© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Pankraz,
Arnulf Baring und die große Verblödung

Allmählich wird es auffällig. „Die Verblödung schreitet voran!“ So tönt es zur Zeit aus vielen Ecken und Winkeln, aber immer öfter auch aus den Zentren der großen Meinungsmacherei. Gestalten wie Arnulf Baring, Oswald Metzger, Thilo Sarrazin oder Hans-Olaf Henkel warnen in den populären Talkshows, wo sie Dauergäste sind, unermüdlich vor der „Verblödung unserer Gesellschaft“ (Baring). Andererseits wimmelt es von Blogger-Einträgen, die genau jene Talkshowtruppe (Baring & Co) für die „allgemeine Verblödung“ haftbar machen. Blödmänner schimpfen Blödmänner Blödmänner.

Und niemand kann sagen, wir seien nicht gewarnt gewesen. Schon vor gut zwanzig Jahren gab es das sogenannte „Manifest von Erice“ (Erice ist ein kleines Felsennest auf Sizilien), in dem Physiker und Biologen „die weitgehend verdrängte Bedrohung der menschlichen Intelligenz durch die Vergiftung der Umwelt“ beschworen. „Das menschliche Gehirn zerfällt“, hieß es damals. „die gesellschaftlichen Schutzinstitutionen, Recht, Wissenschaft und Politik, haben versagt. Die Menschheit verblödet.“

Einige Zeit später war es dann das Internet, das angeblich „unser Gehirn zermanscht“. Pankraz mißtraut der ewigen Alarm-Hausse, nicht zuletzt wegen solcher Begründungen. Wenn wieder mal „die Umwelt“ oder „das Internet“ verantwortlich sind, dann ist also niemand wirklich verantwortlich. Die Verblödung erscheint als unabwendbares Schicksal, gegen das man nichts machen, ja in dem man sich sogar bequem einrichten kann. Es entsteht eine Art Gesellschaftsspiel mit dem Titel „Wer ist der Verblödetste im ganzen Land?“ Verloren hat, wer am wenigsten mitschreit.

Dabei gehört an sich nicht viel Gehirnschmalz dazu, um sich klarzumachen, daß gerade die routinemäßig vor effektiven Lautverstärkern plazierten Großschreihälse die schlimmsten Verblödungsinstanzen sind. Was sie im einzelnen verlautbaren, ist gar nicht wichtig, Hauptsache, sie verlautbaren mit entsprechender Lautstärke. Der Ton macht die Musik. Nicht Piccoloflötisten sind gefragt, sondern Tubabläser, besonders wenn sie mächtig und drollig die Backen aufblasen.

Denn noch wichtiger als Lautstärke ist heutzutage Unterhaltsamkeit, und zwar Unterhaltsamkeit auf Kasperletheater-Niveau. Wir leben im Zeitalter der Massenkultur, die Politiker umschmeicheln die Masse, weil nur sie die notwendigen Stimmen bringt, und die Masse will unterhalten, doch dabei um Himmels willen nicht geistig strapaziert werden. Nicht Argumente zählen, sondern bestimmte feststehende Gesten und Redewendungen, an denen man die Unterhalter mühelos wiedererkennt und über die man sich freuen bzw. empören kann. Und die zugelassenen Großunterhalter bedienen diese Erwartungshaltung.

Ob sie von Haus aus nun Wissenschaftler, Wirtschaftsmanager oder Politiker sind – ihre öffentliche Rhetorik entfaltet sich nicht im Zwiegespräch mit Kollegen auf gleicher Augenhöhe, sondern in der Konfrontation mit einem Massenpublikum, welches letztlich nicht an Problemlösungen interessiert ist, sondern am momentanen Event. Man will das „Ereignis“, mit dem man „die Zeit totschlagen“ kann, ob das nun ein guter Witz, ein peinlicher Ausrutscher oder das Vorzeigen wohlbekannter persönlicher Eigenheiten und Macken ist.

Wenn man will, kann man dies also als Kern und Ausgangspunkt der derzeit von so vielen Seiten diagnostizierten „allgemeinen Verblödung“ bezeichnen: die Umwandlung von echter Diskussion in Theater auf niedrigstem Niveau. Nicht zufällig ist ja der Narr, der Spaßmacher und professionelle Zappelfritze, zur Leitfigur und zum Aushängeschild unserer televisionären Medialität geworden. Mit durch die „Umwelt“ vergifteten oder zermanschten Gehirnen hat das überhaupt nichts zu tun. Es wird vielmehr von ganz normalen, „gesunden“ Gehirnen bewußt inszeniert.

Praktiziert wird diese Art von bewußter Verblödung primär im Zentrum des politisch-medialen Komplexes, im Fernsehen also, in der Bild-Zeitung und in anderen Brennpunkten der Event-Kultur (Stichwort Love Parade), aber sie breitet sich in Wellen auf immer weitere Regionen der öffentlichen Kommunikation und des Geisteslebens aus. Insofern ist die Verblödung tatsächlich flächendeckend und gewinnt immer mehr Anhänger, respektive Opfer.

Sogenannte „seriöse“ Medien gleichen sich immer mehr der Bild-Zeitung an. Universitäten und sonstige Wissenschaftsgremien rücken ihre (oft erst frisch installierte) PR-Abteilung in den Mittelpunkt, welche eifrig den Event-Charakter der erarbeiteten „Produkte“ herausstellt und dabei vielerorts zu Methoden greift, die nur noch lächerlich sind; das erscheint aber notwendig, um staatlicher oder mäzenatischer Fördermittel teilhaftig zu werden. Denn auch die Fördergremien sind mittlerweile im oben beschriebenen Sinne verblödet.

Am auffallendsten freilich ist der Verblödungsgrad bei jener Institution, die ohnehin von Haus aus und seit Urzeiten auf Event, Aufführung und outrierte Gestik angelegt war und ist: beim Theater also. Dessen Stolz bestand früher darin, sich an gewaltigen, Herz und Geist erwärmenden Texten zu üben, sie in Aktion und teilweise auch in Bilder zu verwandeln. Davon ist heute buchstäblich nichts übriggeblieben. Es gibt weder Tragödie noch Komödie mehr, nur noch zappelndes, obszönes Satyrspiel, welches einst ausschließlich als Rausschmeißer diente.

Aus dem Rausschmeißer ist heute die Veranstaltung selber geworden, und diese Konstellation eignet sich leider nur allzugut als Paradigma für die aktuelle Verblödungsindustrie insgesamt. Man produziert und absolviert nur noch Rausschmeißer. Vielleicht steckt darin sogar ein Keim von Hoffnung. Man will endlich raus aus den Verblödungszusammenhängen, die man sich selber eingebrockt hat. Ein neues Manifest von Erice müßte her, nicht von Hirnforschern verfaßt, sondern von selbstkritischen Medieneseln à la Baring.

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