© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

UMWELT
99 Luftballons
Volker Kempf

Bei einem Konzert der Rolling Stones in der Berliner Waldbühne stieg 1982 eine große Zahl Luftballons gen Himmel auf. So wurde die damalige Mauer in der geteilten Stadt zumindest symbolisch überwunden. Angesichts dessen überlegte Nena-Gittarist Carlo Karges, was wohl passiert, wenn das bei den SED-Machthabern auf eine paranoide Reaktion stößt: Es könnte eine „Fliegerstaffel hinterher“ geschickt werden und „die Welt in Trümmern liegen“. Der Neue-Deutsche-Welle-Hit „99 Luftballons“ war geboren und eroberte 1983 die Welt. Sechs Jahre später kam die friedliche Revolution. Seit zwanzig Jahren sind Luftballons nicht mehr nötig, die Berliner Mauer ist nur noch Geschichte. Doch die symbolische Handlung, Luftballons aufsteigen zu lassen und damit Wünsche auszudrücken, ist geblieben.

Traditionell werden durch sie gute Wünsche für ein Hochzeitspaar mit auf den Weg gegeben. Aus der Friedensbewegung ist zwar die Luft draußen, aber bei Atomkraftgegnern und Umweltschützern ist die Symbolik der aufsteigenden Ballons weiterhin beliebt. Denn Forderungen können so fotogen demonstriert werden. Allerdings ist es alles andere als umweltfreundlich, massenweise Luftballons aufsteigen zu lassen. Denn es kommt immer wieder zu kleinen, aber fatalen Verwechslungen. Denn häufig halten Tiere die niedergesunkenen Ballons für Nahrung und gehen daran qualvoll zugrunde, junge Schwäne etwa. Das ist wenig bekannt. Es ist Aufgabe problemorientierter lokaler Umweltgruppen, solche Aspekte einer ansonsten unbedarften Handlung bekanntzugeben, statt sie selbst zu praktizieren. Dann kommt es erst gar nicht zu „99 Luftballons“ am Horizont. Das Demonstrationsrecht kann man auch anders wahrnehmen.

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