© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Teure Aussichten
Energiepolitik: Zukünftige Strategien müssen ökonomische und ökologische Zwänge berücksichtigen
Wolfhard H. A. Schmid

Wie sieht es mit der Energieversorgung im 21. Jahrhundert aus? Auf diese komplexe Frage versuchte Franz Mayinger, langjähriges Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW), unlängst eine Antwort zu geben. Der ehemalige Ordinarius für Thermodynamik an der TU München machte in seinem Vortrag im Rahmen der BAdW-Reihe „Forum Akademie“ deutlich, daß wissenschaftliche Erkenntnisse im Energiebereich nur dann zu vernünftigen Ergebnissen führen können, wenn sie frei von ideologischen Zwängen umgesetzt werden.

Die Auswahl verfügbarer Energieträger zur Energieversorgung eines Landes hat einen nicht unerheblichen Einfluß auf seine Wirtschaftskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit auf den Lebensstandard der Bevölkerung. Um die Komplexität des Themas zu verdeutlichen, zitierte er Homers Scylla und Charybdis, die beiden Ungeheurer, welche den antiken Seefahrern in der Meeresenge von Messina soviel Schrecken bereiteten.

Es gibt vielfältige Gründe für den Klimawandel

Nachdem die Politik das Thema meist nur aus dem Blickwinkel eines drohenden Klimawandels sieht, betrachtete Mayinger das Spannungsfeld aus ökologischen und ökonomischen Bedürfnissen und stellte auf dieser Basis mögliche zukünftige Energiestrategien vor, wobei er auch zeitweilig auf die Wege anderer Staaten einging. Grundsätzlich muß zwischen Primär- und Sekundärenergie unterschieden werden. In Deutschland kommen heute 82 Prozent der Primärenergie aus kohlenstoffhaltigen Quellen wie Kohle, Mineralöl und Erdgas, die durch die Freisetzung von Kohlendioxyd (CO2) zum Klimawandel beitragen, den Rest teilen sich Kernenergie und erneuerbare Energien.

Strom sei in hochentwickelten Ländern die wichtigste Energieform. In Deutschland trugen 2009 Kohle und Kernenergie mit 65 Prozent zur Stromversorgung bei. Bleibt es beim Kernenergiemoratorium, müssen bis 2022 dann 23 Prozent der Versorgung durch regenerative Energie ersetzt werden, was einer Verdreifachung der derzeitigen Windenergie entsprechen würde. Wir hätten dann preiswerten durch teuren Strom ohne ökologischen Nutzen ersetzt.

Zur Erhöhung der Temperatur auf unserer Erde tragen nicht nur CO2, sondern auch weitere Klimagase bei, wie sie in der Landwirtschaft, bei elektrischer Isolation oder auch bei der Herstellung elektronischer Bauteile entstehen. Deshalb ist der weltweite Erhalt der Regenwälder von essentieller Bedeutung. Glaubt man den hiesigen Medien, so würde es nur an Deutschland liegen, ob die vorhergesagte Klimakatastrophe verhindert werden kann. Deutschland gehört zwar zu den zehn größten „Klimasündern“, doch die globalen Zahlen der International Energy Agency von 2007 belegen auch: Unser CO2-Anteil beträgt 2,8 Prozent im Vergleich zu den USA und China mit zusammen 43 Prozent. In Deutschland haben Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien gesetzlichen Anspruch auf hohe Vergütung des von ihnen erzeugten Stroms, die kollektiv von allen Stromkunden zu zahlen ist. Im Jahre 2009 beliefen sich diese Abgaben auf 9,7 Milliarden Euro, wobei die Photovoltaik einen großen Teil beanspruchte, obwohl sie nur mit ein Prozent zur Stromerzeugung beiträgt. Zieht man von diesen 9,7 Milliarden den beim Verkauf des Stromes an der Strombörse erzielbaren Erlös von derzeit etwa 0,05 Euro pro Kilowattstunde (kWh) ab, so verbleiben 6,1 Milliarden Euro Subventionen allein für das Jahr 2009. Dazu stellte Mayinger die Frage des allgemeinen Nutzens solcher Subventionen und ergänzte hierzu, daß bei einer ökologisch/ökonomischen Betrachtung nicht nur die Gestehungskosten, sondern auch die ökologischen Folgekosten berücksichtigt werden müssen. Hier sei Solarstrom ein teures Vergnügen.

Solarstrom ist auch mit weitem Abstand das teuerste Verfahren, um CO2-Emissionen zu vermeiden, wie aus den Untersuchungen von Alfred Voß am Stuttgarter Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung IER hervorgeht. Der „Preis“ für eine Tonne CO2 liegt hier bei über 800 Euro. Biomasse und Windenergie sind auch nicht gerade Billigverfahren zur Eindämmung der Klimagase. Wirtschaftlich wesentlich sinnvoller ist diesbezüglich eine Verbesserung des Wirkungsgrads der Kohlekraftwerke und längere Laufzeiten für die existierenden Kernkraftwerke. Höhere Wirkungsgrade bei Kohlekraftwerken würde den Neubau solcher Anlagen voraussetzen, das aber wäre ein „Affront gegen die Öffentliche Meinung“, die von einem Teil der Medien geprägt ist.

Fossile Ressourcen sind endlich, die Angaben für Rohöl sind allerdings aus preispolitischen Gründen mit großer Vorsicht zu genießen. Seit einem halben Jahrhundert wird immer wieder behauptet, daß die Rohölreserven nur noch für 40 Jahre verfügbar sind, obwohl seither der Verbrauch geradezu explodiert ist. Wind- und Solarenergie haben da zweifellos einen Vorteil. Sie bleiben ausreichend verfügbar, solange die Erde besteht.

