© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Das Ende der Illusion
Renten und Demographie: Sicher sind nur die Rentner
Jürgen Liminski

Das Problem ist alt, nicht das Alter ist das Problem. Wir freuen uns alle, daß wir älter werden. Aber irgend jemand muß das Älterwerden auch bezahlen, entweder wir selbst mittels unserer Ersparnisse (in Form von eigenem Kapital oder früher von Kindern) oder die Gesellschaft mittels der umlagefinanzierten Altersvorsorge.

 Das Problem ist alt, weil schon frühere Regierungen es erkannt haben. Kohl sagte im Präsidium der CDU, als Mitte der achtziger Jahre die zwei dicken Bände der Enquete-Kommission Demographischer Wandel des Bundestages auf dem Tisch lagen, er wolle nichts tun, weil das die Machtfrage aufwerfe. Denn entweder müsse man die Beiträge erhöhen oder die Renten kürzen, was beides nicht zumutbar sei. In beiden Fällen würde man Wähler verlieren, so wie Adenauer 1957 die Wähler mit der Einführung der dynamischen Rente gewonnen habe. Blüm sekundierte später: Falls Journalisten Fragen hätten, werde man ihnen sagen, Prognosen über das Jahr 2000 hinaus seien unseriös.

Es gibt zu dieser Schlüsselszene in der Geschichte der CDU kein Protokoll, aber Augenzeugen. Die Zweifler, unter ihnen auch einige wenige Journalisten, die Blüm keinen Glauben schenkten, dürfen sich heute bestätigt fühlen. Der Wille des Kanzlers geschah, nämlich fast nichts, aber die Menschen wurden älter, die Jungen weniger und die Kassen leerer. All das war vorhersehbar.

Auch die nächste Rentenzukunft ist vorhersehbar: In einem überschuldeten Staat werden die Renten nicht durch einen noch höheren Beitrag des Steuerzahlers, der jetzt schon ein Drittel der Renten zahlt, finanziert werden können. Die Lösung des Problems ist ein Kompromiß: die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Sie läßt die Jungen länger arbeiten (und einzahlen) und die Alten weniger lang Rente beziehen.

 Aber die salomonisch anmutende Lösung hat natürlich auch einen Risikofaktor: Es ist der Mensch. Niemand weiß heute, wie alt er wird. Berechnen läßt sich momentan lediglich, daß er pro Jahr drei Monate älter wird. Das heißt: Wenn die Rente mit 67 eingeführt ist, wird er im Schnitt drei Jahre älter, die zwei zusätzlichen Jahre reichen also nicht aus, um den Status quo bei der Rentenfinanzierung zu halten.

Der Schritt, den die Große Koalition mit der Einführung der Rente ab 67 gegangen ist, ging statistisch also in die richtige Richtung, war aber zu klein. Außerdem: Die Statistik ist das eine, das Leben das andere. Es gibt Berufe, bei denen ist man mit 67 schon richtig alt. Früher waren das die kohleschippenden Lokführer, heute ist der Lehrerberuf etwa viel anstrengender, wie die überdurchschnittlich vielen Burnouts bei Lehrern ab Mitte Fünfzig belegen. Das heißt: Die berufsspezifischen Probleme müssen ebenfalls mit ins Kalkül gezogen werden, wenn man die Lebensarbeitszeit berechnen will. Das System müßte viel flexibler sein, auch wenn es dadurch komplizierter wird.

Aber das einfache Leben ist sowieso eine Illusion der Politiker. Richtig daran ist nur, daß viele Politiker es sich einfach machen. Diese alte Erkenntnis zeigt sich auch in der aktuellen Debatte, angezettelt von SPD-Chef Sigmar Gabriel und diskutiert bis hinein in die Union. Am einfachsten macht es sich die Linke. Sie will alles beim alten und damit bei den Alten lassen, auf daß diese die Linke wählen. Abgesehen davon, daß man damit die älteren  Bürger und Rentner unterschätzt und zu Unrecht als Egoisten abstempelt, offenbaren sich Politiker diesen Schlags als Ideologen.

Gegen die ideologische Debatte stehen die Tatsachen: Seit diesem Jahr gibt es in der Europäischen Union mehr Renteneinsteiger und Vorruheständler als Schulabgänger. Den 28,8 Millionen Menschen zwischen 60 und 65 Jahren stehen 28,6 Millionen Junge zwischen 15 und 20 Jahren gegenüber. Der sogenannte Altenquotient (die Zahl der über 65jährigen im Verhältnis zu den 20- bis 65jährigen) steigt und erhöht den Reformdruck auf die Systeme. Am höchsten ist der Quotient in Deutschland, Österreich, Griechenland, Italien und Spanien. Es sind die Länder mit den geringsten Geburtenraten. Milliarden Steuergelder werden dort in die Rentensysteme gepumpt. Auch in Österreich, der Schweiz, Großbritannien und in den USA ist das Renteneintritts­alter bereits auf über 65 erhöht worden, in Spanien und den Niederlanden sind entsprechende Gesetze in der parlamentarischen Diskussion. Die fetten Jahre sind vorbei. Die Sozialstaatskrise zwingt zum Handeln. Denn eines ist klar: Die Rentner sind sicher.

Das wirkliche Problem aber sind nicht die leeren Kassen, sondern die leeren Wiegen. Eine Gesellschaft ohne Kinder wird emotional arm, menschlich ärmer. Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter, schrieb der deutsche Frühromantiker Novalis. Ein Zeitalter mit weniger Kindern und mehr Alten ist allenfalls silbern, wahrscheinlich sogar grau und das auch emotional.

Stichwort Einsamkeit: Auch noch so luxuriös ausgestattete Altenheime können dieses Problem nicht lösen. Dieses Problem hat keine Regierung in Europa auf dem Schirm, weil kaum eine ernsthaft an Familie, alle aber an Wirtschaft denken. Kein Wunder: Die meisten Regierungen sind menschlich ziemlich arm, sprich kinderlos.

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