© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

„Warum sich schuldig fühlen?“
Zum fünften Jubiläum seines Holocaust-Mahnmals überrascht Architekt Peter Eisenman mit pikanten Einwürfen
Moritz Schwarz

Herr Eisenman, 2010 war der fünfte „Geburtstag“ Ihres 2005 eingeweihten Mahnmals. Sind Sie zufrieden damit?

Eisenman: Ja, ich finde es gut, daß die Deutschen es als einen ganz alltäglichen Ort annehmen.

Das ist allerdings wohl nicht das, was sich die Initiatoren des Denkmals gewünscht haben.

Eisenman: Mag sein, aber die Grundidee war, daß das Mahnmal eine normalisierende Wirkung auf den Umgang mit dem Holocaust im Alltagsleben haben sollte.

Wie könnte die „Dauerpräsentation unserer Schande“ – wie Martin Walser das formuliert hat – auf ein Volk „normalisierend“ wirken?

Eisenman:  Es ist interessant, daß in Edgar Reitz’ bekanntem vielstündigem Film „Heimat“ kein einziges Mal das Wort Auschwitz fällt. Ich glaube, Reitz’ Anliegen ist es, den Deutschen ihre Geschichte zurückzugeben. Bei dem Monument geht es nicht um Schuld, sondern darum, Erinnerung zurückzugeben. Und die Deutschen, sie sollen dort das tun, was ihnen gefällt.

Verstehen Sie, wenn manche das für pietätlos halten?

Eisenman: Deswegen gibt es ja den unterirdisch angelegten „Ort der Information“.

... eine Informationsschau, die in Ihr Denkmal integriert ist, aber künstlerisch nicht dazugehört, nicht von Ihnen stammt.

Eisenman: Das stimmt, wir wurden um diese Ergänzung gebeten. Es ist ein sehr ernsthafter Ort, dort findet man viele Texte und Fakten zum Holocaust. Aber mit der physischen Erfahrung des Mahnmals hat das nichts zu tun. Das Mahnmal ermöglicht den Menschen, es in der Gegenwart selber körperlich zu erfahren. Beide Erfahrungen stehen in einer symbolischen Beziehung zueinander, einer Art Echo, aber es gibt keine unmittelbare Beziehung. Das Mahnmal hat nichts mit der Lagererfahrung zu tun, es ist etwas emphatisch anderes.

Das Holocaust-Mahnmal hat nichts mit dem Holocaust zu tun?

Eisenman: Das Mahnmal schreibt niemandem vor, in einer bestimmten Weise über den Holocaust zu reflektieren. Es ist keine Deutung des Holocaust. Wir wollen den Menschen eine Erfahrung des Mahnmals ermöglichen, die ihrer eigenen Deutung entspricht.

Ist der Zweck eines Holocaust-Mahnmals nicht, an den Holocaust zu erinnern?

Eisenman: Nein. Es sollte etwas sein, was die Deutschen für sich selbst erschaffen haben: von Deutschen für Deutsche. Ich glaube nicht, daß die Leute, die darin herumlaufen und alles für ihr Reisealbum fotografieren, dabei unbedingt an den Holocaust denken. Vielmehr befassen sie sich mit dem Ort als solchem. Und diese Erfahrung muß nichts mit dem Holocaust zu tun haben, sondern damit, daß das Stelenfeld ein ungewöhnlicher Ort ist. Es geht darum, in der Gegenwart statt in der Vergangenheit zu sein.

Gegenwart statt Vergangenheit? Das muß in den Ohren der Initiatoren des Mahnmals gefährlich klingen.

Eisenman: Wenn die Deutschen nach Auschwitz fahren, dann erinnern sie sich an Auschwitz: Sie fühlen sich schrecklich ob all des Grauens und der Schuld. Wenn sie dagegen das Monument begehen, dann machen sie eine ganz andere Erfahrung. Die Initiatoren wollten, daß ich alle möglichen konkreten Hinweise auf den Holocaust einbaue – Inschriften, die Namen aller Opfer und so weiter. Dieser Art des Gedenkens dient jetzt der „Ort der Erinnerung“. Das Mahnmal dagegen soll wie gesagt der Normalisierung dienen. Ich glaube, daß es gut für Deutschland wäre, sein Verhältnis zu seiner Geschichte zu normalisieren.

Wären Sie nicht der amerikanische Vater des Holocaust-Mahnmals, würde man Ihnen jetzt wohl vorwerfen, den Holocaust zu „relativieren“. Und ein Widerspruch bleibt auf jeden Fall: Die Initiatoren des Mahnmals nutzen Ihr Werk zur Verbreitung und Verfestigung ihrer eigenen Interpretation, nämlich der einer „Dauerpräsentation unserer Schande“. Nach allem, was Sie hier gesagt haben, dürfte Ihnen das gar nicht passen, denn es läuft ja Ihren Bemühungen um Normalisierung zuwider.

Eisenman: Der Auftrag lautete anders – aber jeder hat die Freiheit und das Recht, das Mahnmal nach eigenem Gutdünken zu deuten. Das Wort Auschwitz kommt auf den Tausenden Stelen des Mahnmals genausowenig vor wie in den vielen Stunden des Edgar-Reitz-Films. Ich wiederhole: Ich wünsche mir, den Deutschen zu helfen, sich mit ihrer Geschichte, ihrer Identität und ihrer Erinnerung zu versöhnen, aber ich will ihnen nicht vorschreiben, was sie zu denken haben. Warum sollten die Deutschen sich von Geburt an schuldig fühlen?

Das alles ist so ziemlich das Gegenteil dessen, wie das Holocaust-Mahnmal hierzulande interpretiert wird. Diesen Konflikt müssen Sie doch sehen?

Eisenman: Nein, ich sehe keinen Konflikt.

Dann handelt es sich beim Berliner Holocaust-Mahnmal um das vielleicht am meisten mißverstandene Kunstwerk der Welt.

Eisenman: Glauben Sie? Vergessen Sie nicht, sogar Martin Walser, einer der konsequentesten Gegner des Monuments, hat mir nach der Eröffnung gratuliert. Walser hat mich also nicht mißverstanden, Jürgen Habermas auch nicht und auch Lea Rosh nicht, selbst wenn wir nicht auf einer Linie liegen.

Frau Rosh und die anderen Initiatoren dürften wohl darauf spekulieren, daß aber die Deutschen es miß- und im Sinne einer Schuldzuweisung verstehen.

Eisenman: Das glaube ich nicht. Wenn sie wirklich so dächten, wäre das eine sehr zynische Haltung. 

Nun ... Andere Frage: Viele Konservative waren gegen das Mahnmal, aber nicht weil sie nichts vom Holocaust hören wollen, sondern nur, weil sie meinen, daß ein Verbrechen nicht im Zentrum einer nationalen Erinnerung stehen kann, ohne daß diese schweren Schaden nimmt. Also selbst Konservative wären – wenn schon, denn schon – wohl dafür, inhaltlich „mehr Holocaust“ in einem solchen Mahnmal unterzubringen als Sie.

Eisenman: Vergessen Sie nicht, Helmut Kohl war für das Monument und Gerhard Schröder dagegen. So einfach ist die konservative Position also nicht zu definieren. Was Konservative und die Initiatoren verbinden mag, ist, daß sie von einem Denkmal eine definierte Aussage erwarten. Sie hätten vermutlich gerne so was wie Rodins „Die Bürger von Calais“ gehabt: neun weinende Juden in Ketten oder so. Jedes Kunstwerk mit einer klar definierten Aussage zum Holocaust ist aber zwangsläufig weniger aussagekräftig als das Verbrechen selber.

Was ist mit dem Jüdischen Museum Berlin von Daniel Libeskind mit seinen „Achsen des Holocaust“, dem „Garten des Exils“, seinen „Voids“ und dem „Holocaust-Turm“?

