© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Marron Curtis Fort. Der Amerikaner kämpft für Deutschlands kleinste Sprachminderheit
Der schwarze Preuße
Michael Paulwitz

Während Sprachwissenschaftler die Stummelstammelsprache „Kiezdeutsch“ als kulturbereichernden neuen Dialekt feiern, droht am Rande Ostfrieslands, westlich von Oldenburg, eine ganze Sprache zu verschwinden. – Kennen Sie Saterfriesisch? Nein, das ist nicht etwa ein norddeutscher Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache, von noch höchstens 2.500 Menschen – Deutschlands kleinster Sprachminderheit – gesprochen, näher verwandt mit Englisch als mit Niederdeutsch. Daß das melodische und selbstlautreiche Saterfriesisch nicht schon längst ausgestorben ist, hängt mit der Lage des Saterlandes zusammen. Das lag bis weit ins 19. Jahrhundert wie auf einer Insel von Mooren umgeben. Nach 1945 wurden die Hochmoore abgetorft, und das Hochdeutsche flutete auch ins Saterland.

Nach dem Moor als Sprachschutz kam der Mohr als Sprachschützer: Saterfriesisch wäre längst dem Untergang geweiht, hätte sich ihm nicht ein schwarzer Germanist aus Amerika mit Leib und Seele verschrieben. Was verschlug Marron Curtis Fort, geboren 1938 in Boston, von der amerikanischen Ostküste ausgerechnet ins Saterland? Schon als Schüler zeigte sich seine hohe Sprachbegabung. Fort berichtet: „Mein erster Deutschlehrer war Rittmeister im ersten Krieg, ich war der einzige Nicht-Deutschstämmige in der Klasse und der Beste in Deutsch, und er sagte immer zu mir: ‘Fort, wir werden einen Preußen aus dir machen, aufs Aussehen kommt es nicht so genau an.’“

Für die Saterfriesen ist Marron Fort so etwas wie die Brüder Grimm, Konrad Duden und Martin Luther vereinigt in einer Person. Denn er hat ihnen ein Wörterbuch, eine Orthographie und eine Bibelübersetzung geschenkt und somit ihre Sprache kodifiziert. Sein akademischer Weg führte Fort 1957 nach Princeton, wo er unter anderem Germanistik studierte. 1961 wechselte er an die Universität von Pennsylvanien, wo er 1965 über das Niederdeutsche von Vechta promoviert wurde. Immer wieder war Fort zu Gastaufenthalten in Deutschland und Belgien. 1966 versprach er den Saterfriesen ein Wörterbuch, das er 1980 mit 35.000 Einträgen vollendete. Innerhalb von drei Jahren fertigte der Calvinist in aufwendiger Arbeit zudem eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Saterfriesische an.

1982 ließ sich Marron Fort endgültig in Deutschland nieder und wurde deutscher Staatsbürger. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2003 leitete er die Arbeitsstelle Niederdeutsch und Saterfriesisch an der Universität Oldenburg. Fort sorgt sich nicht nur um das Saterfriesische. In einem Brief schreibt er: „Ich bin überzeugt, die Deutschen müssen immer noch für das büßen, was Väter und Großväter verbrochen haben, indem sie ihre Sprache, ihre Kultur und ihr Volksbewußtsein systematisch zerstören lassen und eine Art Völkerselbstmord begehen.“ Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, wir Deutsche sind noch nicht so weit: Eifern wir dem schwarzen Preußen nach, retten wir unsere Sprache!

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen