© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Antiope auf der Techno-Party
Antike Pop-Art: So kunterbunt und farbenfroh ging es bei den alten Griechen zu
Harald Harzheim

Ihr Haar glänzt so rot wie ihre Lippen, und die Haut ist so weiß wie das Gewand, mit farbigen Bordüren und Tiermotiven versehen. In der Hand hält das Mädchen einen goldenen Bogen, golden wie die Pfeile, die sie als Haarnadeln trägt. Wer ist dieses geheimnisvolle Schönheit? Diese Skulptur, zweieinhalbtausend Jahre alt und bei der Akropolis gefunden, ist womöglich ein Bildnis der Jagdgöttin Artemis. Nie hat man sie so farbig und vor allem so lebendig gesehen.

Erkannte man in „weißen“ Statuen der griechischer Antike einst „edle Einfalt“, ein In-sich-Ruhen, eine Erhabenheit über Schicksal und Schmerz, so wirkt diese Kore (Mädchen), als würden ihre Affekte nur mühsam im Zaum gehalten, als bahne sich unter der Haut ein Beben an. So reicht schon die Eingangsfigur zur Ausstellung „Bunte Götter“ des Berliner Pergamonmuseums, um die griechische Antike neu zu entdecken.

Daß es auf deren Bauwerken und Plastiken bereits recht bunt zuging, ahnte schon ihr „Entdecker“ Johann Winckelmann. Aber erst jetzt läßt sich diese Färbung mit neuester Technik rekonstruieren, aufgetragen auf exakte Nachbildungen der originalen Statuen. Egal, wieviel man über deren Buntheit wußte – sie zu sehen, verändert das Bild von der „Wiege des Abendlandes“ für immer.

Für manchen mag das schmerzhaften Abschied bedeuten, wie einst die Restauration der Sixtinischen Kapelle (1980–1994): Michelangelos würdiges Deckengemälde, durch Kerzenrauch und Regenwasser jahrhundertelang in seiner Farbe gedämpft, strahlte plötzlich in Pop-Art-Tönen und löste einen Kulturschock aus. Keine geringere Konsequenz fordern die „bunten Götter“, die vor fünf Jahren in München starteten und jetzt in Berlin angekommen sind. Damit ist das Pergamon-Museum aber kein Nachzügler. Denn die Rekonstruktion ist in dem halben Jahrzehnt derart fortgeschritten, daß die aktuelle Schau nur noch wenig mit der Münchner gemein hat.  

Max Müllers 1887 publizierte These, die antiken Griechen seien fast farbenblind gewesen, hätten nur drei Farben wahrgenommen – man glaubt sie nicht mehr, wenn man die Friese und Reliefs sieht, deren mythologische Darstellung wie ein knallbuntes Comic-Szenario wirkt. Die Gesichter der Krieger erstrahlen in rosa Hautfarbe, das Haar mittelbraun, die Wadenschützer tiefblau und das kräftig bemalte Gewand in Ockergelb. Eine weitere Szenerie zeigt als Hintergrund einen blauen Nachthimmel mit weißen Sternen. Die Kleidung einer Paris-Statue ist so bunt wie ein Harlekinkostüm, während das Koller der Amazone Antiope derart komplexe Farbmuster aufweist, daß sie damit eine Techno-Party besuchen könnte, ohne im mindesten aufzufallen.

Aber am eindrucksvollsten sind zwei Skulpturen: Eine junge Frau in rotem Gewand, die den Besucher mit großen, lebendigen Augen betrachtet – die Nachbildung einer Frühverstorbenen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Auf dem Sockel, zu ihren Füßen liest man: „Ich bin das Grabmahl der Phrasikleia. Ich werde auf immer Kore genannt werden anstelle der Hochzeit.“ Eine ungeöffnete Blüte, an die Brust gehalten, bestätigt ihr trauriges Schicksal.

Dem steht die kraftvolle Statue der Göttin Athena entgegen, mit buntgeschupptem Umhang und grünen Schlangen am Saum. Die großen Augen, die Haar- und Farbenpracht – all das verweist deutlich auf Babylon, das neben Kleinasien und Indien maßgeblichen Einfluß auf die griechische Antike ausübte.

Mit der knalligen Farbigkeit verschwindet auch jene bildungspolitische Rückprojektion auf Athen als Wiege des erlesenen Geschmacks, als Gegenentwurf zur modernen Massenkultur. So bemalt, wirken die Plastiken wirklich wie aus Plastik, wie eine Synthese aus Hochkultur, Volkskunst und Kitsch. Auch das ästhetische Postulat vom „interesselosen (also nicht triebgesteuerten) Wohlgefallen“ ist beim Anblick dieser hochlebendigen Farbidole vergessen. Schon bei Euripides wünschte die schöne Helena, daß man ihrem steinernen Abbild die Hautfarbe entfernen solle, denn ungefärbt wäre sie häßlich und die Menschen hörten auf, sie zu idealisieren und zu belästigen. Demnach hatten die farbigen Statuen durchaus die Wirkung moderner Glamour-Fotos.

Manche Objekte der Ausstellung sind nur an einigen Punkten gefärbt, so daß die gewohnte (weiße) Version mit der authentischen kontrastiert. Auch ein Blick in die Färberwerkstatt wird gewährt. Als Farben dienten unter anderem pulverisierte Steine wie der grüne Malachit, blauer Azurit oder oranger Realgar.

Nach der Enthüllung der „bunten Götter“ kommt ein weiteres kreatives Mißverständnis über die griechische Antike zum Ende. Dabei sind es aber die Mißverständnisse, die Neues hervorbringen. So glaubte man vor 500 Jahren, mit der Erfindung der Oper nur die griechische Tragödie wiederblebt zu haben. Und im 19. Jahrhundert meinte man, in Kunst, Philosophie und Dichtung ans athenische Vorbild anzuknüpfen. All das ist nicht mehr haltbar. Andererseits erscheint uns das alte Griechenland nach solcher „Desillusionierung“ menschlicher, das heißt näher als je zuvor.

Die Ausstellung „Bunte Götter” ist bis zum 3. Oktober im Berliner Pergamonmuseum, Am Kupfergraben, täglich  von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 10 (ermäßigt 5 Euro). Internet: www.smb.spk-berlin.de

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