© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Hin und her am Hindukusch
Afghanistan: Truppensteller geben widersprüchliche Signale auf der Kabuler Sicherheitskonferenz
Bernd Bredenkötter

Wie schlimm muß es um ein Land bestellt sein, in dem eine Konferenz von Besatzungsmächten sogar den – von Deutschland gespendeten – Konferenztisch mitbringen muß? Am 20. Juli fand zum ersten Mal eine internationale Tagung, die sich mit Afghanistan befaßte, auch auf afghanischem Boden statt. Die Versammlung brachte alle Staaten und maßgeblichen Organisationen, die sich in Afghanistan engagieren, an einen Tisch. An der Kabuler Konferenz nahmen 76 Delegationen mit über 40 Außenministern, darunter Guido Westerwelle (FDP), teil.

Kabul als Veranstaltungsort sollte ein Symbol sein. Nach einer Serie von Anschlägen auf Kabuler Regierungseinrichtungen waren Zweifel aufgekommen, wieweit die Regierung Karzai die Lage  unter Kontrolle hat. Die Stadt befand sich während der Konferenz in einem Belagerungszustand. Schulen und Geschäfte waren geschlossen. Auf den Straßen patroullierten afghanische Sicherheitskräfte, während die Isaf im Hintergrund operierte. Bis auf einige schlecht gezielte Raketen, die manchen Anreisenden auf Umwege zwangen, blieb es ruhig.

Das Ziel der Konferenz bestand darin, den Stand der Entwicklung zu rekapitulieren und für alle Beteiligten Richtlinien festzulegen, wie die Verantwortung bis 2014 in afghanische Hände übergehen kann. Zunächst jedoch wird die Zahl der westlichen Soldaten weiter erhöht. Die Isaf-Truppen umfassen jetzt rund 120.000 Mann, insgesamt stehen fast 150.000 westliche Soldaten in Afghanistan. Das sind doppelt so viele wie Anfang 2009 und der Aufmarsch ist noch nicht abgeschlossen.

An der verstärkten Präsenz ändert auch der Abzug einiger Kontingente nichts. Die Niederlande (1.700 Soldaten), Kanada (2.800) und Polen (2.500) hatten den Abzug ihrer Truppen aus dem Süden und Osten Afghanistans schon vor der Konferenz angekündigt. Kanada mußte mit bislang 150 Gefallenen besonders heftige Verluste hinnehmen, bei den Niederländern fielen 24 Soldaten, bei den Polen 19. Großbritannien (9.000 Soldaten, 300 Gefallene) relativierte seine Abzugsankündigung für die nächsten fünf Jahre dahingehend, daß dies vom Erreichen der Sicherheitsziele abhänge. 

Auf dieser Linie bewegte sich auch Bundesaußenminister Westerwelle. Er hatte anläßlich der Konferenz die Hoffnung geäußert, 2011 die Sicherheitsverantwortung für eine der Provinzen im deutschen Regionalkommando Nord übergeben zu können. Dieser Bereich umfaßt neun Provinzen, aber Deutschland hat nur in vier von ihnen Stützpunkte. Der Stützpunkt Masar-e-Scharif in der ruhigen Provinz Balch als Luftkreuz und Hauptbasis auch für andere Nationen kann schwerlich entbehrt werden.

In der Provinz Kundus hat sich die Lage extrem verschlechtert, in der Nachbarprovinz Tachar existiert nur ein kleiner Außenposten. So bleibt die Provinz Badachschan mit ihrer Hauptstadt Feisabad. Diese ehemalige Drogenhochburg im Nordosten gilt als Beispiel für einen gelungenen Aufbau von Sicherheit und Ordnung. Dies läßt den deutschen Stützpunkt in Feisabad entbehrlich erscheinen.

Der Beschluß der Konferenz, bis 2014 die Sicherheit in afghanische Hände zu legen, gilt als „ambitioniert“. Der Aufbau der Sicherheitskräfte müßte bis dahin mit aller Kraft betrieben werden.

Die Zahl der Polizisten soll zunächst von 90.000 auf 130.000 steigen, die der afghanischen Soldaten von 100.000 auf 170.000. Im Jahr 2015 sollen die afghanischen Sicherheitskräfte dann eine Gesamtstärke von 400.000 erreichen.

Von einem vollständigen Abzug wird auch für 2014 nicht ausgegangen, amerikanische und britische Sondereinheiten werden auf jeden Fall bleiben. Staaten, die ihren Verantwortungsbereich erfolgreich befriedet haben, können ihren Abzug ebenso offensiv vertreten, wie solche, die einen – gemessen an ihrer Größe – hohen Blutzoll gezahlt haben. Beides spricht gegen einen schnellen Abzug Deutschlands vom Brennpunkt Kundus, obwohl die Amerikaner dort seit einigen Wochen stärkere Einheiten stehen haben als die Bundeswehr und sie ersetzen könnten. Für andere Nationen ist der Afghanistankrieg kein Selbstzweck. Südkorea stieg dieses Jahr nach dem Rückzug 2007 erneut mit eigenen Truppen ein –  der Preis für die US-Hilfe gegen Nordkorea.

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