationalsozialismus – nicht unbedingt für Hitler und die NSDAP – führte.

Die Ursachen dafür lagen ohne Zweifel in einer deutlichen Verschiebung der Gewichte am Ende der zwanziger Jahre, bedingt durch das Zurückweichen von Adler und Falken beziehungsweise den Artamanen und die wachsende Bedeutung kleiner Elitebünde wie der Freischar Schill oder der Eidgenossen. Die wiederum erklärt sich auch aus der Bedeutung Einzelner, die dem aktiven Kreis der Bündischen entwuchsen oder schon entwachsen waren. Das galt etwa für Karl O. Paetel, eine Zentralfigur des Nationalbolschewismus und kurze Zeit „Hauptschriftleiter“ der Kommenden, und für Werner Laß, den Führer der Freischar Schill. Laß gelang es, Ernst Jünger, den damals schon bekannten Schriftsteller und Sprecher der „Frontgeneration“, zur Übernahme einer „Schirmherrschaft“ zu bewegen. Was allerdings keine direkten Auswirkungen hatte, denn die praktische Arbeit erledigte Laß in der kurzen Phase von Jüngers Mitwirkung 1930/31.

Es gehört zu den Verdiensten dieses Buches von Stefan Breuer und Ina Schmidt, einem Leitorgan der Konservativen Revolution die gründlichste bisher bekannte Untersuchung gewidmet und dabei den hektischen und unübersichtlichen, in jedem Fall turbulenten Wechsel der Personen wie der ideologischen Vorgaben nachgezeichnet zu haben. Deutlich wird dabei auch, wie gering letztlich der Rückhalt für den Radikalismus von Nationalrevolutionären wie Paetel und Laß war.

Es mochte unter den Bündischen eine gewisse romantische Sympathie für das aufrührerische Landvolk geben, aber kaum irgendwelche für die Bombenanschläge, selbst wenn die keine Menschenopfer forderten. Irritierend wirkte auch der „Salonbolschewismus“ und führte Anfang der dreißiger Jahre zur Distanzierung verschiedener Gruppen, die bisher mit den Kommenden zusammengearbeitet hatten. Insofern ist der Kennzeichnung der letzten Phase der Entwicklung als „Streit um den wahren Nationalsozialismus“ zu folgen. Denn die Auseinandersetzung in den Spalten der Zeitschrift kreiste nach dem Erdrutschsieg vom September 1930 dauernd um das Verhältnis zur NSDAP, um die Frage, wie Hitler einzuschätzen sei, ob man ideologisch mitgehen könne, ohne die organisatorische Selbständigkeit (im Rahmen der HJ) aufzugeben, ob es eine national-sozialistische Bewegung neben oder außerhalb der Partei geben sollte.

Im Rahmen des Glossars, das Breuer und Schmidt dem Band beigegeben haben, um die Zentralbegriffe der Kommenden zu analysieren, wird einer der Autoren von damals mit der Aussage zitiert, daß unter „Sozialismus“ nicht Klassenkampf und nicht einmal Wirtschaftsordnung zu verstehen sei, sondern „die geistige Haltung und Struktur, in der sich die Idee des jungen deutschen Nationalismus einmal verwirklichen wird“. Man muß diese Auffassung nicht mehr nachvollziehbar finden, aber sie nahm doch auf die junge Generation des deutschen Bürgertums in der Zwischenkriegszeit einen erheblichen Einfluß, was wiederum erklärt, warum man sich zwar 1933 den neuen Verhältnissen anzupassen suchte, aber die einzelnen Protagonisten aus dem Umfeld der Kommenden doch zu sehr verschieden reagierten. In einer so noch nie präsentierten Sammlung von 150 Kurzbiographien („Biogrammen“) mit zahlreichen, zum Teil an entlegenen Stellen aufgefundenen Informationen wird das ganze Spektrum deutlich: von den Überzeugten und den Überläufern bis zu denjenigen, die sich zurückzogen, flohen, resignierten oder zum Widerstand übergingen.

Wenn man etwas an dem insgesamt sehr empfehlenswerten Band von Breuer und Schmidt kritisieren will, dann, daß dieser Heterogenität im Gesamturteil nicht genügend Rechnung getragen wird, daß die Autoren zu wenig beeindruckt sind von dem, was sie gefunden haben – von jener Menge an Einzelschicksalen, in denen sich etwas spiegelt von der Wirklichkeit einer „vergessenen Welt“, die in der Einleitung angesprochen wird.

Stefan Breuer, Ina Schmidt: Die Kommenden. Eine Zeitschrift der Bündischen Jugend (1926–1933). Wochenschau-Verlag, Schwalbach 2010, broschiert, 511 Seiten, Abbildungen, 49,90 Euro

Fotos: Zeltlager der Bündischen Jugend in Berlin-Grunewald (1933): Zur Avantgarde einer größeren nationalen Bewegung machen, Ausgabe im Juli 1932: Erheblicher Einfluß

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