© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Frisch gepresst

Gulag im Westen. In seinem Erstling „Im Block“ beschreibt Walter Kempowski, wie er, seine Mutter und Bruder Robert in die Fänge der sowjetischen Repressionsapparatur in Mitteldeutschland gerieten. Das Buch verkaufte sich schlecht, weil es 1969 erschien, punktgenau zu Beginn der „Entspannungs-“ und der „neuen Ostpolitik“. Erinnerungen an die am weitesten nach Westen vorgeschobenen Lager und Zuchthäuser des stalinistischen „Gulag“-Systems hätten die „Vertragspartner“ in Ost-Berlin oder Moskau vergrätzt und verschwanden daher in der „Schweigespirale“. Darum mußten die öffentliche Diskussion und die zeithistorische Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels der Sowjetherrschaft in Deutschland bis nach 1990 warten. Dank der Liberalisierung der Moskauer Archivpolitik unter Boris Jelzin konnte seither viel Licht in die Geschichte eines tabuisierten Massensterbens gebracht werden. Von 150.000 Menschen, die zwischen 1945 und 1949 die Lagerhölle des sowjetischen Geheimdienstes „kennenlernten“, kamen etwa 50.000 darin um, darunter als eines der prominentesten Opfer Heinrich George. Trotz respektabler Vorarbeiten glaubt Bettina Greiner noch Forschungslücken schließen zu können. Die bestehen einerseits bei der Rekonstruktion des faktischen Ablaufs, in der Beschreibung der Haftmaßnahmen und der Hafterfahrung, andererseits in der Analyse der öffentlichen Reaktionen, für die Greiner auch Kempowskis „Im Block“ heranzieht (Verdrängter Terror. Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland. Hamburger Edition, Hamburg 2010, gebunden, 525 Seiten, Abbildungen, 35 Euro).

 

Lebensgeschichte. Martin Schröder wurde 1924 in Sargen, im ostpreußischen Kreis Heiligenbeil als Sohn eines Landwirts geboren. Idyllisches Behagen vermitteln daher die Erinnerungssplitter aus der Kindheit, mehr noch die geretteten Fotos von ländlicher Arbeit und Gemeinschaft, die er seinem Lebensbericht beigefügt hat (Ich glaubte ihnen allen nicht! Von den Nationalsozialisten der Vater ermordet, von Demokraten und Kommunisten der Heimat beraubt. Projekte Verlag, Halle 2010, broschiert, 179 Seiten, Abbildungen, 12,50 Euro). Allerdings scheint diese Geborgenheit früh dadurch bedroht, daß Schröders Vater 1929 in einer Heilanstalt verschwindet, und 1942, im Zuge der „Euthanasie“, für immer. Hierzu gibt es nur Andeutungen, ebenso zur Schulzeit und zum Einsatz als Soldat an der Ostfront. Dafür ist Schröders Autobiographie reichlich durchsetzt mit zeithistorischen Reflexionen und mit Kritik an der veröffentlichten Meinung. Der leidenschaftliche Leserbriefschreiber dokumentiert dazu auch einige seiner wackeren Interventionen zur Berichterstattung des ZDF oder des Rheinischen Merkur zu Nationalsozialismus oder Vertreibung.

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