© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe
Wo das Gegenlehramt zu Rom herrscht: Die ungenutzten Chancen der katholischen Publizistik
Georg Alois Oblinger

Dieser Papst fährt die Kirche an die Wand.“ – „Das Gefährliche an der katholischen Kirche ist das geschlossene System (…) mit einer völlig antiquierten Sexualmoral.“ – „Je älter ich werde, desto liberaler werde ich.“ Diese Aussagen, die Pfarrer Michael Broch (67) im Mai dieses Jahres gegenüber der Leonberger Kreiszeitung machte, sind nicht folgenlos geblieben.

Broch ist am 13. August vom Amt als Geistlicher Leiter am Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp) zurückgetreten. Voraus gingen lange Auseinandersetzungen mit den deutschen Bischöfen und vor allem mit jungen lehramtskonformen Auszubildenden der Journalistenschule, die sich von einem solchen Ausbildungsleiter nicht mehr vertreten sahen. Auch eine öffentliche Entschuldigung Brochs am 10. Juni konnte die Wogen nicht glätten. Zu lange schon schwelte der Konflikt, zu lange schon wird in Deutschland zugeschaut, wie hochrangige Geistliche und von Kirchensteuern bezahlte hauptamtliche Laien ihre eigene Kirche in der Öffentlichkeit verbal mit Dreck bewerfen. Nur selten erfolgt in solchen Fällen eine Zurechtweisung.

Die Glieder der Kirche sind zur Kritik verpflichtet

Das ist die Krankheit, an der die katholische Kirche in Deutschland leidet. Die Kritik von außen gab es immer, und diese wäre leicht auszuhalten, wenn die kirchlichen Vertreter nach außen hin Einigkeit und damit Stärke zeigen würden. Es geht hier nicht um eine Beschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, wie Hendrik Zörner, der Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes, meinte, sondern um die katholische Identität. Diese gesteht den Gliedern der Kirche in den unterschiedlichsten Lebensbereichen sehr wohl ihre eigene Meinung zu, verpflichtet sie sogar zur Kritik an kirchlichen Vertretern, wo diese sich vom Evangelium oder vom tradierten Glaubensgut in Worten oder Werken abgewandt haben, verlangt aber andererseits die Treue zum römischen Lehramt in Glaubens- und Sittenfragen. Denn gerade dies heißt katholisch sein.

Auf den heiligen Kirchenvater Augustinus geht die Grundregel zurück: „in necessariis unitas, in dubiis libertas et in omnibus caritas“ (im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe). Die Krise, in welche die Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) geraten ist, hat die Freiheit dermaßen überbetont, daß Außenstehende in ihr immer weniger ein einheitliches Gebilde mit verbindlichem Glaubensgut erkennen können. Neben der Einheit fehlt heute vor allem die Liebe zur Kirche, der Jesus seinen Beistand bis zum Ende der Zeiten verheißen hat. Weitgehend ist das „Sentire cum ecclesia“ (Mitfühlen mit der Kirche) heute verschwunden, die von Jesus Christus eingesetzte Institution präsentiert sich wie jeder weltliche Verein mit unterschiedlichen Parteiungen und öffentlich ausgetragenem Streit.

Wenn die Kirche in Deutschland heute oft als „zerstrittener Haufen“ wahrgenommen wird, so liegt dies auch daran, daß sich hier ein „Gegenlehramt“ etabliert hat. Das ordentliche Lehramt besteht aus dem Papst und den mit ihm verbundenen Bischöfen. Daneben ist in den vergangenen Jahrzehnten ein von Laien getragener Gremienkatholizismus getreten, der sich nicht damit begnügen will, verlängerter Arm oberer Instanzen zu sein, der vielmehr seine Daseinsberechtigung dadurch zu legitimieren versucht, indem er in Opposition zum Papst und zu den Bischöfen tritt.

Oberste Instanz dieses Laienkatholizismus ist das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das maßgeblich von Berufspolitikern getragen wird und insgesamt mehr Solidarität zu den politisch Mächtigen in Deutschland erkennen läßt als zur obersten Kirchenleitung in Rom. Der jetzige Vorsitzende des Zentralkomitees, Alois Glück (CDU), hat gleich bei seiner Ernennung innerkirchliche Reformen angemahnt wie vor allem die Aufhebung des priesterlichen Zölibats.