Eisenman: Ein sehr bewegendes Werk, das sich aber grundlegend vom Mahnmal unterscheidet. Ich meine, ein Kunstwerk muß offen für Interpretationen sein, es darf nicht eine bestimmte Deutungsweise vorgeben. Ich wollte die Stille, die Enge, das Gefühl, in dem Stelenfeld allein sein zu können, aber ich wollte keine Aussage diktieren.

Viele Konservative wünschten sich ein positives Denkmal im Zentrum der nationalen Erinnerung, etwa für die deutsche Wiedervereinigung. Seit Jahren geplant, ist die Berliner Republik bislang allerdings nicht in der Lage, ein solches zu bauen. Hätten Sie eine Idee?

Eisenman: Wenn Sie jetzt erneut etwa Gegenständliches wollen: Ich wüßte auch hier nicht, wie das gehen soll, ohne kitschig zu werden. Ich würde wohl erneut etwas Abstraktes vorschlagen, denn für mich ist Abstraktion etwas Positives.

Warum sind Sie so entspannt beim Thema Holocaust? Sie sind selbst Jude, haben Sie keine Angst vor einem „neuen Antisemitismus“?

Eisenman: Oh, ich habe schon Antisemitsmus erlebt – in den USA. Und wußten Sie, daß Präsident Roosevelt, der gegen Nazi-Deutschland Krieg führte, selbst Antisemit war? 1922, damals war er noch Gouverneur, hat er sich für eine Begrenzung der Zahl der Juden in Harvard ausgesprochen. Und Churchill war zumindest kein Philosemit. Sie haben den Krieg nicht geführt, um die Juden zu retten, sie haben ja auch nicht die Bahnlinie nach Auschwitz bombardiert, sondern wollten sich für Coventry rächen. Und die Deutschen? Viele haben damals gar nicht verstanden, was sie falsch gemacht haben sollen: „Haben wir die Welt nicht vor dem Kommunismus gerettet?“ Die Briten mochten den Kommunismus nicht, die USA auch nicht, was also sollte falsch daran sein, Stalin zu bekämpfen? Achtzig Prozent der deutschen Verluste erlitt die Wehrmacht an der Ostfront, und achtzig Prozent der Verluste des gesamten Krieges trugen Deutsche und Russen – nicht Briten und Amerikaner! Es ist eben nicht alles schwarz und weiß, die Dinge sind komplex. Wenn die Leute also nach einer klaren Deutung verlangen, kann ich nur antworten: Das 20. Jahrhundert ist voller Unklarheit. Verlangen Sie also keine endgültige Antwort von mir – um die Geschichte wirklich zu verstehen, muß man offen sein für viele unterschiedliche Deutungsweisen. Dieses Mahnmal ist bloß eine unter vielen solchen Deutungen.

 

Peter Eisenman, gewann 1999 den Wettbewerb um die Errichtung des „Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ in Berlins Mitte. Der Deutsche Bundestag entschied sich für einen überarbeiteten Entwurf  des New Yorker Star-Architekten (www.eisenmanarchitects.com) mit 2.711 Betonstelen, die sich auf 19.000 Quadratmeter erstrecken, der bis 2005 realisiert wurde. Eisenman, geboren 1932 in Newark/New Jersey und selbst jüdischer Abstammung, gilt als bedeutender Architekt der Gegenwart und hat mehrere internationale Auszeichnungen erhalten. In Berlin hat er bereits mehrfach gebaut. Zusammen mit Michael Graves, Charles Gwathmey, John Hejduk und Richard Meier gehört er zur Architektengruppe der „New York Five“.

Foto: Mahnmal-Schöpfer Peter Eisenman im Stelenfeld des Holocaust-Denkmals (Mai 2010): Ist der Zweck eines Holocaust-Mahnmals nicht, an den Holocaust zu erinnern? – „Nein“

 

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