© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Neuer Streit um Vertriebenenzentrum
Geschichtspolitik: Zwei vom Bund der Vertriebenen benannten Mitgliedern des Stiftungsrats wird eine „rechte Geschichtsbetrachtung“ vorgeworfen
Ekkehard Schultz

Wer gedacht hatte, mit dem Verzicht der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, auf einen Sitz im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung  (JF 8/10) sei der Streit um das in Berlin geplante Vertriebenenzentrum ausgestanden, der sieht sich getäuscht.

 Nach der Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates durch den Bundestag Anfang Juli folgte sogleich die nächste Runde in der Auseinandersetzung um die Erinnerung an die Opfer der Vertreibung. Nun sind zwei vom BdV nominierte stellvertretende Stiftungsratsmitglieder in das Fadenkreuz von Kritikern geraten: Hartmut Saenger und Arnold Tölg.Der Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, Raphael Gross, der dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung angehört, vertrat in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau die Auffassung, daß die Berufung von Saenger und Tölg „den eigentlichen Stiftungszweck (…) geradezu verhöhnen“ würde. So würde Saenger die „Schuld und Verantwortung von Deutschland für den Zweiten Weltkrieg“ leugnen, da er in einem Artikel für die Preußische Allgemeine Zeitung die Auffassung vertreten hätte, daß sich Polen im Vorfeld des Weltkrieges selbst „besonders kriegerisch“ aufgeführt habe. Zudem „suggeriere“ Saenger durch rhetorische Fragen in dem Beitrag, „daß die Nazis am Zweiten Weltkrieg keineswegs eine Alleinschuld“ träfe.

Neben Saenger ist nach Auffassung von Gross auch Arnold Tölg für die Besetzung eines Postens im Stiftungsrat ungeeignet. Denn Tölg habe unter anderem die Wiedergutmachungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter der NS-Zeit „verdammt“, kritisiert Gross. So habe er in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT (JF 2/00) unter anderem behauptet, daß „gerade die Länder, die am massivsten Forderungen an uns richten“, in Sachen Zwangsarbeit selbst „genügend Dreck am Stecken“ hätten.

Auch der Mannheimer Historiker Peter Steinbach kritisierte die Berufung Saengers und Tölgs. Beide verträten Thesen, „die vor allem in einer rechten Geschichtsbetrachtung gang und gäbe seien“, sagte Steinbach im Deutschlandradio Kultur. Zudem würden sie versuchen, die Verbrechen der Deutschen durch „angebliche Verbrechen der anderen Seite“ zu relativieren.

Die Forderung von Gross, aus diesen Gründen dem BdV mit großer Vorsicht zu begegnen, wird auch von dem vom Zentralrat der Juden für den Stiftungsrat nominierten Historiker Samuel Salzborn unterstützt. Er zweifelt an, daß der BdV überhaupt das Recht besitze, für die Mehrzahl der deutschen Vertriebenen zu sprechen. Zudem warf Salzborn dem BdV „geschönte Mitgliederzahlen“ und eine überdurchschnittlich hohe Zahl von ehemaligen NS-Funktionsträgern in den Reihen der Landsmannschaften vor. Deswegen sei eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte des Verbandes dringend notwendig. Darüber hinaus verlangte er ebenso wie Gross, die Ergebnisse einer solchen Untersuchung auch in der geplanten Dauerausstellung zu dokumentieren. Ansonsten wäre eine Präsentation über die Vertreibung „letztlich nie glaubwürdig“.

Der vertriebenenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Mayer, wies dagegen die Kritik an Saenger und Tölg als „unverschämt und bodenlos“ zurück. „Für so etwas habe ich kein Verständnis“, sagte er der JF. Beide seien ihm als seriöse und besonnene Personen bekannt. Die Angelegenheit sei eine „Kampagne der Opposition mit dem Ziel, Stimmung gegen den BdV zu machen“, kritisierte das Mitglied des BdV-Präsidiums, das für den Bundestag im Rat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ sitzt.

Aufgrund der Fülle dieser und vergleichbarer ideologischer Auseinandersetzungen innerhalb der Stiftung hatten sich Anfang des Jahres bereits mehrere Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates zurückgezogen, so etwa die Publizistin Helga Hirsch. Sie begründete diesen Schritt mit der „starken parteipolitischen Instrumentalisierung“, die eine Bearbeitung der tatsächlichen Aufgaben massiv erschwere. Zuvor hatten bereits der polnische Historiker Tomasz Szarota sowie die Tschechin Kristina Kaiserova den Beirat verlassen.   

Weitgehend in Vergessenheit ist inzwischen geraten, daß es in erster Linie dem BdV und insbesondere Erika Steinbach selbst zu verdanken ist, daß es 2008 überhaupt zur Gründung der Vertriebenenstiftung gekommen ist. Bereits im September 2000 hatte Steinbach zusammen mit dem im August 2005 verstorbenen Sozialdemokraten Peter Glotz die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen (ZgV) gegründet, die für die Einrichtung einer würdigen Dokumentations- und Erinnerungsstätte an die „Zwangsmigrationen“ des zwanzigsten Jahrhunderts warb. Vom ZgV wurden darüber hinaus zwei Ausstellungen – „Erzwungene Wege“ und „Die Gerufenen“ – erstellt, die eine wesentliche Vorarbeit für die Gestaltung der künftigen Erinnerungsstätte darstellen.

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