Welcher Betrieb kann es sich leisten, an entscheidenden innerbetrieblichen Stellen Menschen zu fördern, welche die Betriebsführung kritisieren und das eigene Produkt schlechtreden? Erstaunlicherweise geht dies in der von Steuermitteln finanzierten katholischen Kirche in Deutschland.

Schon längst fühlen sich glaubens­treue Katholiken von diesen Gremien nicht mehr vertreten. So entstanden ab 1989 in den deutschen Diözesen die „Initiativkreise katholischer Laien und Priester“ und deren Zusammenschluß, das „Forum deutscher Katholiken“, das seit 2001 jährlich in Fulda einen Kongreß abhält unter dem Motto „Freude am Glauben“. Dieser Kongreß ist heute das, was früher einmal die Katholikentage waren, als diese noch nicht zum „Markt der Möglichkeiten“ verkommen waren, die sämtlichen kirchenfeindlichen Gruppierungen („Homosexuelle und Kirche“, feministischer Theologie, notorischen Kirchenkritikern wie Hans Küng) eine Plattform bieten.

Kirchenzeitungen kommen viel zu provinziell daher

Im Gegensatz zum Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das versucht, die Kirche gegenüber dem Zeitgeist und der Politik zu öffnen, will das Forum deutscher Katholiken umgekehrt die Botschaft des Evangeliums in sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen und politischen Lebens tragen. Genau dies ist der Verkündigungsauftrag der Kirche. Gerade hier sind aber noch viele Chancen ungenutzt.

Wieso schafft es eine reiche, kirchensteuerfinanzierte Kirche wie die deutsche nicht, eine Zeitung oder Zeitschrift mit klarem katholischen Profil herauszugeben, die in der weitgefächerten Medienlandschaft die oft nur schwach tönende Stimme des Glaubens in ansprechender Weise zu Gehör bringt? Warum müssen Kirchenzeitungen – von der Tagespost abgesehen – immer so wehleidig oder provinziell daherkommen, daß in der Regel nur Frauen über siebzig sie lesen – und auch diese meist nur, weil der Pfarrer dafür wirbt?

Kein Wunder, daß die meisten Kirchenblätter derzeit um ihre Existenz bangen müssen. Es täte ihnen gut, wenn sie etwas mehr Biß hätten. Einen Versuch in diese Richtung startete im Jahr 2002 Pfarrer Andrej Nicolai Desczyk, der als Verantwortlicher für die Berliner Kirchenzeitung versuchte, dieser ein deutlicheres katholisches Profil zu geben. Als die Unterstützung von Kardinal Sterzinsky hierzu ausblieb, gab Pfarrer Desczyk nach nur zehn Monaten auf.

Auch der von Kirchensteuern getragene Rheinische Merkur leidet an Profillosigkeit und hat demzufolge eine Leserschaft mit hohem Durchschnittsalter und seit Jahren stark sinkende Abonnentenzahlen. Zeitschriften, die eine klare katholische Linie aufweisen, werden in Deutschland ausschließlich von Spenden finanziert, so der Fels als Monatszeitschrift des Forums deutscher Katholiken sowie die beiden Zeitschriften aus dem Fe-Medienverlag, Pur-Magazin und Vatican-Magazin.

Der Rücktritt von Pfarrer Broch als Leiter des Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuchses war überfällig. Da er insbesondere auf Druck der nachwachsenden Journalistengeneration geschah, läßt dies zumindest hoffen, daß bald die bislang ungenützten Chancen in der katholischen Publizistik ergriffen werden. Hier gibt es noch viel zu tun.

Foto: Bildnis des Hl. Franziskus von Sales an der rechten Außenwand der Kirche La Madeleine in Paris: Franz von Sales (1567–1622), Fürstbischof von Genf, Ordensgründer und Kirchenlehrer, ist Patron der katholischen Schriftsteller und Journalisten

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen