© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Merkel hat’s gefallen
Bayreuth banal oder Rattenfels statt Lohengrin: Die Wagner-Festspiele werden zunehmend zum Narrenschiff des Zeitgeists
Julia List

Für gewöhnlich hat bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen alles seine strikte Ordnung. Nur bei den Neuinszenierungen der letzten Jahre ist längst nichts mehr in Ordnung, denn bei den meisten davon haben die jungen wie die alten Berserker des deutschen „Regietheaters“ die Werke des Leipziger Musikdramatikers nach eigenem Gutdünken mißhandelt, mißbraucht und bis zur Unkenntlichkeit banalisiert.

Aktuelles Beispiel für diese Entwicklung auf dem Grünen Hügel ist die diesjährige „Lohengrin“-Neuinszenierung von Hans Neuenfels. Der inzwischen 69jährige, bestens etablierte Provokateur des hochsubventionierten deutschen Sprech- und Musiktheaters machte aus der Romantischen Oper Wagners ein Rattenspektakel. Dabei wurde der Chor, dem eine so bedeutsame Rolle in der Handlung zukommt, in ebenso aufwendig angefertigte wie absurd häßliche Kostüme gezwungen, um mit Holzhammerdidaktik zu verdeutlichen: Das Volk von Brabant samt seinen Edlen sind manipulierbare, opportunistische Massen in der Gestalt des für die meisten Menschen abstoßendsten Tiers. Blindlings folgen diese Ratten dem wundersam herbeigeeilten Erlöser Lohengrin. Ort der Handlung ist ein modernes Labor, in dem ganz offensichtlich mit den Nagern experimentiert wird.  

Warum sich in dieser Szenerie ein  verwirrt herumtorkelnder König Heinrich mit Pappkrone und sein als Conférencier gekleideter Heerrufer aufhalten, bleibt ebenso rätselhaft wie die Frage unbeantwortet, warum sich ausgerechnet dort das Drama zwischen Elsa und ihrem Retter sowie zwischen diesen beiden und dem unglückselig verschworenen Paar Friedrich von Telramund und Ortrud abspielen soll. Die dazu in vielen Interviews von Neuenfels, seinem Bühnenbildner und seinem Dramaturgen wortreich vorgebrachten Erklärungen sind viel zu spekulativ und schwammig, um auch nur ein gewisses Verständnis für diese „Lohengrin“-Interpretation erwecken zu können. Von Wagners Text ist all das keinesfalls gedeckt.

Es ist vielmehr reine Regiewillkür, die da mit Arroganz und Ignoranz waltete. Und wie auch bei anderen Bayreuther Wagner-Hinrichtungen der letzten Jahre wurde abermals des Meistes Ausspruch „Kinder, macht Neues!“ eifrig ins Feld geführt. Mit keinem anderen Zitat treiben die Regisseure Bayreuths jedoch mehr und schamloser Mißbrauch: Denn nachweislich hat Wagner sich in einem Brief aus dem Jahr 1852 dabei nicht auf Inszenierungen bezogen, sondern neue Kompositionen angeregt und verlangt.

Im gleichen Jahr hatte er in einem anderen Brief festgehalten: „Gar nichts liegt mir daran, ob man meine Sachen gibt: mir liegt einzig daran, daß man sie so gibt, wie ich mir’s gedacht habe; wer das nicht will und kann, der soll’s bleiben lassen.“ Revidiert oder relativiert hat Wagner diese Äußerungen nie.   

Große Teile des werkkundigen Publikums machten im Festspielhaus nach der diesjährigen Premierenvorstellung am 25. Juli ihrem Unmut über das Bühnengeschehen mit wütenden Buhrufen unüberhörbar Luft. In der Berichterstattung der Medien wurde das entweder völlig heruntergespielt oder als Ausdruck von ignorantem Unverständnis denunziert. Nur wer selbst der Vorstellung beiwohnte, kann die Wucht der Ablehnung, die Neuenfels und seinem Team entgegenschlug, ermessen. Doch weshalb sollte einem profilierten Altprovokateur die Zustimmung des Publikums wichtig sein, wenn er der fast einmütigen Rückendeckung der Kritiker meinungsbildender Medien in Deutschland sicher sein kann?

Selbstverwirklichung von Regiediktatoren

Und warum sollte Neuenfels sich von Wagner-Kennern irritieren lassen, wenn die üppig mit Freikarten ausgestattete politische Prominenz – Bundeskanzlerin Angelas Merkel an der Spitze – sich parteiübergreifend geradezu begeistert von seiner Interpretation zeigt? Den Politikern hat, so haben sie es übereinstimmend nach der Eröffnung der Festspiele der lokalen Zeitung zu Protokoll gegeben, dieser „Lohengrin“ so gut gefallen wie schon lange keine Neuinszenierung in Bayreuth. Das sagt allerdings wenig über die Qualität der Neuenfels-Produktion aus, ziemlich viel dafür über die Geisteshaltung von Volksvertretern, die es höchst amüsant finden, das Volk als verachtenswert-eklige Ratten gezeigt zu bekommen.