Bei den fossilen und nuklearen Vorräten unterscheidet man zwischen Reserven und Ressourcen. Reserven sind bereits erschlossene Vorräte, die mit heutigen Mitteln wirtschaftlich abgebaut werden können. Unter Ressourcen versteht man bekannte Vorräte, deren Abbau sich bei den heutigen Preisen noch nicht lohnt. Als Beispiel nannte er die Vorkommen im kanadischen Ölsand. Bei der Kernenergie würde der „Schnelle Brüter“ eine Streckung auf mehrere tausend Jahre bewirken. Diese ursprünglich deutsche und französische Entwicklung greifen die Japaner in ihrem Monju-Reaktor seit neuestem wieder auf.

Netzschwankungsprobleme bei Wind- und Sonnenenergie

Bei Betrachtung der enormen Importabhängig von Deutschland – nur Braunkohle kommt in ausreichendem Maße vor – ist bei zunehmendem Anteil von Wind- und Sonnenenergie das Problem der Netzschwankungen zu beachten, die sich schon heute im Gigawattbereich bewegen und eine immer größere Herausforderung für die bestehenden Kohle- und Kernkraftwerke werden. Was ist für die Zukunft zu tun? Für Mayinger bieten sich drei realistische Möglichkeiten an: Der Ausbau von Pumpspeicherwerken – doch dagegen sind viele Umweltschützer. Der Bau von Druckluftkavernen – doch die besitzen einen sehr ungünstigen Wirkungsgrad. Bleibt der erhebliche Ausbau der europaweiten Stromnetze bis nach Afrika und weit nach Rußland.

Man denkt sogar an eine Art „Zwangsbewirtschaftung“ des Stroms, dadurch daß man „aktive“ Zähler, sogenannte Smart Meter, in die Privathäuser setzt, die große Verbraucher – etwa Wasch- oder Spülmaschinen – nur einschalten lassen, wenn genügend Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung steht, und welche die Tiefkühltruhen automatisch zuschalten, um sie zur „Kältespeicherung“ auf minus 20 bis 25 Grad Celsius – abzukühlen statt nur auf minus 18 Grad, wie üblich.

Die mit Abstand teuerste Stromversorgung ist die Photovoltaik. Mit einer Installationsgröße von acht Gigawatt ist Deutschland hier Weltmeister. Obwohl China große Mengen an Solarpanels exportiert, werden dort selbst kaum Photovoltaikanlagen installiert.

Eine weitere Gefahr für eine stabile Stromversorgung ist die europaweite Überalterung der bestehenden Kraftwerke. Gegen den Neubau von Kohlekraftwerken gibt es in Deutschland erheblichen öffentlichen Widerstand. In anderen Ländern findet sogar der Neubau von Kernkraftwerken Zustimmung in der Bevölkerung. „Fast bin ich versucht, die öffentliche Meinung als weiteres Risiko an der hier betrachteten ‘Straße von Messina’ zu bezeichnen“, so Mayinger.

Die bisherigen Kernschmelzunfälle in Tschernobyl und Three Mile Island (USA) seien nicht gleichzusetzen. Bei letzterem sei bedingt durch unterschiedliche Konstruktion keine Person außerhalb des Reaktorgeländes einer gesundheitsgefährdeten radioaktiven Belastung ausgesetzt worden. Sicherheitsmaßnahmen gegen terroristische Bodenanschläge und Flugzeugabstürze seien gewährleistet, allerdings nicht gegen einen Aufprall großer Maschinen bei hoher Geschwindigkeit. Wiederaufbereitung statt Endlagerung würde zusätzliche Sicherheit bieten.

Weltweit sind heute 438 Kernkraftwerke in Betrieb und 144 neue Kernkraftwerke geplant, davon allein 35 in China, 20 in Indien und 16 in Rußland. Dazu wird an CO2-freien Kohlekraftwerken gearbeitet, was sich allerdings zu Lasten des seit Jahren gestiegenen Wirkungsgrads auswirkt. In Deutschland sind Offshore-Windparks wegen ihrer etwa doppelten jährlichen Vollastbetriebszeiten gegenüber den Landanlagen geplant und im Bau. Mayinger stellte hierzu die Frage, ob Windkraftanlagen uns in Deutschland retten können. Die Antwort überließ er allerdings den Zuhörern, nachdem er die vorgesehenen Kapazitäten von insgesamt 25.000 MW vorgestellt hatte.

Die Kernfusion ITER soll mit einem Kostenaufwand von zehn Milliarden Euro 2016 in Betrieb gehen, ein Anschluß an das japanische Netz ist für 2060 vorgesehen. Um den Riesensolarpark Plan Grand Solar im Südwesten der USA mit einer wesentlich größeren Fläche als die der Bundesrepublik und einer Investitionssumme von 420 Milliarden US-Dollar, der schon 2050 70 Prozent des US-Strombedarfs abdecken sollte, ist es allerdings still geworden. Und beim Desertec-Solarprojekt, das am Rande der Wüste Sahara mit einem Aufwand von 420 Milliarden Euro realisiert werden soll, sind noch viele politische Hürden zu überwinden. Wo der Strom für unsere Nachfahren bis 2100 herkommen soll, bleibt weiter offen.

Manuskripte der Vorträge an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften finden sich unter: www.badw.de

Foto: Kohlekraftwerk, Öl-Pipeline, Tagebau und Windrad: Deutschlands Importabhängigkeit ist hoch – nur Braunkohle gibt es ausreichend

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