© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Warum wir mehr Freiheit im Schulwesen brauchen
Bildung als Staatsmonopol
von Gerd Habermann

Die gleichen Menschen, die dem Staat empfehlen, sich aus der Wirtschaft herauszuhalten und einer Privatisierung von Bahn und Post das Wort reden, sehen in staatlich betriebenen Schulen und Hochschulen das Heil der Welt. Sie wissen, daß die freie Marktwirtschaft ein vielfarbiges und reichhaltiges Angebot hervorbringen kann, und begeistern sich gleichzeitig für Einheitsschulen, Klassennormen, Zentralabitur, Curricularnormrichtwerte, Kapazitätsverordnungen, Soll- und Pflichtstundenzahlen der Lehrer und Hochschullehrer.

Sie kommen gar nicht auf die Idee, daß auch öffentliche Schulen anders aussehen könnten. Schulen sind für sie Gebäude, denen die Schüler zugewiesen werden. Schüler und Eltern haben keine Wahl, und Schulen konkurrieren nicht um Kunden. Der Himmel ist blau und die öffentliche Schule ist ein Monopol. So treffend beschrieben einmal Konrad Schily und David Osborne die Misere der Bildungspolitik.

Es gibt für die Bildung von Ansichten und Meinungen, die Ausbreitung von Werten und Moralvorstellungen neben dem Elternhaus, den vorgefundenen Traditionen der sozialen Umgebung und der Selbstbildung wohl kaum eine wichtigere Instanz als das organisierte Bildungswesen. Leider ist es bei uns heute, namentlich seit Reformation, Staatsabsolutismus, Revolution fast vollständig in der Hand des Staates.

Der deutsche Liberalismus hat diese Verstaatlichung wohl gemildert, aber nicht grundsätzlich korrigiert, manchmal sogar forciert. Weder Warnungen Wilhelm von Humboldts, John Stuart Mills noch Friedrich August von Hayeks – von Nietzsches radikalen Ansichten ganz zu schweigen –  sind durchgedrungen, nicht einmal bei den politisch organisierten Liberalen selber. Deutschland ist ein klassisches Land des Bildungsetatismus; hieraus resultieren unsere „Hammelherdigkeit“ und unsere extreme soziale Abhängigkeit von einem Babysitterstaat.

Wir haben eine inkonsequente Bildungsplanwirtschaft im Dienste der Sozialpolitik und der Chancengleichheit mit Nischen geduldeter privater Initiative. Es gibt einen Abnahmezwang für öffentliche Bildungsgüter in öffentlichen Räumen. Bildung kostet den Nutzer vordergründig nichts. Dem Schüler und Studenten wird nicht klar, daß jede Bildungsentscheidung auch eine Investitionsentscheidung ist. Der Unterricht wird in der Regel durch schwer kündbare Angestellte oder unkündbare öffentliche Beamte durchgeführt.

Was muß dies für den Geist des Unterrichts und die Bildungsinhalte bedeuten? Ein ausgeprägtes Bildungsunternehmertum ist bisher in Deutschland nicht entstanden, weder auf gemeinnütziger noch auf gewerblicher Basis. Unter Bildung wird heute in der Regel nicht die Formung eines wünschenswerten Menschentyps nach ausformulierten Bildungsidealen verstanden, sondern die technische Vermittlung von Fach- und Orientierungswissen. Keine Bildung im engeren Sinn, sondern allenfalls ein Wissen um Bildung, also das Modell „Nürnberger Trichter“.

Die Bildungsplanwirtschaft ist gemildert durch den Föderalismus, einen Restbestand an Wettbewerb um Bildungsorganisation und -inhalte zwischen den Bundesländern. Gott sei Dank gibt es ihn noch! Der Gleichstanzung unserer Bevölkerung sind damit noch (schwache) Grenzen gesetzt: Man kann etwa dem sozialistischen Bildungsangebot Bremens oder Berlins ausweichen und in das bürgerliche Bayern ziehen. Zudem existieren überwiegend staatlich finanzierte und kontrollierte Bildungs-angebote der Kirchen und in Nischen einige echte private Anbieter.

