© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Guttenberg wird’s schon richten
Zwei „Bild“-Journalisten bereichern die „Kriegsliteratur“ zu Afghanistan / Streitlustiger Erlebnisbericht als verkappte Minister-PR
Hans Brandlberger

Von den knapp über 250.000 Soldaten der Bundeswehr befinden sich derzeit etwa 4.600 im Einsatz in Afghanistan. Da die Kontingente – von Spezialverwendungen abgesehen – alle vier Monate wechseln, ist die Zahl jener, die seit 2002 Deutschlands Freiheit am Hindukusch zu verteidigen hatten, um ein Vielfaches höher.

Die Bedingungen dieses Einsatzes haben sich in den vergangenen Jahren Stück für Stück dramatisch gewandelt. Mochte der deutsche Verantwortungsbereich im Norden des Landes anfänglich als eine Oase der Stabilität erschienen sein, so ist auch hier längst afghanische Normalität eingekehrt. Attentate und Gefechte sind an der Tagesordnung, die Bilder von zerstörten Patrouillenfahrzeugen und Trauerfeiern haben jene von strahlenden Mädchen auf der Schulbank und Brunneneinweihungen mit anschließendem Imbiß im fröhlichen Rund in den Hintergrund treten lassen.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, um starke Worte und kühne Gesten nie verlegen, spricht in bewußtem Gegensatz zu seinem betulichen Amtsvorgänger von „Krieg“, und die Soldaten im Einsatz, die sich subjektiv in einen solchen verstrickt sehen, danken es ihm mit Anhänglichkeit. Nur dann, wenn der im Stile eines Insolvenz­verwalters mit eisernem Besen seinen Verantwortungsbereich auskehrende Publikumsliebling aus dem Bendler-Block um die verfassungsrechtlichen Implikationen seiner Freimütigkeit fürchten muß, bequemt er sich dazu, die Geschehnisse in Afghanistan unter dem juristisch eher angemessenen Begriff eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu fassen.

Wo ein „Krieg“ ist, gedeiht in der Regel binnen kurzem die „Kriegsliteratur“, und so ist es denn auch in diesem Fall. Veröffentlichungen zu Afghanistan drängen mittlerweile in gefühltem Wochentakt auf den Markt. Belletristische Versuche einer Aufarbeitung sind noch nicht zu erkennen, aber die zahllosen persönlichen Erlebnisberichte kommen diesem Genre auf zumeist denkbar niedrigem Niveau mitunter schon recht nahe. Auch an essayistischen Analysen, die weniger am konkreten Geschehen denn an dessen politischen Rahmenbedingungen interessiert sind, herrscht beileibe kein Mangel.

So unterschiedlich die Herangehensweise dieser Bücher auch sein mag, so austauschbar sind sie in ihrer zentralen Botschaft: Es läuft nicht rund in diesem Einsatz. Die Ausrüstung, so das Klagelied, ist unzureichend und wird den Bedingungen des Einsatzes nicht gerecht. Die Bürokratie ist überbordend und grotesk. Die Ausbildung weist Defizite auf, und überhaupt sind die Soldaten vor Ort darüber verbittert, daß in der fernen Heimat tatsächlich jenes „freundliche Desinteresse“ an ihrem Tun vorherrscht, das Altbundespräsident Horst Köhler schon vor Jahren attestierte.

In diesen Tenor reiht sich nun auch das Buch der beiden Bild-Journalisten Jan Meyer und Julian Reichelt ein, und doch überragt es das, was ansonsten zu diesem Thema bisher zu lesen war, um Längen. Dies hat eine simple Ursache: Die beiden Autoren können schreiben und entzünden ein journalistisches Feuerwerk, das es schwer macht, das Buch vor Abschluß der Lektüre aus der Hand zu legen. Hinzu kommt eine bemerkenswerte Empathie. Mit ihrem Mosaik aus kleinen Reportagestücken führen Meyer und Reichelt den Leser in eine Nähe zu den Soldaten im Einsatz, die bislang nicht einmal jene, die aus eigenem Erleben berichteten, zu vermitteln vermochten. Dabei gehen sie so weit, daß sie aufgeschnappte Äußerungen und erspürte Befindlichkeiten nicht bloß professionell wiedergeben, sondern sich diese sogar zu eigen machen und dabei zu Schlußfolgerungen gelangen, die – auch in der Bundeswehr – manche als „militaristisch“ empfinden dürften.

Wer sich der suggestiven Schreibe entzieht, steht jedoch vor einem Rätsel. Jan Meyer und Julian Reichelt sind ungeheuer aufgeregt und entfachen eine missionarische Stimmung: Es muß etwas getan werden! Aber was? Mehr als fromme Appelle, die Bevölkerung solle die Soldaten, die für sie ihr Leben riskieren, angemessener würdigen und die Bundeswehr etwas unbürokratischer vorgehen, haben sie nicht anzubieten. So brillant und streitlustig sie als Unterhaltungsjournalisten auch sind, so dröge und mutlos gerät ihre politische Einordnung des beobachteten Geschehens.

Über die Sprachschablonen des Weißbuchs der Bundesregierung gehen sie hier nicht hinaus. Statt dessen geizen sie nicht mit versteckten Fouls und rächen sich auf billige Weise insbesondere an all jenen Uniformträgern, die sich erdreisteten, ihnen in ihren Recherchen nicht Türen und Tore zu öffnen. Und doch, je näher der Leser dem Ende des Buches zustrebt, erhellt sich für ihn der Metazweck, den es verfolgt. Er hat es im Laufe der Lektüre immer wieder einmal ahnen können, doch dann ist es nahezu Gewißheit, auf jeden Fall aber eine Hoffnung, die alle Unbill vergessen macht: Nach Jahren der Verirrung ist der Bundeswehr ein Retter erstanden, der sich anschickt, die Pharisäer aus dem Ministerium zu vertreiben. Nun wird alles gut.

Foto: Julian Reichelt, Jan Meyer: Ruhet in Frieden, Soldaten! Wie Politik und Bundeswehr die Wahrheit über Afghanistan vertuschten. Fackelträger Verlag, Köln 2010, broschiert, 224 Seiten, 16,95 Euro

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