© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Preußen – eine humane Bilanz: Eine Serie von Ehrhardt Bödecker / Teil 8 und Schluß
Die Armee war effektiv, diszipliniert und gesittet
Ehrhardt Bödecker, Gründer des „Brandenburg-Preußen Museums Wustrau“, berichtigt gängige Preußenklischees / Auszüge aus seinem neuesten Buch

Wir können das Thema Preußen nicht erschöpfend behandeln, ohne die Armee zu erwähnen. Sie wird mit Attributen wie Kadavergehorsam, Gewalttätigkeit, Aggressivität und mit Beherrschung des Staatswesens durch „autoritäre Verformung des Volkes“ gekennzeichnet. Zu diesem Thema ist der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld in seinem Buch „Fighting Power, German and US-Army Performance 1918 1945“ zu zitieren: „Das deutsche Heer war eine vorzügliche Organisation in Hinblick auf Moral, Elan, Truppenzusammenhalt und Elastizität, keine Armee war ihnen unter den Armeen des 20. Jahrhunderts ebenbürtig. Diese Organisation war das Produkt von jahrhundertelanger Entwicklung und Erziehung. Der deutsche Soldat hatte keine Veranlagung zur Psychose. Er kämpfte nicht in Gedanken an Hitlers Ideologie. Das Gegenteil kommt der Wahrheit näher.“ Hier zeigt sich eine Parallele zur Sowjetunion. Auch dort war der Soldat nicht ausreichend mit der kommunistischen Ideologie zu motivieren, so daß Stalin sich entschloß, den Krieg als vaterländischen Krieg zu bezeichnen. Fürs Vaterland, für Mütterchen Rußland setzte sich der Soldat, unter Opferung seines Lebens, bereitwillig ein.

Die Auftragstaktik verlangt eigenständige Charaktere im Heer

Creveld schreibt weiter: „Im Gegensatz zu den weitverbreiteten Klischees vom Kadavergehorsam und der preußischen Disziplin hatte das deutsche Heer immer die entscheidende Bedeutung der Eigeninitiative und Verantwortlichkeit, selbst auf den untersten Ebenen, betont. Vom jüngsten Soldaten an aufwärts muß überall selbständiges Einsetzen der ganzen geistigen und körperlichen Kraft gefordert werden. Nur so läßt sich die volle Leistungsfähigkeit der Truppe zur Geltung bringen. Das vollständige Vertrauen der Vorgesetzten zu ihren Untergebenen und umgekehrt war ebenfalls Teil des Erfolgs der preußischen Armee. Dieses gegenseitige Vertrauen mußte sich entwickeln und aufgebaut werden. Die Grundlage für die Führung bildeten der Auftrag und die Lage. Der Auftrag bezeichnet das zu erreichende Ziel.“

Der Beauftragte darf das Ziel natürlich nicht aus dem Auge verlieren. Doch muß die Führung den Unterführern Freiheit des Handelns lassen. Der berühmte amerikanische General George Patton fand die Auftragstaktik der deutschen Armee schwer verständlich, er drückte damit unausgesprochen eine Anerkennung der als überlegen empfundenen deutschen Armeeführung aus. Alles in allem. Das von August Hermann Francke in seinen Franckeschen Stiftungen praktizierte Prinzip, die Kinder zur Eigenständigkeit zu erziehen, hat sich hier als Auftragstaktik durchgesetzt.

Auch hier ist eine lange Tradition im preußischen Denken zu verzeichnen. Wenn von der humanen Bilanz Preußens gesprochen wird, dann bedeutet das auch, die Frage nach dem Verhalten des deutschen Soldaten zu stellen. Heute wird die überwiegende Anzahl der anständig kämpfenden deutschen Soldaten in böser Absicht als „Hunnen“ verleumdet. Und das gilt schon seit dem Krieg 1870/71, als sich die deutschen Truppen gegen Frankreich durchsetzen mußten. So hat König Wilhelm I. von Preußen am 11. August 1870, also wenige Tage nach Beginn des Krieges gegen Frankreich, folgende Proklamation erlassen: „Ich führe Krieg mit den französischen Soldaten und nicht mit den französischen Bürgern. Diese können die Sicherheit ihrer Person und ihrer Güter genießen, solange sie nicht selbst durch feindliche Unternehmungen gegen deutsche Truppen mir das Recht nehmen, ihnen meinen Schutz zu gewähren.“ Prinz Friedrich Karl von Preußen, der Oberkommandierende der 2. Armee, erließ am 6. August 1870 im französisch-deutschen Krieg folgenden Heeresbefehl:

„Soldaten der 2. Armee, ihr betretet französischen Boden. Das französische Volk ist nicht gefragt worden, ob es mit seinen deutschen Nachbarn einen blutigen Krieg führen wolle. Ein Grund zur Feindschaft ist nicht vorhanden. Seid dessen eingedenk den friedlichen Bewohnern Frankreichs gegenüber, zeigt ihnen, daß in unserem Jahrhundert zwei Kulturvölker selbst im Kriege miteinander die Gebote der Menschlichkeit nicht vergessen. Denkt stets daran, wie eure Eltern es in der Heimat empfinden würden, wenn ein Feind, was Gott verhüte, unsere Provinz überschwemmte. Zeigt den Franzosen, daß das deutsche Volk nicht nur groß und tapfer, sondern auch gesittet und edelmütig dem Feinde gegenüber ist.“

Friedrich Karl Prinz von Preußen

Von keiner Armee in der Welt sind derartige Proklamationen an die eigenen Soldaten bekannt. Der Erfinder des Partisanenkrieges, also des Krieges aus dem Hinterhalt, ist Léon Gambetta, der Führer der republikanischen Armee im Krieg Frankreich gegen Preußen 1870/71. Die Preußen, auch die preußischen Völkerrechtsjuristen, standen dem Status des Partisanen als Soldat immer ablehnend gegenüber. Die erste Genfer Konvention von 1864 mit ihren menschlichen Bestimmungen und die Haager Landkriegsordnung sind im wesentlichen auf die Forderung Preußens zurückzuführen. Auch das gehört zur humanen Bilanz Preußens.

Ende der JF-Serie

Foto: Unterricht in der Preußischen Hauptkadettenanstalt Berlin-Lichterfelde, 1910: Selbständiges Einsetzen der ganzen geistigen und körperlichen Kraft gefordert

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