Warum quälen die Richard-Wagner-Festspiele auf diese Weise ein Publikum, unter dem sich noch immer etliche hervorragende Kenner des Werks befinden? Die Beantwortung ist eng verbunden mit dem Drama des im März verstorbenen Wolfgang Wagner, der über Jahrzehnte Alleinherrscher auf dem Grünen Hügel war und viel zu spät abtrat. Zusammen mit seiner noch vor ihm hingeschiedenen zweiten Frau Gudrun wollte der alte Mann mit unbestritten großen Verdiensten unbedingt die gemeinsame Tochter Katharina als Nachfolgerin durchsetzen. Das ist ihm letztlich auch gelungen. Allerdings muß die heute 31jährige Katharina die Festspielleitung mit ihrer mehr als doppelt so alten Halbschwester Eva Wagner-Pasquier aus Wolfgangs erster Ehe teilen.

Um die öffentliche Meinung für Katharina als Unterstützer zu gewinnen, nahmen Wolfgang und Gudrun bereitwillig Regisseure unter Vertrag, die im  gegenwärtigen Kulturbetrieb als „angesagt“ gelten: Schlingensief, Guth, Flimm, Marthaler, Neuenfels sowie Baumgarten, der im kommenden Jahr „Tannhäuser“ inszenieren wird. Was Guth aus dem „Holländer“, Schlingensief aus „Parsifal“, Flimm aus dem „Ring“, Marthaler aus „Tristan und Isolde“ und nun Neuenfels aus „Lohengrin“ gemacht haben, ist bekannt. Was ein Baumgarten 2011 aus dem „Tannhäuser“ machen wird, läßt sich nur allzugut ahnen.

Doch die schlimmste gegenwärtige Schandtat auf der Bühne des Festspielhauses hat Katharina Wagner selbst mit ihrer krawalligen „Meistersinger“-Regie zu verantworten. Keine andere Inszenierung erfuhr heuer auch noch im vierten Jahr auf dem Festspielprogramm eine derart vehemente Ablehnung des Publikums. Gleichwohl waren nach der Premiere 2007 die allermeisten Musikkritiker sehr angetan davon, wie Wolfgangs resolute Wunschmaid einheimische Geistes- und Kulturgrößen (Richard Wagner eingeschlossen) mit Schwellköpfen lächerlich macht und politisch superkorrekt die berühmte Schlußansprache „Verachtet mir die Meister nicht“ von Hans Sachs als den Appell eines faschistischen Demagogen in Szene setzt.      

Seitdem hat Katharina die meinungsbildenden Medien fast stets auf ihrer Seite. Einstweilen ist das für die Festspielleiterin mit befristetem Vertrag immer noch viel wichtiger als zufriedene oder gar glückliche Besucher. Katharina Wagner weiß auch nur zu gut, daß Bayreuth noch auf Jahre hinaus schon deshalb immer ausverkauft sein wird, weil es noch genug Menschen im In- und Ausland gibt, die unbedingt einmal Wagner in dem von ihm entworfenen und eingeweihten Haus erleben wollen.

Langfristig werden die Festspiele jedoch jene treuen Stammgäste verlieren, die nicht endlos bereit sind, die egomanische Selbstverwirklichung von Regiediktatoren des deutschen Subventionstheaters auf Kosten Wagners zu ertragen und gar noch mitzufinanzieren. Und auch die über 5.000 Mitglieder des Mäzenatenvereins der „Freunde von Bayreuth“ werden gewiß nicht klaglos auf Dauer als Geldbeschaffungsmaschine aktiv sein wollen für  Festspielleiterinnen, die kürzlich bei der Jahresversammlung der „Freunde“ deren Mitglieder in bislang beispielloser Weise brüskiert haben.

Gewisse Mitverantwortung für den Niedergang Bayreuths haben allerdings auch die inzwischen fast verstummten traditionalistischen Wagnerianer. Sie haben sich zu unflexibel und zu defensiv gegen die Banalisierung der Festspiele gestemmt. Nie haben sie auch ihre Fehleinschätzung der inzwischen legendären „Ring“-Inszenierung von Patrice Chéreau von 1976 bis 1980 so richtig reflektiert und überwunden. Dieses teils starrsinnige, teils resignative Verhalten hat den in der Regel sehr kenntnisreichen Traditionalisten leider jede Autorität bei der nur zu berechtigten negativen Beurteilung etlicher späterer Festspielproduktionen geraubt. Viele aus diesem Personenkreis meiden inzwischen Bayreuth: Sie pilgern nach Baden-Baden oder nach Wels in Österreich, um Wagner auch ohne Ratten und Hakenkreuze zu erleben.

Bayreuth aber ist mit Katharina Wagner und den irrlichternden „Helden“ des Regietheaters zur Sommerresidenz eines besinnungslosen Kulturbetriebs geworden, in dem das Event  ungleich wichtiger ist als der Respekt vor dem kulturellen Erbe. Gäbe es nicht die besondere Aura des Festspielhauses und den unvergleichlichen Klang der Musik Wagners darin, gäbe es nicht die nun 134 Jahre, in denen an diesem Ort der Kunst des genialen Musikdramatikers gehuldigt wird – man könnte Bayreuth als Narrenschiff des Zeitgeists den Gottschalks und Merkels überlassen.

Die diesjährigen Bayreuther Festspiele gehen bis zum 28. August.. Internet: www.bayreuther-festspiele.de

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