© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Keine einheitliche Linie
Großbritannien: Außenminister Hague setzt trotz gegenteiliger Bekundungen auf Kontinuität / Für EU-Erweiterung und Türkei-Beitritt
Derek Turner

Die Politik, die der neue konservative Außenminister William Hague in seiner Antrittsrede vorstellte, wird allgemein als radikaler Bruch mit jener der Labour-Vorgängerregierungen unter Tony Blair und Gordon Brown interpretiert. Hague kündigte an, die Koalition aus Tories und Liberaldemokraten (LibDems) wolle künftig „unverhohlen unsere wohlverstandenen Interessen verfolgen“. Er versprach eine einheitlichere Linie, die „der gesamten Regierung im Blut liegt“ und sicherheitspolitische, diplomatische und kulturelle Erfordernisse mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten verbinden werde.

Als konkrete Ziele nannte der frühere Tory-Chef verstärkte diplomatische Bemühungen in Schwellenländern, engere Beziehungen zu China und Japan, eine Ausdehnung des britischen Einflusses innerhalb der EU – bei gleichzeitiger Pflege des „unverbrüchlichen Bündnisses“ mit den USA. Hague befürwortet die Erweiterung der EU und einen Beitritt der Türkei, gleichzeitig aber eine bilaterale Diplomatie in einer „vernetzten Welt“. Er will eine verbesserte Kommunikation politischer Strategien und eine Aufstockung der Mittel für Entwicklungshilfe. Zudem will Großbritannien sich vermehrt für eine Zwei-Staaten-Lösung in Israel/Palästina und die Verhinderung von Nuklearwaffen im Mittleren Osten (sprich: Iran) einsetzen. Erwähnung fand auch der neue britische Sicherheitsrat, dessen erste Herausforderung darin besteht, die Gewährleistung der inneren Sicherheit mit den von der Cameron-Regierung beschlossenen massiven Mittelkürzungen zu vereinbaren (JF 27/10).

Hagues Absichtserklärungen stoßen auf Ablehnung bei Labour und Linken in den eigenen Reihen, denen die Verunreinigung einer von moralischen Erwägungen gesteuerten Politik durch wirtschaftliche Interessen mißfällt. Daß die neue Regierung voraussichtlich an dem Trident-Atomwaffenprogramm festhalten will, wird ebenfalls kritisiert.

Von konservativer Seite werden Vorbehalte gegen Hagues EU-Begeisterung und insbesondere den Beitritt der Türkei laut. Daß er sich für „Menschenrechte und Armutsbekämpfung als unveräußerlicher Kern“ der Außenpolitik stark macht und „den Globalisierungsprozeß fördern“ will (ein Thema, das Hague bei einer Rede in Peking vertiefte), sieht man erst recht nicht gern. Tatsächlich unterscheidet sich Hagues Politik im Kern kaum von jener, die die Labour-Partei 13 Jahre betrieb. Der Politikveteran George Walden kommentierte, Hagues Rede sei so vage gewesen, daß er ebensogut „Luftskulpturen“ bauen könne. Diese Kritik trifft vor allem auf die Passagen über Afghanistan zu.

Die dortige Lage bezeichnete Hague zwar als unsere „oberste außenpolitische Priorität“, er gab aber keinerlei Hinweise darauf, wie die neue Regierung vorzugehen gedenkt. Inzwischen hat Verteidigungsminister Liam Fox immerhin versprochen, die Verantwortung für die Sicherheit – wie auch auf der Afghanistan-Konferenz verkündet – spätestens 2014 an Kabul abzutreten. Wie man dies in einem Land bewerkstelligen will, das Fox noch vor wenigen Wochen als „kaputtes Land aus dem 13. Jahrhundert“ beschrieb, bleibt offen.

Unabhängig von der weiteren Entwicklung am Hindukusch muß Großbritannien das katastrophale Vermächtnis der Labourregierungen aus dem IrakKrieg verarbeiten. Sir Richard Dalton, von 2003 bis 2006 britischer Botschafter im Iran, sprach kürzlich vor dem Chilcot-Untersuchungsausschuß (JF 4/10) zu den Kriegsursachen Klartext: Tony Blair habe die Rolle des Iran bei der Unterstützung von Aufständischen im Irak „ungemein übertrieben“. Im Vorfeld der Invasion 2003 habe die damalige Regierung eine Reihe „sehr schlechter Entscheidungen“ getroffen – schon George W. Bushs Verunglimpfung des Iran als Teil der „Achse des Bösen“ sei ein „ungeheurer Fehler“ gewesen, so Dalton.

Ganz im Gegenteil sei der Iran auf politische Stabilität in seinem Nachbarland bedacht gewesen: „Sie befürchteten Anarchie, und sie befürchteten, daß die Lage sich durch ein Scheitern der Machtübergabe an irakische Politiker für den Iran verschlimmern würde, weil dies den Amerikanern einen Vorwand geliefert hätte, noch weitaus länger im Land zu bleiben.“ Die iranische Unterstützung von al-Qaida beschränkte sich im wesentlichen darauf, Untergrundkämpfer aus Pakistan und Afghanistan unbehelligt passieren zu lassen, um der westlichen Irak-Koalition ausreichend Schaden zuzufügen, damit sie „sich nicht auf einen langen Verbleib im Land einrichtet“. Laut Dalton gibt es keine Beweise dafür, daß der Iran irgendwelche Absichten hege, nukleare oder radiologische Waffentechnologien zu exportieren. Ein Angriff auf den Iran wäre daher ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Vizepremier Nick Clegg (LibDems) bezeichnete die Irak-Invasion vorige Woche in einer Fragestunde im Unterhaus sogar als „illegal“ – was einer offiziellen Haltung der britischen Regierung gleichkam, da Premierminister David Cameron zu dem Zeitpunkt in den USA weilte. Die Tories reagierten empört, stimmten Sie doch 2003 mit Blair für den Irak-Krieg. Cleggs Büro ruderte daraufhin zurück und teilte mit, Clegg habe keine offizielle Regierungsposition vertreten, sondern nur seine altbekannte persönliche Meinung zur Rechtmäßigkeit des Irak-Krieges. Zur offiziellen Beurteilung warte man das Ergebnis des Chilcot-Ausschusses ab.

Seit der seine Arbeit aufgenommen hat, sind wiederholt derartige Kritiken geäußert worden – was vielleicht nicht überraschend ist, galten doch die Sympathien des britischen Außenministeriums traditionell eher der arabischen als der israelischen Seite.

In jedem Fall scheint sich ein Konsens abzuzeichnen, daß die Invasion des Irak unklug war und die derzeitige Iran-Politik auf Emotionen und unvollständigen Informationen statt auf politischem Sachverstand beruht. Ob der neue Außenminister zuhört, wird sich zeigen.

 

Derek Turner ist Publizist und seit 2007 Herausgeber der britischen Zeitschrift „Quarterly Review“ (www.quarterly-review.org).

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