Der staatliche Bildungskonzern wuchert weiter: Es gibt über 39.000 allgemeinbildende Schulen mit 9,5 Millionen Nutzern, darunter ca. 23.245 Grund- und Hauptschulen, 3.000 Realschulen, 3.100 Gymnasien und etwa 900 Gesamtschulen. Hinzu kommen 8.800 Berufsschulen mit 2,7 Millionen Nutzern. Die Gesamtausgaben für diesen Staatskonzern belaufen sich auf  rund 70 Milliarden Euro. Dieser Teilbereich beschäftigt derzeit etwa 600.000 hauptamtliche Lehrer. Im Vergleich dazu der private Sektor: Nur 7,6 Prozent der Schüler besuchen eine Schule in freier Trägerschaft, erfreulicherweise mit steigender Tendenz. Und wie viele private Hochschulen haben wir in Deutschland, geschweige denn Universitäten? Letztere sind schnell aufgezählt. Sie müssen um ihre Existenz kämpfen, wie etwa die Universität Witten/Herdecke.

Worin bestehen nun die größten Barrieren oder Schikanen gegen die privaten Wettbewerber? Zum einen kann der Staat unter Ausnutzung des Steuerzwangs seine Leistungen zu einem Tarif (einem Null- oder Sozialtarif) anbieten, der jede Konkurrenz plattmacht – vom Kindergärten aufwärts bis zu den Universitäten.

Zum zweiten ist der Staat nicht nur fast monopolistischer Anbieter in diesem Bereich, er regelt auch hoheitlich, wer den Markt betreten darf und wer nicht, sofern auf staatliche Anerkennung der Abschlüsse Wert gelegt wird. So behält er sich für Privatschulen und Universitäten ein Genehmigungsrecht vor – mit entsprechenden Auflagen. Gegenwärtig sind selbst die wenigen privaten Hochschulen und Schulen in Deutschland nicht wirklich „privat.

Drittens gibt der Staat eine Bestandsgarantie für seine Bildungsbetriebe, während private Hochschulen „pleite“ gehen dürfen.

Schließlich ist die Mobilität der Lehrenden zwischen staatlichen und privaten Hochschulen stark erschwert. Verläßt ein Beamter zum Beispiel den Staatsdienst, so verliert er seine Pensionsansprüche.

Besonders einschneidend ist das Genehmigungsrecht für private Grundschulen (wie auch für Kindergärten). Auch hier ist der Staat Regelsetzer, Schiedsrichter und Mitspieler in einem. Es ist nicht ohne weiteres möglich, kostendeckende Schulgelder einzutreiben, weil eine „Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert“ werden darf (Artikel 7, Abs. 4 Grundgesetz). Eine Privatschule kann das Schulgeld einkommensabhängig staffeln oder ist an Zuwendungen des Staates oder Dritter verwiesen. Über das Genehmigungsrecht kann der Staat auch seine Standards durchdrücken und dafür sorgen, daß auf diese Weise die Vielfalt eingeschränkt bleibt.

Der private Hausunterricht ist in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit. Doch hierzulande? Man muß in Deutschland bizarre Szenen einer polizeilichen Zwangsüberführung der Kinder in öffentliche Schulräume erleben! Allgemein herrscht die Illusion, daß Dienstleistungen im Bildungsbereich wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht zugänglich sein und höherwertige Bildungsgüter – überhaupt das Ideal des „gebildeten“ Menschen – vordergründig nichts kosten dürfen. Natürlich sind die Kosten hierfür immer vorhanden und können allenfalls verschleiert werden.

Wie steht es mit der „sozialen“ Effizienz unserer Bildungsplanwirtschaft? Dies ist ja die tiefere Begründung dafür, daß in einem solchen Maß planwirtschaftliche Prinzipien im Bildungswesen herrschen. Wie sieht es aus mit der angestrebten sozialen Chancengleichheit? Zunächst einmal hat sich die Zahl der studierenden Arbeiterkinder seit den achtziger Jahren kaum erhöht. Nur zwölf Prozent der Kinder aus Arbeiterhaushalten studieren, während es bei Beamten 72, bei Selbständigen 60 Prozent sind. Einkommensschwache Haushalte tragen überdurchschnittlich zu den Kosten eines Systems bei, von dem sie unterdurchschnittlich profitieren. Nach Beispielrechnungen des Erlanger Ökonomen Karl-Dieter Grüske tragen Akademiker nur zehn bis zwölf Prozent ihrer Ausbildungskosten.

