© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Utopien im chinesischen Jahrhundert
USA: Der exportorientierte Wirtschaftsnationalismus von China bedroht Amerika / US-Politik will dennoch an Freihandel festhalten
Patrick J. Buchanan

Insbesondere für jene, die sich noch an die Große Proletarische Kulturrevolution (1966–1976) erinnern, mit der Mao Tse-tung eine Rückbesinnung auf bäuerliche Werte erzwingen wollte, war die Nachricht ein Schock: Laut der Londoner Financial Times wird China den USA bereits im kommenden Jahr ihren Rang als weltweit führende Wirtschaftsnation ablaufen. Den halten die Vereinigten Staaten, seit sie um 1890 erstmals die Briten schlugen.

In letzter Zeit hat der asiatische Staat einen Rekord nach dem anderen aufgestellt: Er überrundete Deutschland als Exportweltmeister und Japan als zweitgrößte Volkswirtschaft. In diesem Jahr wurde China zum größten Autohersteller der Welt. In den vergangenen Jahren konnte das Land einen riesigen Handelsüberschuß gegenüber den USA erwirtschaften und Devisenreserven von 2,3 Billionen US-Dollar ansammeln. Anders gesagt: Amerika steht bei China zutiefst in der Kreide (JF 15/10).

Wie hat China diesen enormen Sprung an die Weltspitze geschafft? Durch einen exportorientierten Wirtschaftsnationalismus. 1994 wertete Peking seine Währung um die Hälfte ab, verdoppelte damit die Preise für Importe und halbierte die Preise für Exporte. Das machte chinesische Arbeitskraft zum günstigsten Schnäppchen in ganz Asien und lockte ausländische Firmen ins Land, die sich durch Standortverlagerungen den Zugang zum chinesischen Markt erkauften. Dann plünderte China das technologische Wissen dieser Firmen, schickte seine Söhne an US-Universitäten und spezialisierte sich auf Industriespionage und Piraterie.

Und wie ist es Amerika im neuen Jahrtausend ergangen? Seit dem Jahr 2000 ist jeder dritte Arbeitsplatz in der verarbeitenden Industrie verlorengegangen – insgesamt beinahe sechs Millionen. Etwa 50.000 Fabriken wurden stillgelegt. Seit Gründung der Nordamerikanischen Freihandelszone (Nafta) ist das US-Handelsdefizit auf fünf Billionen Dollar gestiegen. Die Reallöhne stagnieren seit einem Jahrzehnt. Während China trotz der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise wieder ein Wirtschaftswachstum von zwölf Prozent erreicht, scheinen die USA unaufhaltsam auf eine abermalige Rezession zuzusteuern.

All diesen düsteren Prognosen zum Trotz gibt sich das Wall Street Journal optimistisch: Die Zukunft gehöre einer neuen Weltordnung, in der es keine Rolle mehr spiele, wer was wo produziert. „Das Festhalten am Ideal von einem globalen ‘Gleichgewicht’ der Handels- und Kapitalströme ist illusorisch“, heißt es in dem New Yorker Wirtschaftsblatt. „Die politischen Machthaber täten gut daran, sich weniger um Handelsdefizite zu kümmern, als vielmehr in ihren Staaten eine Politik zu machen, die zum globalen Wohlstand beiträgt.“

Einwanderer nehmen uns die Arbeitsplätze weg

Deutlicher ließe sich der Unterschied zwischen der chinesischen Weltsicht und der unsrigen kaum zum Ausdruck bringen. Seit Jahrzehnten beeinflußt die Ideologie des Wall Street Journal die Washingtoner Politik. Deshalb hat der Mythos von einer Weltwirtschaft, vom „globalen Wohlstand“, Vorrang vor unseren eigenen ökonomischen Interessen. Deshalb müssen amerikanische Arbeitnehmer in ihrem eigenen Land mit den Erzeugnissen ausländischer Arbeitskräfte konkurrieren, die ein Zehntel der hierzulande gezahlten Löhne erhalten. Deshalb lassen wir es zu, daß Millionen geringqualifizierter legaler oder illegaler Einwanderer unseren Landsleuten die Arbeitsplätze wegnehmen.

Die Chinesen hingegen setzen ihre nationalen Interessen an die erste, zweite und dritte Stelle. Und wer ist siegreich aus dem vergangenen Jahrzehnt hervorgegangen? Wem gehört die Zukunft?

Im Juli brachte die Washington Post einen kurzen Artikel zur Entscheidung der Welthandelsorganisation (WTO), daß die Europäer das Airbus-Projekt vierzig Jahre lang unzulässig subventioniert haben. So begrüßenswert dieses Urteil ist, kommt es doch viel zu spät für die Tausenden US-Arbeitnehmer, die Flugzeuge für Lockheed und McDonnell Douglas bauten, die gegen Airbus nicht bestehen konnten, oder für Boeing, das seinen Rang als wichtigster Flugzeughersteller der Welt an Airbus verlor.

Warum hat sich niemals ein US-Präsident für seine Landsleute stark gemacht und die Europäer vor die Wahl gestellt, entweder die Subventionen einzustellen – oder aber sich alleine gegen die Russen zu verteidigen?

Am selben Tag, an dem die Financial Times meldete, daß China uns überholt hat, machte die New York Times mit einem Bericht über die Schließung des Whirlpool-Werkes in Evansville/Indiana auf, die 1.100 Menschen ihre Arbeitsplätze kostet. Der Kühlschrankhersteller verlagert die Produktion nach Mexiko. Die NYT interviewte dazu Natalie Ford, deren ganze Familie bei Whirlpool gearbeitet hatte. „Daran ist die Gier der Konzerne schuld“, wird sie zitiert. „Als meine Eltern jung waren, gab es überall Arbeit: bei Whirlpool, Bristol-Myers, Mead Johnson, Windsor Plastics, Guardian Automotive, Zenith. Wer heute einen Job sucht, findet nirgendwo mehr etwas.“

1833 sagte der legendäre US-Politiker Henry Clay: „Die Forderung nach Freihandel ist so vergeblich wie die Forderung eines verwöhnten Kindes in den Armen seines Kindermädchens nach dem Mond oder den Sternen, die am himmlischen Firmament glitzern. Er hat niemals existiert, und er wird niemals existieren.“ Der Versuch, ihn dennoch zu verwirklichen, so der frühere US-Außenminister weiter, könne uns lediglich der „wirtschaftlichen Übermacht der Briten“ ausliefern. Heute ist es die Wirtschaftsmacht der Chinesen.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift „The American Conservative“.

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