© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Schnipseln mit dem Erbgut
Auch wenn der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts keine medizinische Revolution folgte, sind neue Forschungshorizonte in Sicht
Michaels Manns

Das Weiße Haus in Washington am 26. Juni 2000: Der damalige US-Präsident Bill Clinton tritt vor eine Versammlung von internationalen Gästen und Medienvertretern und verkündet vor dem staunenden Fernsehpublikum: „Heute trifft sich die Welt mit uns, um eine ganz besondere Karte zu enthüllen, die wichtigste und wunderbarste Karte, die die Menschheit je erschaffen hat.“

Es ist die Karte des menschlichen Erbgutes (Genomkarte). Auf ihr sind die Buchstaben des menschlichen Gencodes eingetragen. „Das Buch des Lebens“, so Clinton, werde endlich lesbar. Neben Clinton standen zwei begnadete US-Molekularbiologen: Francis Collins und Craig Venter. Beide hatten sich zehn Jahre lang einen erbitterten Wettkampf geliefert, um diese biologische Grundstruktur des Lebens zu entziffern – Venter hatte dabei die Nase vorn.

Jetzt hat der ehrgeizige, geschäftstüchtige und nie um große Worte verlegene Craig Venter wieder einen Coup gelandet: Er hat Leben mit künstlichem Erbgut erzeugt. Waren wir vor zehn Jahren erstmals in der Lage, das ABC des Lebens zu lesen, so können wir es jetzt quasi auch schreiben. Sprach man damals von der „Mondlandung der Biologie“, so jetzt mit viel Tamtam vom „Schöpfungsakt“ und daß wir bald alle Gott wären.

Auf der Suche nach der Milliarden-Dollar-Existenz

Das ABC des Lebens – was verbirgt sich dahinter? Als Erbgut (oder Genom) eines Lebens werden alle vererbbaren Informationen bezeichnet, die in den Zellen in Form großer Moleküle (der DNS) gespeichert sind. Die wichtigsten Bausteine der DNS sind die Basenpaare. Sie werden mit den Buchstaben A,T,C,G abgekürzt. In der Abfolge dieser „Buchstaben“ sind sämtliche Informationen enthalten, die ein Lebewesen braucht, um sich zu entwickeln und seine spezifischen Eigenschaften hervorzubringen

Was haben Venter und sein Team gemacht? Sie haben das Bakterium Mycoplasma mycoides untersucht. Es gehört zu den kleinsten, selbständig vermehrungsfähigen Bakterien. Sein Genom ist überschaubar – es enthält nur etwa eine Million Basenpaare. Zum Vergleich: Beim Mensch sind es mehr als drei Milliarden. Dann setzten die Forscher DNA-Schnipsel im Reagenzglas zusammen und verknüpften sie zu längeren Strängen. Nach weiteren Schritten hatten sie ein vollständiges Mycoplasma-Genom synthetisiert. Dann nahmen sie ein anderes Bakterium (Mycoplasma capricolum), räumten sein Genom aus und setzten das synthetisierte Erbgut ein. Und tatsächlich: Es funktionierte! Die eigentlich schon toten Zellen des Bakteriums wurden wieder lebendig. Und die neu geschaffenen Bakterien sahen aus wie ihre „Mutter“, das Bakterium Mycoplasma mycoides.

Ein spektakuläres Experiment – ganz ohne Zweifel. Aber wurde hier die Tür aufgemacht zu Frankensteins Horrorkabinett? Und haben Gen-Guru Craig Venter und seine Teams die Schöpfungsrolle eingenommen? Die Wissenschaftler ziehen zwar den Hut vor der Leistung, wiegeln aber sonst eher ab. Das Bakterium war schließlich schon da und die Genschnipsel auch. Alles, was verändert wurde, geschah im Einklang biologischer Gesetze. Eine Schöpfung im strengen Sinne, als creatio ex nihilo, habe es nicht gegeben. Der Vatikan gibt sich zurückhaltend. Sprecher Federico Lombardi betonte, die Kirche brauche erst noch mehr Informationen. Auch Venter wehrt sich gegen seine Überhöhung zum Gen-Gott. In einem Interview mit der FAZ antwortete er auf die Frage, ob er Schöpfer gespielt habe: „Ganz bestimmt nicht.“ Und ob er eine neue Art von Leben hergestellt habe, sagte er klipp und klar: „Nein.“

Doch er schwelgt in den Anwendungsmöglichkeiten. Seine Vision: daß man in die Kunstbakterien Gene hineinpacken, die Biokraftstoffe, Arzneien oder andere Chemikalien herstellen. Fleisch und Wasser könnten in Zukunft durch synthetische Prozesse erzeugt werden, und komplette Mikroben-Fabriken sollen mit den Kunstbakterien den Weltvorrat an Treibstoff produzieren. Von seiner Kraftstoffmikrobe ist er besonders begeistert: Sie wäre dann das „erste Milliarden-Dollar-Lebewesen der Welt“. Für Craig Venter gingen Gene und Geld schon immer eine innige Fusion ein.

Und spätestens hier muß man massive Bedenken äußern. Nachdem Clinton spektakulär von der Karte der Menschheit geschwärmt hatte, wurden Milliarden in die Genforschung gesteckt. Doch das erhoffte goldene Zeitalter der Medizin ist bis heute nicht angebrochen. Die Kenntnis des Genoms habe „noch keine direkte Wirkung auf die medizinischen Behandlungen für den Großteil der Menschen“ entfaltet, gab Francis Collins, Leiter des staatlichen US-Gesundheitsinstituts NIH, jüngst in der Fachzeitschrift Nature zu. „Die medizinischen Anwendungen bleiben bis heute bescheiden. Craig Venters Kraftstoffmikroben dürften auch noch lange Utopie bleiben.“

Mit Erbsubstanz Menschen wie Computer konfigurieren

Nur künstliche Aufregung um das künstliche Leben also? So einfach ist es nicht. Venters Experiment hat gezeigt, daß Leben zu einem beherrschbaren und manipulierbaren Phänomen geworden ist. Das bringt das abendländisch-christliche Konzept des Lebens ins Wanken. Denn Leben als schöpferische Kraft, als Mysterium, als unergründliches Wunder und Gnade Gottes – diese philosophischen und religiösen Grundlagen werden möglicherweise bald Geschichte sein.

Wenn Gen-Ingenieure unsere Natur verbessern und den Weg zur Menschenzüchtung freimachen, gerät die Schöpfung in Menschenhand. „Macht euch die Erde untertan“, lautet der Auftrag aus dem Alten Testament (Buch Genesis). Dieser Auftrag hatte eine Ackerbauerkultur im Blick, in der der Boden bearbeitet wurde, damit der Mensch überlebe.

Der wissenschaftlich-technologische Fortschritt ist längst weiter und ritzt nicht mehr Furchen in den Grund. Er domestiziert und manipuliert die Kräfte des Atoms und jetzt auch die biochemische Substanz des Homo sapiens. Am Ende könnte dann doch die Horrorvision stehen, daß die menschliche Erbsubstanz und damit der Körper konfiguriert wird wie ein Computer. Craig Venter hat das Buch Genesis umgeschrieben. Jetzt lautet der Tenor: Macht euch das Genom untertan.

Foto: Maus und DNS-Strang: Alles, was verändert wurde, geschah im Einklang biologischer Gesetze

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