© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Jenseits der 40 Prozent
Bayern: Angesichts fallender Umfragewerte formiert sich in der CSU die Opposition zu Parteichef Horst Seehofer
Paul Rosen

Die CSU war einst eine deutsche Erfolgsgeschichte. Von ihr lernen, heiße siegen, riefen die von satten Mehrheiten verwöhnten Bayern ihren CDU-Kollegen oft zu. Inzwischen macht sich auch in weiß-blauen Gefilden Kummer breit. Die Erfolge bleiben aus, der angebliche „Retter“ Horst Seehofer gerät wegen seines Führungsstils in die Kritik. Seine Ablösung ist eine Frage der Zeit.

Die CSU war immer von einem Gegensatz zwischen Bundes- und Landespolitikern geprägt. Als sie sich von einer bäuerlich-bodenständigen zu einer konservativen Partei verwandelte, geschah dies von der damaligen Bundeshauptstadt Bonn aus. Ihr Vorsitzender Franz Josef Strauß war zeitlebens Bundes- und Außenpolitiker – auch wenn er sich in späteren Jahren als Ministerpräsident nach München zurückzog. Auf Strauß folgte der Bundespolitiker Theo Waigel – also wieder ein „Bonner”.

Ein Nachfolger steht schon bereit

Erst Edmund Stoiber verlagerte nach Waigels Abschied 1998 das Machtzentrum der CSU nach München. Nach Berlin zu kommen, vermied er quasi in letzter Minute, weil er schwindenden Rückhalt in München fürchtete. Dieser schwand ohnehin, und Erwin Huber trat in die viel zu großen Schuhe von Stoiber, um den Vorsitz ein gutes Jahr später an Seehofer loszuwerden.

Mit Seehofer übernahm wieder ein Bundespolitiker das Ruder. Er ging auch als Ministerpräsident nach München, wohl um einen neuen Dualismus wie zu Zeiten Waigels zu vermeiden, der ständig Grabenkämpfe mit dem damaligen Ministerpräsidenten Stoiber auszutragen hatte. Seehofer räumte auf. Er verjüngte das Kabinett. Blitzartig entfernte er langgediente Parteigranden aus ihren Ämter. Der Spruch ging schon um, daß alle über 60 Jahre in der CSU ihren Hut nehmen müßten und Seehofer, wenn er bei dieser Linie bleibe, sich selbst überflüssig machen werde. Der Ingolstädter ist inzwischen 61 Jahre alt.

Zwar ging Seehofer sein Werk energisch an, doch der Erfolg wollte sich nicht einstellen. Im Gegenteil: Es gibt Gerüchte über Umfragen, nach denen die CSU nicht einmal mehr 40 Prozent erreichen würde. Bestätigt wird dies durch aktuelle Umfragen auf Bundesebene: So notiert Allensbach die CDU/CSU derzeit bei 31 Prozent.

Nach einer alten Faustregel, wonach der CSU-Wert in Bayern etwa acht Punkte höher liegt als das Unionsergebnis auf Bundesebene, gibt es für die CSU daher eine 40-Prozent-Hürde, die Seehofer nach Ansicht vor allem jüngerer Parteifreunde kaum wird überwinden können.

Seehofer wird inzwischen scharf kritisiert. Ausgestattet mit vielen Insider-Informationen veröffentlichte der Spiegel ein Seehofer-Porträt, in welchem dem Vorsitzenden bescheinigt wird, Sympathien je nach Tageslaune zu verteilen oder zu entziehen und sich über abservierte Parteifreunde oder Mitarbeiter noch lustig zu machen. Als „Diktator mit der Narrenkappe“ bezeichnete ihn der Spiegel.

Jüngere CSU-Politiker wie Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg wagen inzwischen den offenen Konflikt mit dem Vorsitzenden, der etwa zum Thema Bundeswehr und Wehrpflicht gewarnt hatte: „Ich kann meiner Partei nur raten, die Wehrpflicht nicht abzuschaffen.“ Sie gehöre zum Markenkern der Union. Guttenberg legte jedoch ein Modell zur Zukunft der Bundeswehr vor, das die Aussetzung der Wehrpflicht und damit quasi ihre Abschaffung vorsieht. Er riskiert eine offene Auseinandersetzung mit Seehofer.

Gerade jüngere CSU-Politiker wollen den Spieß noch einmal umdrehen. Sie sind wie etwa der bayerische Sozialminister Markus Söder in der Stoiber-Ära in mittlere Ämter aufgestiegen und haben die satten Mehrheiten zu Stoibers Zeiten noch gut in Erinnerung.

Zugleich deutet sich der nächste Führungskonflikt in der Partei an. Als sicher gilt, daß Guttenberg Seehofer beerben will, wenn es zur bayerischen Palastrevolution kommen wird – etwa nach einem desaströsen Abschneiden der ähnlich wie die CSU strukturierten baden-württembergischen CDU nach der dortigen Landtagswahl im März nächsten Jahres.

Ein Regierungsverlust der baden-württembergischen CDU wäre für die Jungtruppe der bayerischen Schwesterpartei das Signal zum Losschlagen. Die Frage ist nur, ob Söder oder Guttenberg stark genug wären, um die Macht allein zu übernehmen. Oder müßten sie wieder ein Gespann bilden wie einst Huber und Günther Beckstein – und würden damit die bayerische Tragödie der Diadochenkämpfe fortsetzen?  

Foto: Horst Seehofer (l.) und Karl-Theodor zu Guttenberg bei der Pflege bayerischen Brauchtums: Signal zum Losschlagen

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