© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Auf der Jagd nach der polnischen Auto-Mafia
Sachsen: Angesichts der ausufernden Kriminalität an der Grenze zu Polen und Tschechien und wütender Bürgerproteste gerät die Politik unter Druck
Paul Leonhard

Der Diebstahl seines Privatfahrzeugs durch einen Polen hat bei Bundesinnenminister Thomas de Maiziere offenbar einen Prozeß des Umdenkens ausgelöst. Der CDU-Politiker schließt vor der seit Öffnung der Grenzen zu Polen und Tschechien ausufernden Grenzkriminalität nicht mehr die Augen. In der vergangenen Woche traf er sich mit seinem polnischen Ministerkollegen Jerzy Miller in der Grenzstadt Görlitz, um Möglichkeiten zu finden, gemeinsam der Kriminalität Herr zu werden.

Lange genug hat die Bundesregierung aus Angst vor angeblichen Befindlichkeiten der polnischen und tschechischen Nachbarn die gravierenden Kriminalitätsprobleme an der Grenze verschwiegen oder schöngeredet. Jetzt aber droht die verängstigte Bevölkerung sogar mit Selbsthilfe in Form von Bürgerwehren. Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer eilte daher persönlich nach Klein Priebus und Krauschwitz bei Weißwasser, um aufgebrachte Bürger zu beruhigen. Denn zur Zeit wird in der Grenzregion gestohlen, was nicht niet- und nagelfest ist: Schrottdiebe bauen Kupferleitungen, Dachrinnen und Gedenktafeln ab, Einbrecher räumen komplette Wohnungen leer. Bis Ende Juni verschwanden allein in Görlitz 99 Autos. Auch wenn Detektive und Polizisten immer wieder Polen oder Tschechen auf frischer Tat erwischen, müssen sie diese in den meisten Fällen nach Aufnahme der Personalien wieder laufenlassen.

Zudem versichert der Innenminister des Freistaates, Markus Ulbig (CDU), allen Statistiken zum Trotz, Sachsen sei „eines der sichersten Bundesländer“. In den örtlichen Medien liest sich das anders, auch wenn die Polizeireviere nur noch einen Bruchteil der tatsächlichen Fälle publik machen dürfen. „Eine Welle von Diebstählen und Einbrüchen“ schwappe derzeit über Klingenthal, eine kleine Stadt an der tschechischen Grenze, berichtete die Freie Presse. Ein Problem, das man inzwischen auch in Teilen der Sachsen-Union erkannt hat. Mehr Kontrollen fordert der Landtagsabgeordnete Volker Bandmann aus Görlitz. Wie auch der Europaabgeordnete und frühere Staatskanzleichef Herrmann Winkler hält er sogar eine zeitweise Wiedereinführung permanenter Grenzkontrollen für wünschenswert.

Um die Gemüter zu beruhigen, hatte Innenminister Ulbig Ende Juli Autoexperten und Mitarbeiter seines Hauses zu einem sogenannten sächsischen Sicherheitsgipfel in die Gläserne Manufaktur in Dresden eingeladen. Zwar gehört der dort produzierte Phaeton nicht zu den Hauptzielen der Autodiebe, aber am Beispiel des VW-Flaggschiffs wollte der Minister erläutert bekommen, was für die Sicherheit getan werden kann, ohne die Grenzen schließen zu müssen.

Statistisch wird in Sachsen zur Zeit alle zwei Stunden ein Auto gestohlen. Genau 3.862 Fälle wurden im vergangenen Jahr registriert, was einem Zuwachs um 32 Prozent gegenüber 2008 entspricht. Ähnlich sieht es in Brandenburg aus, wo ein Zuwachs von 17 Prozent auf 3.862 Fälle verzeichnet wurde. Deutschlandweit beträgt der Anstieg neun Prozent. Von den 40.375 als gestohlen gemeldeten Autos blieben 18.000 verschwunden. In einem Bundesland ohne Außengrenze wie Thüringen ging dagegen die Zahl der Autodiebstähle sogar von 780 auf 698 zurück. Das erste Halbjahr 2010 bescherte Sachsen einen weiteren Anstieg von 7,4 Prozent. Bis Ende Juni verschwanden 2.081 Autos, die meisten auf Nimmerwiedersehen. Außerdem erregte der Diebstahl mehrerer Traktoren samt Erntetechnik in der ostsächsischen Region für Aufsehen.

Am hellichten Tag  über die Grenzbrücke gerollt

Ein Teil der Maschinen war am hellichten Tag über die Grenzbrücken gerollt. Im Fall eines Traktors hatten sich die Bundespolizisten lediglich darüber gewundert, daß das Fahrzeug eine Zulassung für die Autobahn hatte.

Inzwischen mehren sich die Forderungen nach weiteren regionalen Sicherheitsgipfeln. Nachdem bekannt wurde, daß Sachsen die Polizei weiter ausdünnen will und große Teile der angeblich im Grenzgebieten stationierten Bundespolizei deutschlandweit an anderen Brennpunkten im Einsatz sind, wollen Bürgermeister und Gemeinderäte konkrete Konzepte von der Regierung sehen. Für einen weiteren Schub sorgte, als Kriminelle während des Jacobimarkts im ostsächsischen Neugersdorf innerhalb kurzer Zeit 23 Autos aufbrachen und zwei Fahrzeuge ganz verschwanden.

Man habe es mit versierten, hochqualifizierten Tätern zu tun, die zunehmend in der Lage sind, auch aufwendige elektronische Sicherungseinrichtungen von Autos zu umgehen, hat Innenminister Ulbig erkannt. Deswegen seien die Autohersteller gefordert, neue mechanische und elektronische Sicherheitskomponenten zu entwickeln, die die Autos vor Diebstahl und unbefugter Benutzung schützen. Bundesinnenminister de Maiziere setzt dagegen auf die Gemeinsame Fahndungsgruppe Neiße. Die aus je zehn deutschen und polnischen Zivilpolizisten bestehende Gruppe darf sogar für 150.000 Euro PS-starke Fahrzeuge anschaffen, um die polnische Auto-Mafia zu jagen.

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