© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Blaupause für Bewältigungsmuster
Kultur der Erlösung: Die Trümmerfilme des deutschen Nachkriegskinos sind besser als ihr Ruf
Martin Lichtmesz

In der deutschen Filmgeschichtsschreibung standen die sogenannten „Trümmerfilme“ der unmittelbaren Nachkriegszeit nie besonders hoch im Kurs. Gedreht in realen Ruinen, zum Teil vom italienischen Neorealismus, zum Teil von verlorenen Weimarer Traditionen beeinflußt, waren sie erste Versuche, die Verheerungen des Krieges und des Nationalsozialismus zu erfassen und zugleich positive moralische Grundlagen für die Zukunft zu formulieren.

In der Ostzone drehte Wolfgang Staudte „Die Mörder sind unter uns“ (1946), im Westen Helmut Käutner „In jenen Tagen“ (1947), die bezeichnenderweise beide die Schuldfrage stellten, dabei aber unterschiedliche Strategien der Entlastung einschlugen. Bis etwa 1949 folgte ein weiteres Dutzend Filme wie „Und über uns der Himmel“, „Liebe 47“ oder „Berliner Ballade“. Sie behandelten das Los von Kriegsheimkehrern, Schwarzhändlern und Trümmerfrauen, setzten sich mit den erlittenen Traumata und den Verbrechen des Hitlerregimes auseinander. Als ihr Schwanengesang „Film ohne Titel“ (1948) von Rudolf Jugert herauskam, waren ihre Motive bereits zum Klischee geworden. Man warf ihnen später Inkonsequenz, Geschichtsklitterung, mangelnden analytischen Durchblick und vorschnelle Versöhnungsgesten vor, wertete sie als bloß gut gemeint und ästhetisch mißglückt.

Das hatte auch politische Gründe, denn die Generation der linken Intellektuellen der sechziger und siebziger Jahre und der Jungfilmer, die im Zuge des Oberhausener Manifests mit „Opas Kino“ aufzuräumen trachtete,  hatte ein Interesse daran, zu behaupten, daß es vor ihnen so etwas wie eine ernsthafte „Aufarbeitung“ der NS-Vergangenheit nicht gegeben hätte. Daß diese Behauptung nicht mehr als ein „Mythos“ war, zeigt der Amerikaner Robert R. Shandley in seiner Studie „Trümmerfilme“, die das Ziel hat, „ein Versehen zu korrigieren, das ganz besonders in der Germanistik nach 1968 blühte“.

Tatsächlich leisteten die untersuchten Filme einen beachtlichen, gewissenhaften und zum Teil recht komplexen Beitrag zur zu diesem Zeitpunkt noch von echten und notwendigen moralischen Impulsen geleiteten „Bewältigung“ und lieferten die Blaupause für deren bis heute gängige Muster. Daß die Ergebnisse nur vorläufig, improvisiert und bruchstückhaft sein konnten, ist leicht aus den historischen, psychologischen und materiellen Umständen der Entstehungsjahre zu erklären. Es ging den Filmemachern nicht nur darum, die Lebenswirklichkeit nach dem Krieg widerzuspiegeln , sondern nach Shandley auch eine „Kultur der Erlösung“ zu schaffen, als deren „sieben Säulen“ er nennt: „Wiedergutmachung – Aussöhnung – Neudefinierung – Wiederstabilisierung – Wiedereingliederung – Wiederaufbau – Reprivatisierung“. Sie betrieben Identitätspolitik für die mehrfach gebrochenen Deutschen, um stabile und gangbare Wege aufzuzeigen.

Diese Aspekte fanden vor späteren Generationen, die die Axiome der Bewältigung radikalisierten, wenig Gnade. Die tendenzielle Versöhnlichkeit der Filme, die sich sogar in dem von überlebenden Juden gedrehten „Lang ist der Weg“ (1947) zeigte, schien ihnen verdächtig und vor allem den Abstieg in den verachteten „restaurativen“ Biedermeier der fünfziger Jahre mit seinen kitschigen Heimatfilmen und Landserklamotten vorbereitet zu haben. Nicht weniger zweifelhaft erschien ihnen die maßgebliche Beteiligung von Regisseuren, Technikern und Schauspielern, die sich selbst „verstrickt“ hatten: Wolfgang Staudte hatte als Kleindarsteller in Propagandafilmen wie „Jud Süß“ mitgewirkt, Josef von Baky und Wolfgang Liebeneiner hatten Prestigeproduktionen des Regimes inszeniert, und auch der unpolitische Käutner hatte sich angepaßt, um drehen zu können.

Der Vorwurf an die Trümmerfilme, mehr oder weniger uneinheitliche „Kompromißbildungen“ zu sein, trifft sicher zu, ist indessen auch in eine zu den Oberhausenern und ihren Nachfolgern politisch gegenläufige Richtung anwendbar. Gedreht unter der Kontrolle der Besatzer in Ost und West, konnten und durften nämlich auch sie nur halbe Wahrheiten erzählen – ein Aspekt, den Robert Shandley freilich nahezu völlig übersieht und der ihm als Amerikaner wohl wenig zugänglich ist.

Als mit sechzigjähriger Verspätung endlich auch Themen wie Vertreibung („Die Flucht“), Vergewaltigung („Anonyma – Eine Frau in Berlin“) und Bombenkrieg („Dresden“) filmisch aufbereitet wurden,  hatte sich die Lage gegenüber den Trümmerfilmen kaum geändert – der Zwang zur politisch motivierten Kompromißbildung besteht nach wie vor und gibt das enge Korsett vor, in dem die „Bewältigung“ und die Dramatisierung der Geschichte stattzufinden hat. Demgegenüber ist es gerade die starke Zeitgebundenheit der „Trümmerfilme“, die sie inzwischen zu einer Fundgrube liegengebliebener Ansätze und Sichtweisen machen, die entstanden, noch ehe die Bilder der deutschen Geschichte von den Siegern des Krieges, zu denen auch Hollywood zählt, kolonialisiert wurden.

Robert R. Shandley: Trümmerfilme. Das deutsche Kino der Nachkriegszeit. Parthas Verlag, Berlin 2010, gebunden, 312 Seiten, s/w-Abbildungen, 16,90 Euro

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