Dagegen tragen Nichtakademiker mit deutlich geringerem Lebenseinkommen bis zu 90 Prozent der akademischen Ausbildungskosten. An einem Beispiel: Der Handwerksmeister, die Verkäuferin zahlen mit ihren Steuern die Ausbildung von Chefarztsöhnen, damit diese wieder Chefärzte werden können und das hohe Einkommensniveau in der Familie halten. Dies ist ein großer Unterschied zu den USA, wo die Reichen für die Kosten ihrer Ausbildung auch zahlen müssen und die Armen, sofern begabt, mit ermäßigten Gebühren oder mit Stipendien rechnen können. Mit anderen Worten: Unter sozialpolitischen Gesichtspunkten ist die staatliche Bildungsorganisation ein Schwindel.

Jede Reform braucht ein Leitbild. Nach welchen Prinzipien sollte ein Bildungswesen geordnet sein? Der heutige Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar, hat dazu einmal Überlegungen angestellt, die nachfolgend frei variiert werden sollen. Danach muß die Entscheidungsautonomie und Souveränität der Bildungsnachfragenden geachtet werden – bis hinunter zum Hausunterricht.

Die Bildungsinstitutionen selbst brauchen innerhalb eines politischen Rahmens Vollzugssouveränität. Ferner erhalten die Bildungsdienstleistungen einen „Preis“. Dadurch sind private Bildungsinstitutionen in der Lage, ihre Dienstleistungen nach eigener Einschätzung gegen kostendeckende Gebühren anzubieten. Natürlich können auch sie auf Nutzergebühren verzichten, wenn alternative Finanzierungswege zur Verfügung stehen.

Ein Bildungswesen muß dem Gerechtigkeitsprinzip entsprechen: Es zahlen die, denen die Ausbildung zugute kommt. Dabei stützt ein ausgebautes Stipendienwesen jene, die im Kopf stark, im Portemonnaie aber schwach sind. Die gegenwärtige Umverteilung wird dadurch von unten nach oben korrigiert, welche die Null-Tarifwirtschaft für alle nun einmal mit sich bringen muß.

Bei alldem gilt das Subsidiaritätsprinzip: Die Allgemeinheit tritt erst dann und nur insoweit ein, als die einzelnen, deren Familien oder andere private Institutionen  die Bildungsnachfrage nicht selber finanzieren können. In der weiterführenden Ausbildung müssen die Studenten eigene Mittel investieren, damit sie ihre Bildungsentscheidungen rationaler treffen. Es kann gegebenenfalls durch einen Ausbildungskredit oder ein Fondssystem nachgeholfen werden.

Ein solches Bildungswesen braucht nicht nur eine bestimmte Organisationsform und Bildungsangebote vieler Träger im Wettbewerb, sondern – was viel wichtiger ist – auch eine Bildungsphilosophie, bestimmte Bildungsideale oder eine Vision des Persönlichkeitstypus, der Ergebnis der pädagogischen Bemühung sein soll. Aus liberaler Sicht sollte eine Erziehung zur Freiheit stattfinden, zu einem wagemutigen Lebensunternehmertum mit einer entsprechenden Ethik.

Die Bereitschaft zum „Agon“ muß geweckt werden, zu einem fairen und friedlichen Wettstreit um Auszeichnung und Leistung. Eine übertriebene Intellektualisierung, eine Überfrachtung mit technischem Wissen oder der verbreitete wertneutrale Relativismus, der häufig auf Nihilismus hinausläuft, sind abzulehnen. Die extreme „Verkopfung“ unseres Unterrichts, schon von der Primarschule an, ist zu bekämpfen. Überdies bedarf eine freie Gesellschaft intensiver Wertevermittlung, der Stabilisierung von  Einstellungen und Haltungen. Schließlich bilden die Überzeugungen und Präferenzen des einzelnen die ideelle Basis unseres Gemeinwesens.

Zu einer freien Gesellschaft passen jedenfalls nur ein freiheitliches Bildungswesen und eine freiheitliche Geldverfassung. Solange wir nicht an diese Quellen etatistischen Denkens gehen, werden wir in Deutschland keine Fortschritte in liberaler Hinsicht erleben. Der Status quo stellt sich über das staatliche Bildungswesen immer wieder von neuem her.

 

Prof. Dr. Gerd Habermann leitet das Unternehmerinstitut der Familienunternehmer – Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer und engagiert sich ehrenamtlich als Vorsitzender der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung. Dem Beitrag liegt ein Referat auf dem Forum Freiheit am 17. Juni 2010 in Berlin zugrunde.

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