© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

„Unruhe ist mein liebster Zustand“
Unternehmer: Eine erfolgreiche Geschäftsidee machte den schwäbischen Schlosser Hans Wall zum Millionär
Klaus Peter Krause

Schon mal von der Wall AG gehört? Nein? Dabei steht doch das, was das Berliner Unternehmen herstellt, überall dort, wo Menschen auf Busse und Straßenbahnen warten, herum. Es sind Wartehäuschen an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel. Und es ist Hans Wall, der dieser Aktiengesellschaft seinen Namen gibt und mit ihr ein großer erfolgreicher Unternehmer ist. Dabei hatte er sich als Kind von seinem unerbittlich strengen Vater anhören müssen: „Aus dem Jungen wird nie was!“ Ebenso lautet nun auch der Titel seines Buches. Er ist die Koketterie damit, daß aus dem jungen scheinbaren Taugenichts Hans Wall doch etwas geworden ist.

Daß man vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann, das weiß man. Daß es auch als Schlosser funktioniert, das verrät Walls Autobiographie. Daß er als Kind und später als „Halbstarker“ in der Tat alles andere als ein Musterknabe, sondern ein Tunichtgut war, damit geht Hans Wall sehr offen um. Mit selbstkritischen Reflexionen hält der Erfolgreiche Rückschau und bekennt: „Ich war als Kind weder begnadeter Bastler noch ausdauernder Experimentierer, auch nicht Chef einer Jugend-Gang. Ich war ein Träumer, der ein paar Milchflaschen aus der Molkerei stahl, um vom Pfand Schokolade zu kaufen.“

Man liest, wie ihn nach Schule, Technikerausbildung und Heirat der Ehrgeiz packte, wie sich der berufliche Erfolg einstellte, wie er Selbstwertgefühl bekam, wie er merkte, daß er leistungsfähiger als andere war: „Zum ersten Mal beschlich mich der Gedanke, den ich zuvor nicht mal gewagt hatte zu denken: Das kannst du besser. Es war wie ein neues Leben. Ich hatte mich selbst gefunden. Großartig.“

Aber Wall wollte mehr, nicht nur angestellter Techniker sein: „Vor allem wollte ich ein selbstbestimmtes Leben.“ Wall steigt ein in ein kleines Unternehmen, dessen „unglaubliche Geschäftsidee“ ihn fasziniert: den unübersichtlich dichten Wald von vielen unterschiedlichen Firmen-Reklameschildern an den Ortseingängen, die mit dem Wirtschaftsaufschwung aus dem Boden schossen, auf einem großen und einzigen Hinweisschild zu bündeln, sich von den Bürgermeistern das alleinige Recht zu besorgen, diese Orientierungstafeln zu errichten und die Unternehmen diese Tafeln bezahlen zu lassen, wenn auch ihr Firmenname dort prangen sollte: „Die Bürgermeister waren begeistert, und die Firmen zahlten bereitwillig, weil sie ihr Logo auf dem schicken neuen Schild sehen wollten.“ Walls Geschäftspartner, ein Verkäufertyp, besorgte die Aufträge, und Wall selbst entwarf die Schilder. „Das Geld floß reichlich“, schreibt Wall, „es war eine Goldgräberzeit damals.“

Doch dann hatte Wall selbst eine Idee. Er sah an einer Bushaltestelle ein Wartehäuschen mit der Werbung einer Sparkasse am Dachrand und dachte: „Das kannst du besser.“ Er gründete sein eigenes Unternehmen, bot in Hunderten von Werbebriefen an Bürgermeister „Wartehallen nach Bausystem 2011“ an und versprach unentgeltliche Lieferung und Montage. Im Buch liest man: „Es dauerte keine drei Jahre, da hatte ich 1.300 solcher Häuschen aufgestellt.“ Das Konzept war: den Gemeinden unentgeltlichen Service bieten gegen das Vermarktungsrecht von Werbeflächen. Die Unterstände als Wetterschutz für wartende Busfahrgäste waren als Werbeträger interessant geworden.

Doch Wall war nicht der erste, der den Markt für diese Art der „Stadtmöblierung“ entdeckt hatte, sondern zehn Jahre vor ihm tat dies die Pariser Firma JC Decaux, die auf dem deutschen Markt immer weiter vordrang. 1984 kam es zum großen Wettbewerbskampf zwischen Wall und Decaux um einen Großauftrag in Berlin. Wall zog ihn an Land. Zugleich waren die dabei gewonnenen Erkenntnisse der Anstoß zu einem neuen Aufbruch: weg aus der Provinz, hin zum Geschäft in Großstädten. Er verkaufte seine 1.300 Wartehallen.

Berlin war der Einstieg ins große Geschäft. Auch begann mit Walls beleuchteten „City-Light-Plakaten“ eine neue Art der Vermarktung. Wall spricht von echter Pionierarbeit, so wie einst die von Ernst Litfaß mit seinen Werbesäulen. Aber der weitere Weg war zunächst mit vielen Schwierigkeiten, vor allem finanziellen Engpässen, gepflastert. Walls Angebot blieb bei den Wartehäuschen mit Werbung nicht stehen, es weitete sich aus auf städtische Informations- und Leitsysteme, Stadtpläne, Toiletten, Mülleimer, Kioske, Ticketautomaten, Verkehrs- und Ampelanlagen. Wall schreibt über sich: „Ich war Deutschlands erster Stadtmöblierer, nicht nur mit eigener Planung und Produktion, sondern auch mit international renommiertem Design.“

Die Expansion über Deutschland hinaus begann 1988 mit den Niederlanden. Nach dem Fall der Mauer eroberte Wall mit seinen Wartehallen, Stadtinformationsanlagen und Plakatsäulen auch Moskau und St. Petersburg. 1994 zog er mit seiner „Wall-City-Toilette“ erfolgreich in New York ein. In Boston bekam er den Auftrag für eine komplette Stadtmöblierung: „20.000 Stadtmöbel aus unserer Hand prägen fast 60 Städte in sieben Ländern auf drei Kontinenten.“

Wall versteht es, für sich einzunehmen, ist zugleich ein großer Mäzen. Er engagiert sich für den Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie in Berlin und setzt sich mit seinem Verein „Denk mal an Berlin“ für den Erhalt weiterer preußischer Baudenkmäler ein. „Unruhe ist mein liebster Zustand. Ich brauche immer Neues, Verrücktes, Ungewöhnliches. Stillstand macht mich nervös“, liest man zur Antriebskraft des 68jährigen: „Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin.“

Hans Wall: „Aus dem Jungen wird nie was …“ – Vom Mechaniker zum Millionär. Warum in Deutschland jeder eine Chance braucht. Wilhelm Heyne Verlag, München 2009, 287 Seiten, 19,95 Euro

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